Die Sätze: Andante, allegro assai, molto vivace, presto, andante ma non troppo.
Sie tragen den Pyjama, den Ihre Frau Ihnen ausgesucht hat. Es ist Samstag. Draussen ist es sonnig, aber Sie haben nicht vor, das Haus so schnell zu verlassen. Vielmehr planen Sie, den Pyjama, den Ihre Frau Ihnen ausgesucht hat, demnächst abzustreifen, denn Sie haben genug geschlafen, und haben vor, die Freuden des Lebens zu geniessen. Der Pyjama, den Ihre Frau Ihnen ausgesucht hat, ist dabei etwas hinderlich – noch aber hinderlicher wäre Ihre Frau selbst. Denn Sie haben vor, die Freuden des Lebens mit, an und in einer Frau zu geniessen, die Ihre Frau Ihnen ganz sicher nicht ausgesucht hätte: Die Frau nämlich, die neben Ihnen in Ihrem Piyama, den Ihnen Ihre Frau ausgesucht hat, im Bett liegt, und die nicht Ihre Frau ist. Zumindest nicht Ihre Frau im Sinne von der Frau, der sie versprochen haben, mit ihr bis ans Lebensende auszuhalten und sich von ihr die Pyjamas aussuchen zu lassen.
Wir, die wir natürlich wohlerzogen genug sind, nicht Ihre Verrichtung an dieser besagten Frau zu imagnieren – wir möchten an dieser Stelle übrigens betonen, dass es nicht ästhetischen Gründen, sondern allein der Diskretion geschuldet ist, denn an Ihnen und der Frau ist rein äusserlich nichts auszusetzen – wir überlassen Sie Ihrem Tun und Trachten und wenden uns dem Wochenmarkt in der dummen, kleinen Stadt an der Donau zu, wo wir uns bei der Geisenfelder Schmalzbäckerei anstellen und schon von Ferne Ihre Frau auf uns zukommen sehen. Die Frau, die Ihren Pyjama aussuchte, an dem die Frau, die gerade schon fast auf Ihnen ist, die Knöpfe aufnestelt. Es ist natürlich reine Geschmackssache, welche der beiden einem besser gefallen mag. Sie präferieren jene, deren Lippen sich den Ihren nähern; wir jedenfalls schätzen den aufrechten Gang Ihrer Frau, den eleganten, dunkelgrauen Kurzmantel, das gepflegte Gesicht, dem man keinesfalls mehr als 40 Jahre und auch keine 2 Jahre Elend im Kampf mit Ihnen ansieht, die Nase, oben klassisch gerade und unten spitz, keck und fast etwas zu hoch, die sehr gepflegte Gesamterscheinung einer Frabrikbesitzerstochter aus den besseren Kreisen, und nicht zuletzt ihr scheues, aber bestimmtes Lächeln, als sie sich zu uns gesellt, um ebenfalls dort einzukaufen. Wir schleppen schon üppige Tüten und fühlen uns neben ihr mit ihrem halbleeren Körbchen fett, aufgedunsen, zügellos und obendrein viel zu unrasiert. Ihre Frau will keine Pyjamas mehr aussuchen, sie will eine Wucht sein, und ist es auch.
Uns liegt es fern, weltenfern, die sich zu Ihrer Körpoermitte verlagende Hand der Frau neben Ihnen zu umschreiben, aber genau von so etwas können wir nicht umhin auszugehen, denn Ihre Frau kennt, nachdem wir uns ein wenig unterhalten und eingekauft haben – drei Kichweihnudeln ich, ein Rosinenbrötchen sie – wenig Erbarmen mit Ihnen und Ihrem Frauengeschmack, der sich noch übler als Ihr Geschmack bei Pyjamas darstellt: Schliesslich haben Sie die Fabriksbesitzertochter mit der Sekretärin betrogen, die Sie als Manager in eben jener Fabrik erst ein- und dann zu unsagbaren Dingen in deren Bett überstellten. Ihre Frau hält die Frau, die gerade zum Ehehygieneartikel aus Latex greift und die Verpackung mit den Zähnen aufreisst, für so eine, wie man bei uns in Bayern sagt, und damit Ihnen durchaus für angemessen.
Wir puhen dazu unverfänglich und hoffen, dass wir damit genau im richtigen Fahrwasser zwischen Anteilnahme und Diskretion sind, denn nie würde es sich an dieser Stelle ziemen, eine geschmacklose Bemerkung zu tätigen. Der Eintausch einer laut Papierform idealen Ehefrau gegen eine aufreizende Büromitarbeiterin wirft ein paar sehr unschickliche Fragen auf, die zu bekräftigen oder gar öffentlich zu diskutieren nicht ratsam ist. Die Frage etwa, was alles an so einer idealen Frau falsch sein muss, dass sie am Ende weniger als eine nicht standesgemässe Affaire wert ist, und folgerichtig zurückgelassen wird. Statt sich einfach damit abzufinden, kreisen die hübschen, leicht verzogenen Bürgerstöchterköpfe um genau diese Frage: Alles hat gestimmt. Alles hat gepasst. Man hat den Partner geprüft und sich seiner versichert, man hat ein Angebot gemacht, das nicht abzulehnen war – und dann rennt er mit so einer davon. Frau die den Pyjama aussucht minus Frau die das mit dem Kondom so leidlich beherrscht ist gleich die eigene Fehlleistung und das Versagen, woran sich Monate und Jahre gepflegt verzweifeln lässt.
