Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Die Geschichte vom verlorenen Berufssohn

Alle fiebern mit Guttenberg, aber die Leiden, die normale Söhne besserer Häuser durch diesen Herrn und sein Betragen erdulden müssen, werden nicht beachtet. Weder sind sie Idole irgendwelcher schlecht verdienenden Massen, noch schlechte Plagiatoren. Mit diesem Herrn haben sie nichts zu tun, selbst wenn nun die schwarzen Flügel des Verdachts sie streifen.

Meine Mutter meinte, ich sollte es nicht schreibe, aber die Haushälterin sagte, ich sollte unbedingt. Nachdem die Haushälterin meine Mutter beständig über den Zustand meines Bades informiert, habe ich mich im Loyalitätskonflikt für die mir genehme Seite entschieden.

Der Mann im Kofferraum beschwert sich nicht. Er hat keine Einwände, wenn ich den Wagen, ihn kräftig durchschüttelnd, über den bröckelnden Asphalt der schönen Stadt München jage. Es geht nicht anders, ich muss einen Termin einhalten, und der Mann im Kofferraum hat Löcher, und obendrein ist er schon lange tot, was für ihn wenig erfreulich gewesen ist, mir die Sache aber durchaus erleichtert. Es ist Freitag, später Vormittag, als ich ankomme, den Mann herausziehe und über düstere Treppen hinauf zu einem Herrn schleppe, der sich anheischig macht, die Löcher im Mann aus dem Kofferraum zu verschliessen. So etwas ist nicht ganz billig, aber was tut man nicht alles für die Gemäldesammlung. Rasen, Biedermeierportraits schleppen, Presseauftritte versäumen, später dann: Antiquariate plündern.

Bild zu: Die Geschichte vom verlorenen Berufssohn

Schwer arbeitende Menschen werden das nicht durchgehend befürworten, aber so ist nun mal das Leben: Man kann es sich aussuchen. Gut, obliegt es mir zu sagen, das ist jetzt leicht gelogen, auch in meinem irdischen Dasein gibt es Pflichten und Unvermeidliches, aber zu den Annehmlichkeiten des Daseins als Plauderer gehört es, dass ich keinen Tag Urlaub brauche, um mich um die wirklich wichtigen Dinge zu kümmern. So ein Besuch beim Restaurator ist für einen Sammler inmer ein wenig wie der Gang zum jüngsten Gericht: Man erfährt, ob man nur Müll gekauft hat, der mehr oder weniger geschickten Hand eines Kopisten oder Plagiators aufgesessen ist, sein Geld sinnlos an einen dreisten Fälscher verschwendete, und sich zu lang mit minderwertigem Plunder an der Wand den gesellschaftlichen Ruf ruinierte. Der Restaurator behandelt das alles mit grösster Diskretion, aber so eine Fehlentscheidung kann einem Wochen und Monate das Leben ruinieren, und man fragt sich sicher, wie dumm man war, derartig falsche Hoffnungen… nun, die 18? 20? 21? Semester Kulturwissenschaften waren nicht vergebens, der Restaurator ist über alle Massen mit dem Auge des Käufers und dem Werk zufrieden, lobt dessen Ausführung von Meisterhand, und verspricht, die Löcher zu schliessen: So, dass es keinem mehr auffalle.

Weit, weit weg, in einem anderen Ort, der in seinen schönsten Ecken so aussieht, dass man in München einen baldigen Abriss fordern würde, werden auch Löcher gestopft, aber einerseits wenig erfolgreich und andererseits so, dass ich es nicht mitbekomme, denn ich habe ja Besseres zu tun: Karl-Theodor zu Guttenberg versucht mit mubarakösen 90-Sekundenansprache den Umstand zu bemänteln, dass der Umgang mit anderer Leuten geistigem Eigentum in seiner Dissertation so lässig wie Berlusconis Umgang mit Frauen bei einer Bunga Bunga Party war. Alle fragen sich jetzt: Darf der das? Aus der Richtung von Springer und Burda quakt es Ja, Medien mit halbwegs gebildeter Leserschaft jenseits der strukturellen Analphabeten sagen eher: Nein. Aber das ist doch gar nicht die Frage. Die Frage ist: Wieso hat er das nötig?

Bild zu: Die Geschichte vom verlorenen Berufssohn

Es ist doch so: Ein nicht ganz unerheblicher Teil dessen, was man als Faszination, Bewunderung, Neid, Ranwanzen und Hass gegenüber Reichen, und hier gerade den unverdient in gute Verhältnisse Hineingeborenen empfindet, entspringt doch gerade dem Umstand, dass viele Unannehmlichkeiten für sie genau das sind, was der Wortsinn ausdrückt: Dinge, die man nicht annimmt. Jeder, aber nicht ich. Andere Trottel gerne, aber ich habe etwas Besseres zu tun. Sie suchen Herausforderungen? Da hinten rechts können Sie sich mit einem Vermögensverwalter streiten, rufen Sie meine Haushälterin an, wenn die Anwälte Sie auffressen, aber bitte nicht nächste Woche, da bin ich in Italien.

