Die nachfolgend dargestellten theoretischen Betrachtungen gründen sich auf langjährige praktische Erfahrung auf dem Bauplatze.
Le Corbusier
Hallo Don Alphonso
… damals in der New Economy waren wir… Pool in Elmau… und wie Du Dich erinnerst bin ich doch dann… jetzt bin ich in Berlin… mache das Eventmanagement für… und für […] machen wir eine grosse Party im […] zur Modewoche… die wollen natürlich auf alle Kanäle… und was meinst Du, wäre das nicht was für Dein Blog… die […] kommt auch, aber ich dachte, sowas wie damals, beim First Tuesday… Du kannst ruhig über die herziehen, das darf und soll böse sein… Je fieser desto besser… Kosten tragen wir natürlich… Schöne Grüsse Deine X.
Liebe X.,
[vorgeschobene Termingründe für Absage, aber weil die X. wirklich eine Nette ist, auch Einladung zum Rodeln] Dein Donniboy
Hi Don,
echt, das wäre mal was… total nett von Dir… würde so gerne mal wieder in die Berge… aber es ist doch echt schade… ich hab Dein Blog gelesen… ein wenig Metropole und Weltstadtsociety wäre doch mal was Spannendes… ich führ Dich rum… Du haust rein… wie 2001 bei diesem Typen, der dann schnell nach München musste, weil der Staatsanwalt seine Firma hops nahm… ich mein, es ist Berlin, solche Geschichten gibt es gerade bei der Modewoche Dutzende… also gib Dir einen Ruck und komm, das wird wieder wie damals… Dein Xilein
Liebe X.,
oh ja, das wäre echt toll, aber das Hinterhaus, und dann ist da noch eine Rohrsache und die Erziehung von unfolgsamen Müttern vor meiner Einfahrt… ja das damals, das war lustig… aber leider… ich wäre wirklich gern… und die g’schmierten Burdahüpferl von Lös Bradsn hätte ich sowas von unterge… vielleicht nächstes Jahr? Immer der Deinige, Donniboy
Ehrlicherweise hätte ich es natürlich so formulieren sollen:
Liebe X.,
ich sehe durchaus den Fortschritt, wenn Ihr heute Burlesketänzerinnen engagiert, und sich etwaige Geldgeber nicht mehr an Gründerinnen in eben jenem Moment in der Sauna schadlos halten müssen, da ich und meine Bekannten da auch reinwollen, wie damals beim Founders Forum. Auch finde ich, dass Du es mit Deinem Wechsel raus aus München durchaus gut getroffen hast, denn eigentlich war diese Szene zwar auch durchgeknallt, von sich selbst besoffen und grössenwahnsinnig, aber halt auf so eine nüchterne Erbsenzählerart, wie man es auch heute noch auf Burdas DLD sehen sollte. Das ist, keine Frage, in Deinem jetzigen beruflichen Umfeld natürlich anders: Irr, aber auch ziemlich pleite aus Prinzip. Und ich meine es auch gar nicht böse, wenn ich sage: Du passt da besser hin als hinter den Tresen bei der Namensschildausgabe in der Funktion als Eye Candy. Es freut mich für Dich, dass Du es geschafft hast, Dich aus diesen unseren damaligen Kreisen zu lösen, und neue Kreise zu finden. Ehrlich.
Ehrlich gesagt, wäre es auch gar kein Problem gewesen, mich in den Zug zu setzen und zu kommen; vermutlich hätte ich mich noch nicht mal rasieren und duschen müssen, es ist ja Berlin, bessere Kreise. Es liegt aber gar nicht an Berlin als Stadt, auch in München habe ich eine Sache abgelehnt – es ist genau das, was Du mir zeigen möchtest: Die Weltstadt. Die grosse, weite Welt in einer Stadt, dieses funkelnde Wort aus jenen Tagen des späten 19. Jahrhunderts, als der Planet durch Dampfer und Lokomotiven zusammenschnurrte, und die Metropole die Zukunft der Stadt wurde. Es raste die Bautätigkeit, es verschlang der Bagger Boden, Gras und Felder und hinterliess das Gewusel, die Hektik, die Menschenmengen, die man braucht, um Kolonialreiche, Finanzmärkte, globalen Handel oder wenigstens die S-Bahn nach Adlershof bei 5 Millimeter Neuschnee zu betreiben. Metropole. Betonburg, Mauerimperium, Asphaltadern, Lichtkuppeln wie die, die ich sehe, wenn ich beim Tegernsee hinten rausschaue. Städte so gross, wie man sich das vor 100 Jahren nicht erträumen konnte. Wie das schon klingt. Ganz gross.
