Durch den Verzehr dieses mit Zynismus belasteten Beitrags ist keine unmittelbare gesundheitliche Beeinträchtigung zu erwarten.
Ich mache mich vielleicht nicht sonderlich beliebt, wenn ich das sage: Aber wer ein monatliches Einkommen von mehr als 2500 Euro brutto und nun Bauchschmerzen wegen verzehrter, eventuell mit Dioxin vergifteten Eiern hat, der tut mir nicht wirklich leid. Selbst die extremst teuren Eier am Tegernsee drüben in Gasse direkt vom Hof, wo man sich im Sommer auf der Wiese anschauen kann, welche Hühner die Eier legen, und vorsichtig fahren muss, weil die Viecher hier frei rumrennen, kosten nicht mehr als 25 oder 30 Cent. Wer im Monat 30 Eier verbraucht, zahlt fünf bis sechs Euro mehr, als für die schlimmsten Eier aus der widerlichsten Produktion in allerscheusslichsten Geschäften.
Ich weiss auch, dass nicht jedes Huhn so eine wunderbare Aussicht haben kann. Aber von Besserverdienden kann man wenigstens erwarten, dass sie sich ausrechnen können, wie sich der Preis eines Produkts auf die Produktion auswirkt. Mit ein wenig Glück fügt Dioxin der Sache eine neue Note dem eher faden Geschmack hinzu, der mit all den Nebenaspekten der Massentierhaltung in Verbindung zu bringen ist. Kann sein, dass Dioxin schädlich ist, aber an den Hühnern zeigt die Marktwirtschaft, wie man solche Gefahren trotzdem ausschliesst: Wer früher stirbt, bekommt später keinen Krebs. Wer gut verdient und mit seinem Geld länger leben will – nun, ich teile auf Anfrage gern die Adresse des Dorfladens in Gmund mit.
Ausserdem finde ich, dass sich Reiche, Erben und Gutverdienende da sowieso nicht so haben sollten: Auch wir müssen irgendwann an irgendwas sterben, die einen beim Abflug in die Botanik bei exzessiver Freizeitgestaltung auf dem Rodel und die anderen unheilbar in einem teuren Sterbehotel bei Rottach. Nehmen wir mal an, ich gehe in der letzten Kurve ab, weil ich nicht die Unhöflichkeit besitze, eine Gruppe von Bad Homburgern, die in der Kurve rastet, niederzunieten: Dann steht das in der Zeitung, und entweder kauft man sich einen Helm, oder man löst das Problem an der Wurzel und verbietet Bad Homburgern den Zugang zum Tal. Bei Dioxinlebensmitteln ist es nicht anders: Vielleicht sind die frühen Erben dann so klug, Papas Porsche nicht mehr, wie das heute oft in der Zeitung geschrieben steht, vor dem Discounter abzustellen. Manchmal ist Darwinismus selbst in besten Kreisen ebenso vulgär wie effektiv, und wirklich vornehm schweigen in Zeiten wie diesen ohnehin nur die Toten. Ich bevorzuge es dagegen, oben auf dem Berg noch einmal gut zu speisen: In meiner Lieblingshütte tun sie keinerlei Flüssigei in den Quarkkuchen. Und dass nun sogar die Briten Kuchen mit deutschen Eiern aussortieren, sollte einem wirklich zu denken geben.
Nett sind die Alternativen natürlich nicht: Ich bin da, wenn Sie mir das Eingeständnis erlauben, selbst auch betroffen von so einem Missgeschick gewesen. Eines schönen Tages wurde ich in das weniger schöne Düsseldorf eingeladen, um dort mit Journalistenschülern zu reden. In der Pause gingen wir zu einem mir bis dahin unbekannten Ort: Demokratisch und volksnah in die Kantine, wo es normale Journalisten mit journalistischen Tischsitten gab. Ich bestellte vegetarisches Kartoffelgratin mit mutmasslich Salmonellen; letztere hatte man jedoch auf dem Speisenkartenersatz anzugeben vergessen. Vielleicht lag es auch nur an meiner fehlenden Abhärtung durch die Unimensa, aber nicht mal in Rottach-Egern hätte man, alles Folgende zusammengerechnet, teurer und schlechter essen können. Seitdem bin ich zwar kein Anhänger der Klassentrennung, aber ich passe sehr genau auf, wo ich esse: Ei nur in Lokalen, von denen ich einen guten Eindruck habe. Nie wieder Düsseldorf. Und inzwischen kann ich auch ohne schlechte Erinnerungen wieder Gratin kochen.
