Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Die transatlantische Wertegemeinheit

Amerika ist grösser als Österreich, wirtschaftlich stärker als Griechenland, und kann sich als letzte verbliebene Supermacht sogar einen Krieg mit Stämmen in den schlechteren Vierteln Pakistans, Afghanistans und des Jemen leisten. Das ist schon einiges, aber leider nicht genug, um in den besseren Vierteln Europas wirklich verstanden und geschätzt zu werden.

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Rawstory über Waterboarding und 5 Millionen Dollar Versicherungssumme für Folterer

Ich will da hin, sagt das Kind. Da gehen wir nicht hin, sagt die Mutter. Ich will aber, zeigt das Kind unfolgsam das ganze Elend der modernen Erziehung auf. Kommt gar nicht in Frage, versucht die Mutter zu retten, was noch zu retten ist, und schleift das protestierende Balg weiter: Da gehe man nicht hin, das sei ungesund, und sie würde da nicht hinein gehen. Später, am Stand der Schmalzbäckerei, treffe ich sie wieder. Das Kind bekommt eine nicht gerade schlank machende Quarkspitz geschenkt, und die Mutter kauft kräftig ein. Ihre grosse Einkaufstasche kommt aus dem französischem Hause Louis Vuitton. Das vorher vehement abgelehnte Restaurant stammt aus dem amerikanischen Hause McDonalds.

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Und später wird die Mutter ohne jeden Zweifel ihre Tochter in das humanistische Gymnasium stecken, in dem sie selbst auch schon war, und es entsprechend gehasst hat. Aber am Ende werden die Bildungsdünkel siegen. An dieser Anstalt unterrichtete in den späten 70er Jahren ein Lateinlehrer, der den Einmarsch des amerikanischen Schnellessens nicht hingenommen hat, und nach der Schule vor dem Lokal seine Schüler abfing. Einer von ganz alten Schlag. Der machte das nicht lang, dann protestierten die Mütter: Das sei doch so praktisch, die Kinder wollten das, das könne man ihnen nicht verbieten, und diese vorgestrigen Ideologien, die der Mann vertrete, passten nicht mehr in die Zeit. Der Lehrer wurde auf Linie gebracht. Und die Schulerinnen von damals verbieten ihren Kindern heute, dort einzukaufen. Vor dem Schnellrestaurant kleben so viele Kaugummireste wie sonst nirgends auf der Strasse: Da sieht man, was für Leute dort noch verkehren.

Sollte Julian Assange noch ein Weilchen in Europa bleiben und sich hierzukontinent der Auslieferung an die USA erfolgreich wiedersetzen, wird man in der amerikanischen Presse vermutlich auch wieder vieles über den Amerikahass der Europäer lesen, die fraglos dem Projekt “Wikileaks” aufgeschlossener gegenüber stehen, als der durchschnittliche Landwirt des amerikanischen Mittelwestens. Und tatsächlich bekommt selbst ein Autor dieser Zeitung, der einem “fairen Prozess” für Assange in den USA das Wort redet, massive Widersprüche in den Kommentaren, die man ganz vorzüglich als Beleg für diese Annahme  verwenden könnte: Nicht einmal in der FAZ-Leserschaft ist das transatlantische Vertrauen auf den Rechtsstaat USA besonders ausgeprägt; vielleicht ist das bei der “Welt” noch anders, aber die wiederum ist eine Zeitung – also, manchmal legen irgendwelche Leute diese Zeitung vermutlich als Probeexemplar aus, und in meinen Kreisen würde man damit vielleicht einen Big Mac einwickeln, damit er den Mülleimer nicht beschnmutzt.

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Ich jedoch möchte darauf hinweisen, dass der Umgang mit Wikileaks weniger ein Anlass für einen neuen Ausbruch von Feindseeligkeiten ist. Durchstechereien und veröffentliche Geheiminformationen mögen nicht zwingend allen gefallen, aber die Inhalte der Depeschen und die amerikanischen Reaktionen darauf haben die unerfreuliche Nebenwirkung, dass man sich sagen kann: Hab ich mir gleich gedacht. War ja nicht anders zu erwarten.  Bessere Kreise leben nun mal von der Beständigkeigt ihrer Werturteile, und dieser weiteren Bestätigungen des Tststs über die letzte Supermacht hätte es nach der nicht überstandenen Finanz– und Bushkrise nicht bedurft. Die USA sind ein wenig wie ein entfernter Bekannter, von den man nur noch über Dritte hört, und da ist wenig Gutes zu hören. Kleinigkeiten, sicher. Aber man wünscht sich, dass die am anderen Atlantikufer bleiben. Oder auch am Pazifik.