Kein Publikum wird durch diese Haltung über Gebühr verwöhnt, keiner nimmt es einem übel: Ein Konkurrent weniger. Es könnte alles bestens sein, solange man nicht den Fehler begeht, sich als tugendsam, sittenstreng, ehrlich, entschlussfreudig, zuverlässig, an des Bäckermeisters junger Verkäuferin desinteressiert, konsequent, aufrecht, erfolgreich, zielorientiert, hochperformant und anderer Blödsinn aus dem Beratersprech zu verkaufen. Es ist, das sage ich aus eigener Erfahrung in meinem Umfeld, absolut leicht und überzeugend, den beruflich komplett desinteressierten Faulenzer zu geben, der es sich leisten kann, weil es sich seine Eltern nicht leisten können, ihn wegen so einer arttypischen Petitesse irgendeinem unsinnigen Ernst des Lebens anderer Leute, die man nicht kennt, zu überlassen. Kein Mensch käme je auf die Idee, das in Frage zu stellen. Schlimmstenfalls wird man halt auch Notar, Apotheker, Chefarzt oder Vermögensverwalter. Wozu sollte man besondere Tugenden auch benötigen, wenn sie im realen Lebensumfeld eher verzichtbar sind. Damit man etwas vortäuschen kann, was nicht da ist, und am Ende nur noch bei Springer, Burda und deren Lesern als vorzeigbar gilt? Jeder Blick in die eigene, Familiengeschichte zeigt doch, dass es mit den Heiligen und 110%igen (sic!) nicht weit her ist; egal, was danach in den Trauerreden verkündet wurde.

Bild zu: Die Geschichte vom verlorenen Berufssohn

Insofern möchte ich gar nicht wissen, ob der Herr zu Guttenberg das, was er auf vielen Seiten getan hat, darf. Natürlich durfte er, weil er konnte; das war in der schwärzsten bayerischen Provinz vor der grossen Karriere mit den grossen Tugenden für die Zeitung mit den grossen Buchstaben. Hier streitet man noch, ob das Frühmittelalter schon vorbei ist, hier hätte früher kein Hahn danach gekräht. Aber diese Selbstentwürdigung in Folge zu grosser und aus der Art geschlagenen Versprechungen; die Notwendigkeit, im Ausweichen Zuflucht zu suchen, diese Spitzfindigkeiten in den Formulierungen, das gehetzte Vermeiden, das Verbot von Nachfragen, das Fehlen jeder Grösse, das aus dem Bewusstsein entspringt, dass man es sich leisten kann: Das war alles schon sehr kleinbürgerlich. Der Versuch, das durch eine herrische Attitüde zu berichtigen: Das ist dagegen schlechtes Benehmen, selbst – was man ihm zugute halten könnte – wenn es insgesamt nur ein kleines mea Gulpa (sig!) für die billigen Plätze gewesen sein sollte.

Das ramponierte Ansehen einer Uni im fränkischen Urwald, das schwindende Vertrauen in die Politik sind mir egal. Nicht egal kann es mir sein, dass man von solchen Gestalten erst gesellschaftlich unter Druck gesetzt wird, weil plötzlich viele meinen, in diesem Popanz verbindliche Lebensmaximen zu finden, denen man nacheifern sollte. Guttenberg hat das Antechambrieren auf dem 2. Heiratsmarkt gerade für Männer aufgrund gestiegener Erwartungshaltungen nicht einfacher gemacht. Und dann, im Schadensfall, wird gegenüber der unkundigen Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, Berufssöhne wären obskure Gestalten, bei denen man stets genau hinschauen müsste, die sicher Dreck am Stecken haben, und unredlich in den Genuss ihrer Privilegien kommen. Guttenberg ist sowas wie die New Economy unter den Berufssöhnen: Er hat den Markt sowohl für professionell Beteiligte als auch für die kleinen Dummen kaputt gemacht.

Bild zu: Die Geschichte vom verlorenen Berufssohn

Meine Hoffnung ist nun, dass sich das frei herrliche (sic+sic!!) Spectaculum etwas hinziehen möchte, auf dass alle verstehen: Der Mann ist nicht stellvertetend für normale, mittelschlechte Qualitätssöhne aus besserem Haus. Wir versprechen zu wenig, als dass wir es in dramatischer Weise nicht halten könnten. Mit unsereins bekommt man vielleicht ein paar Barockportraits zu viel, und die Haushälterin hat mehr zu erzählen, als dem Ruf genehm sein kann, aber wir können passabel Walzer tanzen, gehen freiwillig in die Oper, und nach 20 Semestern Kulturgeschichte oblügt (süc!) es uns auch nicht, Bildung beim Gang durch Museen vorzutäuschen. Irgendwas bleibt immer hängen – das aber ist hoffentlich auch alles, was uns mit diesem schwarzen Schaf des schwarzen Familienschaftums verbindet.