Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Elitenerhalt nach dem Paternalismus

Schlechte Zeiten für väterliche Bevormundung: Der Patriarch des alten Schlages stirbt aus, und wer es heute noch so versuchen möchte, muss sich erst mit der Globalisierung und ihren Fluchtmöglichkeiten herumschlagen. Vielleicht ist es gar nicht so abwegig, neue Mittel und Wege zu finden, damit die einen oben und die anderen unten bleiben.

Ah, ah, ah, ah! questa è buona! or lasciala cercar! Che bella notte! E più chiara del giorno; sembra fatta per gir a zonzo a caccia di ragazze.
Don Giovanni

Wenn in den letzten Tagen etwas überdeutlich geworden ist, ist es die Erkenntnis, dass paternalistische Töne der Elite gegenüber Armen nicht wirklich gut ankommen. Vor drei Tagen noch ein Palastbesitzer im Orient, heute vielleicht schon in einem engen Flugzeug auf dem Weg in eine Klinik im ärmlichen Agrarland Baden-Württemberg, dessen frustrierte Landeskinder in den Reichshauptslum ziehen, oder etwa nach Saudi-Arabien, wo es noch mehr Sand als in Brandenburg gibt. Die Welt ist grausam, wenn man im falschen Moment die falschen Leute als Söhne und Töchter anspricht, im festen Vertrauen darauf, dass man noch etwas gilt und die anderen 80 Millionen schon irgendwie heimgehen werden, wenn man es ihnen mit 70 Milliarden, Dollar nämlich, via TV so ans Herz legt.

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Nun könnte man sagen, dass das Stürzen von orientalischen Gesellschaftsstützen und anderen Despoten ebenso zur Folklore der Region gehört, wie die Despoten selbst, und man hier nur mal wieder gute, alte und etwas vergessene, nun aber um so mehr geliebte Traditionen pflegte. Man könnte sagen, das ist alles weit weg, und betrifft uns nicht – aber ich denke, man sollte es sich nicht so leicht machen. Der reichlich paternalistische Ex-Bundeskanzler Kohl beispielsweise, dessen Parteispendengebahren gar nicht so unorientalisch war, ist auch nicht mehr allzu beliebt. Oder nehmen wie Franz-Josef Strauss, dessen Erbe in Bayern bröckelt. Ein ehemaliger Vater der Siemensfamilie muss sich mit Korruptionsvorwürfen herumschlagen, Jörg Haider hätte, so er seine Landeskinder nicht im Phaeton verlassen hätte, trotz üppiger Geldgeschenke an die Jugend diverse Probleme. Man denke an das Auftreten von Bischof Mixa, man überlege etwas… Kurt Beck. Gut. Der ist noch da. Aber andere Patrone?

Die Frage führt mich zurück in meine eigene Vergangenheit als Schüler der kleinen, dummen Stadt an der Donau. Wenn jemand der Vorstellung eines Patriarchen entsprach, mit allen negativen Eigenschaften, dann war es der Mathematiklehrer X.. X hatte eine Menge recht grausliger Rituale, um zu kommunizieren, dass man nur 100% gehorchen musste, um in Ruhe gelassen zu werden. Er erwartete Unterwerfung, und dann konnte er durchaus gönnerhaft sein, bis zur nach oben korrigierten Schulaufgabe. Aber nie liess er vergessen, dass man von ihm abhängig war. Seine Tochter war in meiner Jahrgangsstufe ebenfalls an dieser Schule. Er hatte ihr einen schrägen Namen aus dem Althochdeutschen gegeben, ihre Kleidung kam aus einem verstaubten Haus für Damenoberbekleidung, und eine Brille, unvorteilhafter und klobiger als jene, die sie tragen musste, konnte man sich nicht vorstellen. So war das, in der dummen, kleinen Stadt an der Donau. Ein langweiliges, langes, blondes Etwas im Pausenhof, dessen Namen alle – ausser den Kriechernaturen – hassten. Sie fand im Tanzkurs keinen Partner, und verschwand bald wieder.

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In München trafen wir uns wieder. Freunde amerikanischer Zeichentrickfilme kennen das, wenn einem Tier das Kinn auf den Boden fällt und die Augen, nur noch an den Adern hängend, aus dem Kopf heraushüpfen, während aus dem Mund gierige Sturzbäche… nicht ganz so. Möchte ich mal behaupten. Aber es ist schon erstaunlich, was ein Schlauchkleid und das Stroboskopgeratter des Parkcafes… Ich wäre beinahe von der Box gefallen. “So, Sie sind also wegen der Tochter vom Lehrer X. im seligen Andenken der noch Lebenden – Schrotflinte?” “Nein, ein sehr enges Schlauchkleid und die mir später sicher peinlich erscheinende Neigung, im Frack zwei Meter über Tanzfläche meine Jugend zu feiern…” Zum Glück war ich da nicht alleine oben, und konnte mich an der spärlich bekleideten I. festhalten. Wie auch immer: Die junge Dame hatte sich nicht nur gewandelt, sondern einfach ihrem Vater gesagt, dass es jetzt so nicht mehr weiter gehe, da sie in München sei. Das war überraschend.