Dafür plante Le Corbusier, dafür dachte das Bauhaus, dazu entwickelte man den Internationalen Stil und die Hochhäuser, die Strassenraster und die Ausfallstrassen für die weniger Glücklichen, die mit der Welt gleich mitbeherrscht wurden, und auf halber Strecke zwischen dem Zentrum und dem Aussen lebten. So eine Metropole kann gar nicht anders als zentralistisch, sie muss alles in sich hineinfressen und in sich wiedergeben. Und das war eine tolle Sache, als aus China das Porzellan kam, und nicht der Wirtschaftsspion, als aus Afrika seltene Früchte und kein Elend importiert wurde, als man von der Karibik das Mahagoniholz kannte, und nicht die Bilder des Hungers und der Not, als Russlands Säufer und Spieler noch reich und adlig waren, und keine Mafiosi, die ihr Schwarzgeld in Immobilien anlegten. Weltstädte, meine liebe X., sind dann schön, wenn die Welt schön ist, oder wenigstens schön erfunden werden kann. Das Silber meiner viktorianischen Kannen aus London gleisst, aber niemand wusste oder weiss, unter welchen Bedingungen es gefördert wurde. Und niemand darf in solchen Dingen ignoranter sein, als die Elite solcher Weltstädte. Sie haben eine Pflicht, das zu vergessen.
Dafür haben Frankfurt und London Finanzdistrikte, dafür hat München Grünwald und Berlin inzwischen wieder Potsdam, da wohnt man entweder abgeschieden draussen oder abgeschottet drinnen. Und das muss auch so sein, liebe X., denn wer sollte sich als Elite wohlfühlen, wenn die hereinbrandende Welt dieser Städte so unschön ist. Wenn diese Welt dazustossen will, so arm, schäbig und chancenlos, wie sie oft ist, braucht man rote Kordeln, Türsteher und Sicherheitspersonal, um sie zurückzuhalten, damit sie jenseits billigen Träumen nachhängen kann. In der Nacht aber, wenn die Elite ihre italienischen Stoffe in die begehbaren Kleiderschränke verbringt, braucht sie Videokameras, Überwachung, noch mehr Sicherheit. Ich habe hier den Prospekt einer AAA-Lage in Deinem Berlin, liebe X., da wird mit modernster Sicherheitstechnik geworben. Gleich auf der ersten Seite. Da bleibt dann die Welt draussen vor den Sicherheitszonen – drei gestaffelte Zonen, das muss man sich mal vorstellen, und drinnen machen gehen sie über das Internet in eine andere Welt. Oder oben auf dem Dachgarten, wo alle gemeinsam einen Kräutergarten haben. Die drei Sicherheitszonen sind ihre Welt, die Welt da draussen hat den Rest der Weltstadt. In Moskau, Shanghai, Kairo, Rio, New York, Brazzaville, überall das gleiche, noch etwas krasser vielleicht. Die Städte wachsen, weil die Welt nicht mehr kontrollierbar und in ihnen wie eine Bombe angekommen ist. Es sind echte Weltstädte geworden. Und darin Schutzzonen für Dich als bevorzugter Funktionskörper, für mich sicher auch und die 10% der Bevölkerung, die sich das leisten kann. Der Rest liest Sarrazin, die Bunte oder Spiegel Online und hat, soweit überhaupt besitzend, Angst vor dem nächsten Einmarsch der Welt in Form der Inflation. Weltstädte eben. Kampfzonen. Klassenstacheldrahtgrenzen. Die anderen in der Zone zwischen den Tiefgaragen. Unbetretene Areale, bestenfalls Renditeobjekte, schlimmstenfalls aufgegeben. Sieg sieht anders aus, die Überwachungskamera ist nur ein Mittel der Abwehr, eine Defensivstellung in einem Konflikt ohne Fluchtwege.
Liebe X., manche sagen, ich würde den Idealen vergangener Zeiten hinterher trauern, aber wer heute noch “Weltstadt” mit einem Funkeln im Auge sagt, ist nostalgisch bis zur Realitätsverweigerung. Mit dem Dampfer und der Lokomotive kam die Welt nah genug, um sich beherrschen zu lassen, aber heute ist sie so nah, dass sie mit all ihren unbeherrschbaren Facetten zur Bedrohung wird. Und diese Veranstaltung, zu der ich kommen soll, diese Vorstellung von irgendwie avantgardistischen, neuen, strassennahen Kleidern an Kotzbrechsuchtlerinnen mit internationalem Aussehen, mal ehrlich: Das ist doch nichts anderes als die Selbstversicherung, dass man diese urbane Welt da draussen auch irgendwie sein könnte, und dabei weiter in den drei Schutzzonen so feiern kann, als gäbe es das Andere gar nicht. Als wären die Herren nicht nur die Herren über Deine Zeit und Einfälle, sondern immer noch Herren der Welt. Als wäre die Weltstadt eine grosse Lounge, als wäre der pappige Nudelbrei im B******* und die billige, gesponsorte Puffbrause mit französischem Etikett beim Empfang der B***** der Beweis, dass man international noch nehmen kann, was man will. Dass man noch eine Wahl hat, und eine Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, während die Globalisierung alles in Krise gleichschaltet. Ts.
Ungeachtet dessen wünsche ich Dir natürlich jeden erdenklichen Charme, und wenn Du den H. von Deinem Arbeitgeber heiratest, diesen Blondling, den ich auch noch von damals kenne, wird es mir ein wenig weh tun. Sehr viel weher jedenfalls als das Ende der Weltstädte.
Rodeln im Februar?
Dein Donniboy.