“Auf geht’s zur Oma!”
Aktueller Titel von Nido
Meine Grossmutter hatte natürlich immer Recht, und so auch in jenen Momenten, als sie auf den nicht zu leugnenden Sachverhalt hinwies, dass wir ja irgendwo hin müssen mit unserem Besitz. Damit meinte sie nicht, wie spätere Generationen, die Schweiz, sondern eben jene späteren Generationen: Anhäufen ist richtig, Besitz ist wichtig, aber am Ende muss da jemand sein, dem man es weitergeben kann. Meine Lösung des Problems – alles durchbringen bis auf den letzten Cent und hochscherschuldet in Luxus und Amoral sterben, was sich bei Wikipediaeinträgen immer besonders gut macht – erschien ihr nicht als gangbarer Weg.
Folglich war sie nicht weniger päpstlich als der Papst, wenn sie die “Schei…-Pille” verdammte, sonst nämlich hätte mich längst schon eine “eingfanga” und wir hätten “wieda a Kind im Haus, wia sich des ghert.” Sagt man bei uns in Bayern “wie sich das gehört”, wird damit zweierlei ausgedrückt: Weitere Debatte überflüssig. Und die Grossmutter hat wie immer Recht. Dann wechselten wir das Thema in Richtung zu meinen Ernährungsgewohnheiten, die fleischhaltiger und fetter sein dürften, damit ich ein “gstandnes Mannsbuid” werde. Wobei das eine mit dem anderen in seiner Logik zusammengehörte – damals waren Merkmale wie “dünn” und “körperlich beschäftigt” eher Attribute der armen Leute. Zur Fortpflanzung wurden damals eher die dicken, zufriedenen Privatiers bevorzugt, deren Anlagen in mir übrigens mehr als ausreichend vorhanden sind.
Heute ist das jedoch anders, und auch daran mag es liegen, wenn ich am 25. Dezember am frühen Morgen mit irgendwelchen, sonst in dieser Stadt nicht anwesenden Leuten beisammensitze, und mich über die Veränderungen des abgelaufenen Jahres unterhalte. In meinem Alter ersäuft man die Trauer über die verschwindende Jugend gern in Wein, den man nicht mehr so wie früher zu Nikolaschka- und Betonmass-Zeiten erträgt, und in dieser einen Nacht löst es die Zungen und alle reden in Sprachen, derer sie sich in ihrer Bank, der Kanzlei, dem mittelständischen Unternehmen oder wieder daheim bei ihren Eltern nicht befleissigen würden. Wir können das, wir müssen nicht nach Hause und uns um Kinder kümmern, das bleibt jenen vorbehalten, auf deren Gesundheit und Andenken hier getrunken wird. Früher hatten wir jährlich Verluste zu beklagen, inzwischen sind wir kampfgestärkt und hochmotiviert, was die erfolgreiche Kindervermeidung angeht. Böse Zungen würden vielleicht sagen: Wir nähern uns dem Alter, in dem man keine Schei…-Pille mehr braucht.
Trotzdem ist noch nicht alle Hoffmung vergeben, zumindest nicht bei der Generation, die uns hervorgebracht hat. Die Generation, die es nicht nötig hatte, sich aufputschende wie unterkluge Beschreibungen wie “Supermammi” unzuhängen, weil die Frauen Erziehung und Beruf unter einen Hut brachten – bei uns hiess das noch abwertend “Glucke”, was jetzt durch die Hintertür mit SUV, Bugaboo und vernidot wieder in den Diskurs walzt, und sich auch auf Dauer nicht in Berlin-Mitte endlagern lassen wird. Das waren halt Eltern, für die Scheidung ebenso wenig eine Option für das Leben war, wie die Realschule für ihre Kinder, und die nicht 24/7 irgendwelche Rückmeldung brauchten, was für tolle Eltern sie sind. Der Vorteil: Wir hatten eine gute Erziehung und waren nicht Ergebnis einer Psychotherapie unzufriedener Falschverheirateter. (Wenn ich ehrlich sein darf: Mag ja sein, dass wir beim Kinderkriegen Versager sind – die anderen sind Versager beim Kindernichtkriegen. Darauf einen Nikolascka, wie früher). Der Nachteil: Echte Eltern mischen sich auch weiterhin ein. Nur etwas anders als ihre eigenen Eltern.
Einer der beliebten Sprüche, die wir zu hören bekommen, kommt ganz subtil daher: “Will Deine Freundin/Dein Freund/etwaig irgendwann kommender Geschlechtspartner bei momentanem Singledasein nicht doch vielleicht irgendwann mal Kinder?” Die Frage wird nicht nur einmal, sondern alle paar Wochen gestellt, natürlich auch zu Weihnachten, und es ist so eine Art Warnsystem: Sollte die Empörung einmal nicht so drastisch und resolut ausfallen, sollte statt einen “Nein” ein “Naja” erklingen, weist es auf einen weichen Punkt hin – vielleicht tut sich ja was, vielleicht ändert sich eine Einstellung, und vielleicht kann man da etwas weiter bohren. Gibt es Torschlusspanik? Hat der andere einmal zu oft versäumt, sich die Schattenseiten des Kinderkriegens zu vergegenwärtigen?