Auch das ist Darwinismus; nicht angenehm, aber es hat funktioniert, und mit etwas Glück erinnert das Klein-Seveso in Flüssigei, Eiernudeln, vermutlich auch in Schweinefleisch und anderen Dingen nicht nur an die Sterblichkeit, sondern auch an die Pflicht der besseren Arten zur Anpassung: Zur Anpassung nach Oben nämlich. Überleben ist heute keine Frage der Essensmenge oder der Sparsamkeit mehr, sondern eine Frage der Vermeidung dessen, was langfristig sicher nicht gesund ist. Und wir haben nach hinten hinaus, zum Rentiersdasein und Goldenen Herbst des Lebens noch eine Menge Zeit, die man besser nicht frühzeitig mit dem falschen Gift wenig erbaulich gestaltet. Natürlich ist Dioxin nicht gerade der sanfteste Weg, uns daran zu erinnern: Es gibt höflichere Arten der Ansprache. Aber Dioxin hat den nicht bestreitbaren Vorteil, in dieser Hinsicht zu funktionieren.
Vielleicht ist es auch Knauserern und Freunden des “Ach es ist ja so billig dort” damit dauerhaft einzubläuen, dass man wegen ein paar Euro nicht so haben soll. Dass es der Lebensfreude wie auch dem Geldbeutel sehr zuträglich ist, mit Eiern kochen zu können, wenn andere die Majonaise in den Müll werfen. Wie man jetzt erfährt, haben die Dioxinlieferanten wohl auch an solche preisbewussten Vertreter der besseren Kreise gedacht, und das Gift entsprechend niedrig gepanscht, so dass es nicht so arg schlimm über den Grenzwerten liegt: In meinen Augen ist es dennoch kein Sozialprestige, zu Nahrungsmitteln mit kalkuliertem Giftzusatz zu greifen. Sozialprestige ist es, das Gift jenen zu überlassen, die es trotzdem kaufen – gerne übrigens auch mit dem Hinweis, es gäbe nicht genug Bioprodukte für alle. Und man habe jetzt keine Zeit, zum Bauernhof zu fahren.
Natürlich wird auch dieses Debakel nicht alle restlos überzeugen. Man wird auf die Futtermittelindustrie schimpfen, die Bauern werden als Betrogene weinen, und ihre Lobby wird gar keine Debatte aufkommen lassen, was für abartige Produktionsmethoden und Preisdiktate es sind, die es profitabel machen, für einen Bruchteil eines Cents pro Ei mit Dioxin vorlieb zu nehmen. Es ist eine gar nicht so angenehme Kette vom Gift im Fett über das Gift im Tierfutter, im Tier, beim Massenviehhalter und im Supermarkt bishin zum Verbraucher. Bis deren bessere Vetreter begriffen haben, dass es eine enorm schlechte Gesellschaft ist, an der man sich da beteiligt, wird noch viel Dioxin gepanscht werden müssen, aber ich bin zuversichtlich, dass der Kostendruck und die Sparsamkeit irgendwann zu einem nachgerade gewaltsamen Umdenken führen werden – wenn man erst mal begriffen hat, dass es nicht um Grenzwerte von Gift geht, sondern darum, kein Gift essen zu müssen. Und da ist Dioxin sicher besser geeignet, als harmlos scheinende Fischstäbchen oder Formschinken.
Der Dioxinmarkt wird das alles fraglos regeln, und ich mache mir wenig Illusionen, dass es dereinst einen sichter giftfreies Kühlregal für Convenience Food gibt – davor gibt es den garantiert keinerlei Einfluss auf die Politik nehmenden Parteigrossspender. Wirklich zu bedauern sind nur die Konsumenten, die man mit Harzt IV dazu zwingt, minderwertiges Zeug zu kaufen. Der Rest sollte sich daran gewöhnen, dass Salmonellen, Dioxin, Glycol, Geschmacksverstärker, Schlachtabfälle, Rinderwahn und jede Menge Tiermedizin einfach in den Rabatten integriert sind. Das ist wie bei Investitionen mit hoher Rendite: Da steigt die Unsicherheit. Natürlich mag der ein oder andere Krankheitsfall unschön sein, aber wie man mir versichert, geht das letztlich in der Statistik unter, so global betrachtet. Und als Reicher hätte man durchaus die Möglichkeiten gehabt, sich zumindest um eine Verhinderung solcher Probleme aktiv zu bemühen. Für den normalen Menschen mag deshalb Dioxin in der Nahrung ein Verbrechen sein; für meine Kreise ist es die Möglichkeit, am eigenen Genpool zu arbeiten.