Die 80er Jahre gingen gerade zu Ende, bald würde jemand in Berlin sagen, er liebte sie doch alle – man konnte ahnen, dass es nicht ewig so weitergehen würde, mit der Erziehungsgewalt der Mächtigen gegen andere, die sie für Kinder hielten. So etwas ändert sich nicht von heute auf morgen, aber wenn ich heute unter den Älteren einen Patriarchen benennen müsste, in meinem Umkreis – ein paar wenige gibt es noch. Restbestände aus meiner Jugendzeit, die meisten aber sind auch hier in Bayern längst tot und weitgehend vergessen. Der Patriarch ist eine Erscheinung der Vormoderne, der Besitzer des Familieneigentums, bei dem alles zusammenläuft, und der die Macht hat, Kinder zu verstossen. In einer Zeit, da man aus Steuergründen so viel wie möglich so früh wie möglich überschreibt, hat die Drohung etwas von ihrem Schrecken verloren; “Ich verstosse Dich in Deine 110 Quadratmeter mit Blick über den Englischen Garten”, das zieht nicht so richtig. Die Mobilität der Kinder tut ein Übriges, sie aus dem Einflussbereich zu entfernen, und wenn andere dann patriarchalisch daherkommen… spassigerweise ist es übrigens in Berlusconis Italien noch immer so, dass Kinder sehr lange bei ihren Eltern wohnen.

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Ach so, Sie wollen jetzt sicher wissen, wieso ich Ende der 90er mit dem Frack im Parkcafe auf der Box… Staatsoper. Das war unsere Art der Rebellion gegen normale Anzugträger, wir bevorzugten Frack oder Smoking und recht auffällige Westen und Fliegen und Taschenuhren, und wir zogen uns danach nicht mehr um. Nicht dass ich es beschwören könnte, aber die Chancen stehen nicht schlecht, dass wir davor Don Giovanni anschauten – wann immer sich die Gelegenheit bot, gingen wir in Don Giovanni, eine wunderbare Oper, und so fein auf unsere Lebensumstände abgestellt. Zu bereuen hatten wir nichts, und das ganze Leben schien sich in einer Nacht abzuspielen, und wie lachten wir über die Masettos in ihren braunen Erbsenzähleranzügen – das war nicht nett, aber immerhin kann ich heute noch das Libretto auswenig: Eh via, buffone, non mi seccar! giftet Don Giovanni seinen Diener Leporello an, der ihm nichts schuldig bleibt: No, no, padrone, non vo’ restar. Was er Leporello denn angetan habe? Oh nichts, nur fast umgebracht (Direkt vor der Pause und all den reizenden jungen Damen in schönen Schlauchkleidern). Am Ende, als sich Leporello nicht mit einer Mischung aus Arroganz und Befehlston besänftigen lässt, greift der Adlige Don Giovanni dann zum letzten Mittel, das ihm noch bleibt: 4 Dublonen bringen das Verhältnis für einen Moment wieder in Ordnung, bevor Don Giovanni Leporellos guten Rat, die Finger von den Frauen zu lassen, in den Wind schlägt.

Don Giovanni und Leporello, das sind die dem klassischen Standesdenken entwachsenen Globalisierungsprofiteure, “aber in Spanien 1003” Frauen sind Don Giovanni ins Bett gefolgt, und ihr Zusammenhalt basiert auf Geld und gnadenlosem Opportunismus: Leporello nörgelt schon in der ersten Szene über seinen Beruf, der ihm keine Ruh bei Tag und Nacht gebe, und frisst seinem Herrn im Finale noch das Essen weg. Don Giovanni macht, wenn es aufgrund einer Schurkerei nötig ist, einen auf Kumpel und ist jederzeit bereit, Leporello anderen zum Verprügeln zu überlassen. Ihr Verhältnis ist eine einzige Abfolge von Drohungen, Widerspenstigkeiten, List, Betrug, Subversion und scheiternder Autorität, kurz, es geht zu wie in einer internationalen Bank oder einer grossen Werbeagentur. Aber so zynisch und autoritätsfern es auch sein mag: Es funktioniert. Leporellos letzte Zeile nach Don Giovannis Höllenfahrt ist, dass er sich jetzt einen neuen Herrn suchen wird.

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An der I., die mit mir auf der Box war, hat sich letztlich jemand anderes festgehalten, und die Tochter des Lehrers hatte zu viele andere Freunde, um mit mir und all den bösen Erinnerungen in die Oper zu gehen. Ich habe meine Zweifel, ob Don Giovanni wirklich zum Vorbild der Organisation von Oben und Unten, von Elite und Schlechtergestellten taugt – aber, wie man in Ägypten gerade wieder einmal sah, tendiert man gerade dazu, diesmal die steinernen Gäste und ihr gravitätisches Benehmen zum Teufel zu schicken. Das ist nicht wirklich standesgemäss, aber am Ende bleibt auch die Frage, warum man sich so gern den Don Giovanni anschaut. Und warum eine Oper mit dem Titel “Die 60 tugendsamen Lebensjahre des später zum steinernen Gast gewordenen Komturs” einen instinktiv an 12-Ton-Musik und eine moderne Inszenierung denken lassen würde, so angenehm wie Wagners ganzer Ring. Ohne Pause und die Möglichkeit, die Toilette aufzusuchen.