Der ganze Komplex der Tea Party Bewegung: Absolut unvermittelbar in den Westvierteln Westdeutschlands. Der Versuch, die Evolutionslehre zugunsten geschickter Bibelinterpretation zurückzudrängen: Peinlich. Dergleichen in den Schulen durchzusetzen: Vollkommen irre. Der Irakkrieg: Geht gar nicht. Frau Palin: Kommen Sie doch mal irgendwann auf einen Tee vorbei, vielleicht, wenn Sie mal da sind, aber rufen Sie bitte vorher jederzeit an, wirklich. Die Freakshow von Fox News: Absolut undenkbar. Egal, wie viele deutsche Politiker Shows in Afghanistan machen: Für die Verteidigung der westlich-amerikanischen Freiheit am Hindukusch oder was davon übrig ist gibt es keinen Rückhalt. Bei unseren Bauern hängt an den Höfen der Aufruf, sich für einen gentechnikfreien Landkreis einzusetzen: Monsanto ist dort inzwischen das, was früher der Leibhaftige gewesen ist. Bleibt vielleicht für Jüngere noch die Unterhaltungsindustrie: Die wiederum gilt in Amerika als viel zu frivol und unamerikanisch, und kommt von der Ost- oder Westküste. Wo nach amerikanischer Vorstellung ohnehin unamerikanisch umgetrieben wird. Ganz im Gegensatz zu den Hockey Mums in Alaska.

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Ansonsten knattern die Zahnräder des Kulturtransfers haltlos über ihre Spitzen hinweg: Unter Bush hat man darauf verzichtet, dem alten Europa etwas zu erklären, unter Obama hat man damit nicht wieder begonnen, und es hat auch den Anschein, als gehörte es zum Betragen einer Supermacht, auf derlei verzichten zu können. Ignoranz kostet nichts, und man kann sie sich im Gegensatz zu Waffen, Medikamenten und Öl auch leisten, ohne bei den Chinesen Kredite aufnehmen zu müssen. Die Igonranz geht schon in Ordnung: Auf die Schnelle fällt mir auch nichts ein, was man sich von Amerikanern gern erklären lassen würde. Wer will, kann die Erklärungen brühwarm bei Wikileaks nachlesen.

Und dann ist da noch die Sache mit dem, worüber man absolut gar nicht, nie, unter gar keinen Umständen spricht: Die Verschuldung. Bei den meisten Eltern von Bekannten habe ungefähr einen Überblick über die Vermögensverhältnisse; zumeist sind es die “kleinen Millionäre”, was heute nicht mehr viel bedeutet und nach weiteren drei, vier Jahren des Gelddruckens noch viel weniger. Aber nichts weiss ich über aufgenommene Kredite. Wenn man überhaupt etwas hört, geht es in die Richtung, man habe die lächerlich günstigen Zinsen genutzt, um sich noch eine Immobilie als Inflationsschutz zu kaufen, die sich in den nächsten Jahren selbst abzahlt. Was aber vollkommen undenkbar ist, wäre ein Eingeständnis, den Porsche durch eine Hypothek auf das Haus finanziert zu haben. Die Amerikaner jedoch, mussten wir lernen, sind Leute, die eine negative Sparquote haben und jetzt erst mal Schulden tilgen müssen, wenn sie das überhaupt noch können. Das steht über die in der Zeitung. Das ist bei denen vollkommen normal. Bei aller Toleranz ist das ein Verhalten, das absolut, vollkommen, ohne jede Debatte und definitiv überhaupt nicht geht. Es gibt wenig, was undenkbarer wäre; vielleicht, würde man in einem amerikanischen Van vorfahren, durch das für die Nachbarn immer offene Gartentor marschieren, mit dem Schuh an die Tür treten und einen Eimer Wasser für das Waterboarding verlangen; man habe da so einen australischen Terroristen dabei und ein paar Fragen an ihn – das wäre noch weniger akzeptabel. Aber pleite und damit in der Zeitung! Schlimm, sagt man bei uns, und wendet sich wieder wichtigeren Themen zu. Wie etwa der Zubehörliste für den neuen A6. Welches Leder nehmen wir denn.

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Gerne sagt man, Amerika sei die letzte verbliebene Supermacht. Das mag stimmen, solange man genug Leute findet, die daran glauben. Ich würde das nicht bestreiten wollen; allerdings, mag mir scheinen, gilt bei unsereins Amerika in etwa so als die letzte Supermacht, als es hier bis vor einem Jahr auch einen letzten Textilhersteller gab, oder in ein paar Jahren die letzte Raffinerie dicht gemacht wird. Und so wie bei der Raffinerie wünscht man sich aus, dass es bis dahin nicht zu grösseren Unfällen kommt. Das mag nicht wirklich nett sein, und es geht auch nicht mit einer Wertschätzung von Russland oder China einher – aber nachdem das Interesse der betroffenen Supermacht sich ohnehin auf das Bekämpfen von Hirtenvölkern, das Verfolgen schmächtiger Australier und das Drucken von Geld und Schuldscheinen verlagert hat, wird es ihnen egal sein, wie man das bei uns in den Westvierteln des Alten Europas sieht. Nur ihr Fast Food Konzern möchte uns weis machen, er sei auch ein Cafe. Sicher. Aber für was für Leute! Das Amerika unter den Cafes. Da kann man wirklich nicht hin.