Das Unschöne ist: Man kann bei diesem Spiel nur verlieren. Natürlich gibt es rationale Erklärungen für Kinderlosigkeit – aber keine ist so gut, als dass sie nicht mit einem “Ah geh” abgetan werden könnte. Es folgt ein “Wir haben damals doch auch und obendrein noch und trotz diesem und jenem ist es gelungen und sogar als Du damals 10 Semester mehr haben wir und erinnerst Du Dich noch an den Sportwagen und das ging doch auch also das sind doch alles keine Argumente”. Der Subtext lautet: “Es geht Dir doch gar nicht ums Kinderkriegen. Du hast Angst davor, es nicht so wie wir zu packen.” Und leider ist der Subtext gar nicht mal so falsch. Also, ich will trotzdem keine Kinder. Aber
Aber Kinder im Sinne der die Eltern aufziehen ist nochmal etwas anderes, als auf dem Flohmarkt auf dem Arkonaplatz orangen Plastikmüll der 70er Jahre für die Küche kaufen, oder darauf zu achten, dass die Kinder schon mit 4 Jahren im richtigen Kindergarten und später in einer Protzschule mit latinisierter Endung abgeladen werden können. Auf der einen Seite sind da aber Zwänge durch das soziale Umfeld, die es früher nicht gab – bei uns wurden Kinder nur ins Internat oder an kirchliche Schulen geschickt, wenn sie zu dumm oder zu gewalttäig waren. Niemals wäre es unseren Eltern eingefallen, uns wegen 2 Zentimeter Schnee mit dem Auto an der Schule abzuholen. Auf der anderen Seite war Erziehung damals wohl auch mit erheblich mehr Aufwand verbunden, angefangen beim ordentlichen Benehmen bis zu einem gesellschaftlichen Umfeld, das in Bezug auf Verfehlungen reichlich intolerant war – Eltern hafteten nicht nur finanziell für ihre Kinder. Ungeachtet dessen stimmt es natürlich: So wie früher kann man heute Kinder nicht erziehen. Selbst, auch das eine Erkenntnis am frühen Morgen des 25. Dezember, wenn wir uns einig sind, dass Kinder weder ein Mobiltelefon für Gewaltvideos noch ein Internet oder gar Computer für Mörderspiele bräuchten – wir wären vermutlich das Schlimmste aus beiden Welten.
Nachlässig, weinerlich und inkompetent wie die Nido-Supereltern, und völlig rückwärtsgewandt und überzogen, gehärtet und für die Moderne ruiniert von den Ansprüchen unserer eigenen Eltern. Gut, vielleicht ist es auch wirklich nur so, dass wir einfach keine Kinder wollen, sehr wahrscheinlich sogar – aber diese These hat einen entscheidenden Vorteil: Sie vermag es, die eigenen Eltern zufrieden zu stellen. Denn weder finden sie selbst Gefallen an dem, was momentan den von ihnen erarbeiteten Ruf des Wortes “Eltern” ruiniert, noch sind sie in der Lage, auf das gierige Schlucken der Anerkennung ihres damaligen Tuns zu verzichten. Zu verführerisch ist das Eingeständnis, dass sie es wirklich besser konnten. Echte Eltern kriegt man am Elternstolz. Nur Supermammis brauchen Nido.
Ich bin mir sicher, dass diese von Kinderlosen in leicht bezechter Stimmung ersonnene Strategie erst mal eine Weile funktionieren sollte. Zu sehr sollte man die eigenen Eltern dabei natürlich nicht verwöhnen und loben, sonst zieht das “Wenn Ihr mir mit 4 Jahren mehr Spielzeugautos/Barbiepuppen gekauft hättet, würde ich jetzt nicht durch diese Zurücksetzung gefrustet bei der Mille Miglia mitfahren/Teresa ausräumen”. Nächstes Weihnachten, wenn es sich abgenutzt hat, und wir alle wieder ein Jahr älter und die Partner immer noch unwillig sind, werden vermutlich in Tradition der Grossmütter jüngere, zeigungsfähige Alternativen offeriert, wofür man wiederum neue Antworten braucht. Aber irgendwann ist man einfach zu alt. Und hat seine Ruhe, solange man nur die Polizei oft genug ruft, um Nidomammis abzuschleppen, die ihren Panzer vor dem Haus in der Feuerwehrzufahrtszone vergessen haben.