Der Tausch einer standesgemässen Beziehung gegen eine Mesalliance mag für den Tauschenden so logisch und selbstverständlich wie die Vereinigung von Mann und Frau sein – für die Zurückgelassenesteht plötzlich der ganze Wertekanon in Frage. Es ist nicht mehr wie früher, da die Umwelt auf mangelnde Kochkünste, einen unsauberen Haushalt oder aussereheliche Verfehlungen tippte; die sexuelle Befreiung hat eine Vielzahl anderer Möglichkeiten gelassen: Das Altern, das Aussehen, ehedem undenkbare Gründe wie Überdruss und Langweile. Es könnte daran liegen, dass der Gemahl innerlich Konzertbesuche verabscheute und mit der ganzen Familie, die man in diesen Kreisen immer mitheiratet, nicht zurecht kam. Man darf nicht nur davonlaufen, man darf es tun, ohne sich um die Konventionen für den Bruch zu scheren. Man darf es in einer Art und Weise tun, die den anderen nicht nur als Partner, sondern auch in der sozialen Stellung trifft. Das Durchbrennen mit der Erbin eines alten Vermögens mag auch nicht nett sein; es drückt aber etwas ganz anderes, bei aller Schäbigkeit des Verhaltens immer noch Respektvolleres aus, als der im Bad einer PR-Fachfrau aufgestellte Zahnputzbecher.
Und so, wie die linke Befreiung von 68 diesen soziale Schichten ignorierenden Wechsel erleichtert, erschwert der kapitalistische Rückschlag der 90er Jahre die Verarbeitung für die Verbliebene: Ehen werden geplant und durchgerechnet, auf Lebensversicherungen und Renten angelegt, mit Perspektiven auf Häuser und Karrieren entwickelt, bei allen Gefühlen sind sie auch wirtschaftliche Einheiten. Als solche haben sie beim Scheitern Abschreibungsbedarf und Resteverwertung, und Anlass zur Überlegung, warum mit der anderen trotz schlechterer Angebote die Leistungserbringung so viel einfacher zu sein scheint. Warum das Geschäftsmodell einmal in die Brüche geht, und an anderer Stelle mit einem anderen Partner floriert. Warum die finanzielle Stabilität kein Kriterium mehr ist. Warum andere es schaffen, die geforderten Leistungen zu erbringen, und sich nicht mit den Folgen einer Beziehungsinsolvenz herumschlagen müssen – nur mit der Frage, wie man als erfolgreiche Familienunternehmer nun mit dieser Pleitenfrau umgeht, die hoffentlich nicht auf die Idee kommt, andere funktionierende Geschäftsmodelle aufzubrechen. Wo sie nicht mal ihren eigenen Mann gegen so eine halten konnte. Wenn Sie eine Opernsängerin oder wenigstens eine Familienministerin genommen hätten…
Wären Sie nicht gerade schwer beschäftigt – und es liegt uns fern, Sie dabei zu stören – würden Sie vermutlich auf den Umstand verweisen, dass Sie gar keine Alternativen hatten. Im Alter um die 40 ist es heute nicht leicht, eine reiche Erbin zum Durchbrennen zu finden, die sind meistens schon vergeben, und obendrein hatten Sie das schon, und es war nicht so toll. Sie würden ausserdem darauf verweisen, dass die Frau, die Ihren Pyjama herausgesucht hat, jetzt schlecht gelaunt ist, aber schon früher war es mit ihr und ihren Vorstellungen nicht leicht. Vielleicht würden Sie auch versuchen, uns mit Hinweis auf Ihre Mittlebenskrise abzuwimmeln und in den Raum zu stellen, dass es nicht zwingend vorbei sein muss, man sieht in einem Jahr vielleicht weiter, sie kann sich die Selbstzerfleischung genauso wie die Mitgliedschaft in der Elitepartnersuche sparen – und ausserdem sollte sie, wir hätten sie doch gerade selbst bewundert, überhaupt kein Problem haben, einen neuen Partner für ihre Vorstellung des häuslichen Miteinanders zu finden.
Und dann würden Sie hinzufügen, dass wir im Schlafzimmer der Frau, die weder Ihre Pyjamas noch Ihr persönlichen Umfeld oder gar Museen voller unverständlicher Kunst heraussucht, trotz unserer herausgehobenen Stellung im Sozialsystem dieser Stadt nichts verloren haben – womit Sie natürlich im Recht wären. Dennoch halten wir es für geboten, auch bei tadeligem Verhalten auf untadelige Beachtung der natürlichen Gesellschaftsschichten Wert zu legen. Eine Frau mag irgendwann vergeben und Trost in den Armen eines anderen finden, der vielleicht auch hintergangen wurde, oder gar eine Mutter für das ihm zugefallene Kind braucht, die Zeit heilt alle Wunden und näht die Patchworks zusammen – aber die Gesellschaft ist ewig und vergisst nichts. Wir glauben, dass Sie es in dieser dummen, kleinen Stadt auf Dauer nie mehr so leicht haben werden wie damals, als Sie sich um Ihre Pyjamas nicht kümmern brauchten. Natürlich sind unsere Überlegungen rein gesellschaftstheoretischer Natur, und an der Vollstreckung würden wir uns ebenso wenig beteiligen, wie wir uns Ihr nicht gesellschaftsfähiges Sexualleben vorstellen würden. Wer sind wir denn. Doch nicht so welche.