S’Bluat laft zsam.
Bayerische Weisheit
Das ist ein Friedhof in Österreich, gleich an der Grenze zu Deutschland. Wenn man hier lebt und stirbt, erben die Erben alles. Allerdings ist es Österreich, und wie überall auf dem Balkan gab es dort naturgemäss keine 68er, sondern nur staatliche Repressalien. Der Unterschied zu anderen Balkanstaaten ist, dass die Unterdrückung nicht von einer Staatspartei, sondern von zwei Staatsparteien ausgeübt wurden, die sich die Macht teilten. Ansonsten war es wie halt sonst auch im Ostblock: Die Moderne des Westens war fern, man machte weiter, die Winter waren lang und kalt, also zeugte man weiter Kinder, wenn man nicht die Krone las, und folglich ist das mit der Erbschaftssteuer eh wurscht, weil der Österreicher im Todesfall zig Erben hat, die sich um in Leder gebundene Jahresausgaben der Krone, des Osservatore Romano, die Bibliothek der Landser- und Loreromane und die Einweckgläser prügeln. Da bleibt nicht viel für jeden übrig, was man besteuern könnte.
Gestorben wird hüben und drüben, aber auf der deutschen Seite hört man im lieblichen Tegernseer Tal, das sich bald hinter der Grenze öffnet, eher andere Dinge: Erfolgreicher Unternehmer A. traf im Alter von 75 beim Berglauf der Herzinfarkt. Immobilienmakler B. mit 72 und 2,7 Promille mit dem Porsche in den See gefahren und ertrunken. Dortselbst Selbstmord von der alkoholkranken C., Witwe des bekannten Düsseldorfers D.. Investmentprofi E. beim Paragliden im Alter von 70 70 Meter tief gestürzt. Es ist, das darf ich als Anwohner bemerken, das Sterben an diesem See naturgemäss nicht billiger, aber gleich tot ist man nachher trotzdem. Und es sterben nicht nur die Dementen in den Heimen des Vegessens im finsteren Kreuth, sondern auch die noch aktiven, jugendlichen Vollgasalten. Die kinderlosen Ex-Maobibelauswendiglerner, die die Kurve zum Ferrari noch rechtzeitig bekommen haben. Und die es nicht wahr haben wollen, dass mit über 70 auf einen eher der Tod denn die junge Studentin hinter der nächsten Ecke wartet.
Und gerade zur beginnenden Skisaison stellt man sich deshalb schon mal besser seelisch darauf ein, dass nicht jeder Alt68-Aktive seinen Apres-Ski jenseits der Kühlräume der Krankenhäuser begeht. Als “Erbonkel” oder “Erbtanten” haben sich die Betroffenen natürlich nie gesehen: Geboren im Wirtschaftswunder, demonstriert in Berlin, vieles ausprobiert und im Wohlstand beschlossen, dass sie es mit mehr oder weniger lockeren Partnerschaften bis zum Ende aushalten, ging es ihnen zeitlebens bestens. Da denkt keiner gerne an den Tod. Testamente werden nicht gemacht, man sieht sich auch nicht in der Rolle der Förderer irgendwelcher Kinder, die weniger auf Vollgas bedachte Geschwister zur Welt brachten. Im Prinzip muss das Geld nur für sie reichen – Zielzeit 95 Jahre nach Geburt. Senst sie der Tod bereits mit 70 von der Bar des Sugar Shake in Rottach Egern (keine Phantasie ist schlimmer als die Realität in diesem Tale), stehen die Erben in Deutschland schlecht da, wenn der Tote auch nur ein paar lumpige Hunderttausend in Barschaft und vier Häuser hinterlässt: Dann senst auch das Finanzamt mit der Erbschaftssteuer. Und das nicht zu knapp.
Bis vor drei Jahren konnte man dem übrigens entgehen, wenn man, wie viele Reichere hier, zum Sterben nach Österreich ging, wo es diese Steuer nicht gibt. 2007 wurde das den deutschen Schröpfbehörden zu viel, man kündigte das Doppelbesteuerungsabkommen mit dem Balkan, und somit gab es auch keinen Grund für viele hier residierende Reiche mehr, sich über der Grenze eine kleine, formelle Wohnung zu halten. Nur war derlei Vorsorge den Altaktivisten ohnehin stets sehr fremd, und im Gegensatz zu ihren Vorfahren, die sich ohne eigene Nachkommen der Jugend in der Familie annehmen, ist es ihnen zudem egal, was nach ihnen einmal kommt. Würde man ihnen sagen, dass für Neffen und Geschwister gerade mal Steuerklasse II mit lausigen 20.000 Euro Freibetrag gilt, und man schon ab 300.000 Euro 25% und ab 600.000 Euro 30% Steuern zahlen muss – sie wüssten es nicht. Sie haben nicht darüber nachgedacht. Fatal für die besseren Kreise, die es oft schon in den 50er Jahren bei zwei Kindern belassen haben: Dort steht dann das reiche, schwarze Schaf der Familie oft nur einem Bruder und einer verbleibenden Nichte gegenüber. Wären es derer 10 junge Damen, alles würde sich steuervermeidend bestens im Clan aufteilen.
Für bessere Clans, die ohnehin in der Überzeugung leben, der Staat würde ihnen stets alles, aber wirklich alles nehmen, sind dergleichen Aussichten natürlich wenig erbaulich, selbst wenn der Erbonkel als guter, alter Street Fighting Man die Tafelpapiere rechtzeitig dem Zugriff des Staates entzogen hat, und die beeindruckende Sammlung antiker Möbel ebenso als wertlos umschrieben werden kann, wie der in der Dreifachgarage rostende, na gut, einen Rostpickel habende und fast nicht mehr fahrtüchtige 190 SL mit karlmarxrotem Leder. Die Petitessen so eines Erblassers bekommt man stets in Griff, aber im Grossen hat man fast keine Gegenwehr gegen das Finanzamt: Da heisst es dann abwägen, ob man die Villa mit Bergblick aufgibt, an der so viele Erinnerungen hängen, oder doch eher die erbtechnisch nutzlose Wohnung in der südlichen Schweiz, oder die Aktien. Früher war das mit dem Wohneigentum und der Bewertung noch eine lockere Sache, da konnte man auch Bestlage im Münchner Süden fast zum Nulltarif erben – heute verlangt der Staat auch hier Ehrlichkeit. Als ob die besseren Kreise solche sein würden, wenn sie immer ehrlich wären.
Nur ein theoretischer Ausweg aus diesem Dilemma wäre es dagegen, wenn es den Erbonkel nicht im Sugar Shake in Rottach-Egern (doch wirklich. Das gibt es) sofort dahinrafft, sondern er zu später Stunde noch im Night Club des Bachmair am See oder im Stylealbtraum des Hotels Überfahrt kinderfreudige und entsprechend aufgehübschte Bekanntschaft macht. Mit 50 mag das Kinderkriegen langfristige Probleme bereiten, aber mit 70 kann es einem wieder so egal sein, als wäre man als Landespolitiker in Berlin. Genauso irrelevant könnte für einem in dieser Lage auch das gerümpfte Näschen der Nichte sein, wenn man in diesem Alter doch noch das Eheglück und einen steuerlich bessergestellten Partner für die letzten Wochen und Monate findet. Man kümmerte sich 69 beim Prozess wegen Drogenbesitz nicht um das Ansehen der Familie, warum sollte man es mit 70 jetzt tun? Aber, wie schon erwähnt, ist die Steuervermeidung um diesen Preis nun auch nichts, was man in klassischen , gutbürgerlichen Familien neben solchen, also solchen Neuzugängen sehen möchte.
Hungerleidende und ahnungslose Journalisten sprechen ja gern von der sogenannten “Erbengeneration”, ohne das Kernproblem zu erkennen: Hier laufen drei fatale Entwicklungen zusammen. Da sind die kinderlosen, schwarzen Schafe, da sind die bessergestellten Kleinfamilien in ihrem Umfeld, und ein Staat, der seine Gesetze offensichtlich noch an den Idealen der 50er Jahre orientiert, als auf die alt’Tant’Teres noch 40 Erbberechtigte und ein gigantischer Familienstreit wegen des geklauten Rubinschmucks nachfolgten. Da konnte man mit läppischen Freibeträgen leben, da blieb wenig genug für jeden. Heute wäre genug für alle Verbleibenden da – aber dann drängelt sich der Staat hinein und tut, als ob er Teil der Familie wäre. Ein Blick auf die Finanzbeamten in Miesbach und Bad Homburg jedoch zeigt, dass dem nicht so ist: Schäbig, schäbig ist das alles, und dennoch wollen sie selbst für kleinste Millionenvermögen 30%.
Also muss man verkaufen, Positionen auflösen, und zumeist steht den Nichten nicht der Sinn nach Wohneigentum in fernen Regionen. Es bringt die Rottacher Villen auf den Markt, und die alten, grossen Grundstücke im Münchner Süden, die man sich nach dem Steinewerfen und ein paar Jahren als Anwalt durchaus leisten konnte, es ruft Bauentwickler auf den Plan, die auf 4000 m² Platz für 10 Toskanabunker “in Bestlage” sehen, auch wenn Wohnungsgrössen ab 50m² mit Gartenanteil das Gegenteil verheissen. Das alte Gesetz des Haltens und nicht mehr Hergebens, das uns vermögend machte, wird aufgebrochen durch einen Staat, der nicht bereit ist, die veränderten Lebensgewohnheiten seiner Bürger zu berücksichtigen. Da muss es einen nicht wundern, wenn die Alt-68er nochmal Vollgas geben: Besser das Geld verjubeln, als es dem Staat geben. Und für die Nichte aufschreiben, bei welcher Bank in der Schweiz die Tafelpapiere vom Grossvater liegen, der das steineschmeissende, systemkritische Kind letztlich doch lieber als den Rechtsstaat mit einem Erbe versah. Bei Steuern werden wir schliesslich alle zu Anarchisten.