Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Das Ende des Populisten

Historiker haben die für die Gegenstände ihrer Betrachtung unerfreuliche Angewohnheit, die Beurteilung erst zu verkünden, wenn die anderen sich schon nicht mehr wehren können. Die Weisheit, dass auch der Schlechteste noch zur guten Lehre taugt, entspringt oft diesem Zusammenhang von Ableben und der Suche nach Ursachen. Ich finde diese Haltung der Historiker nicht zwingend fair, aber, populistisch wie ich nun mal bin, schrecke ich selbst nicht vor dergleichen Untaten zurück.

Hell’s bells, they’re taking you down
Hell’s bells, they’re dragging you down
ACDC, Hell’s Bells

Da stand eine Palme vor dem Fenster. Es war Oktober in den Alpen, am Tag davor stapfte ich durch den Schnee am Ortlermassiv. Aber jetzt stand die Palme vor dem Fenster. Dahinter hohe Berge mit eisigen Gipfeln, aber hier war Sommer. Ich war noch sehr müde an diesem Morgen, nach der Hatz über Pässe in die Schweiz und zurück nach Italien. Im allerhöchsten Masse surreal erschien mir die herbstliche Gebirgspalme. Dann setzte mühevollst die Vernunft ein und sagte: Trottel, Du bist in Meran, natürlich stehen hier Palmen, sie können nicht einfach im Herbst nach Rimini ziehen. Es war der Oktober 2008, überall brachen die Wirtschaftsräume und Banken zusammen, das Ende der Welt schien gekommen, und so wandte ich mich von der Palme ab, und tappte zum Fernseher, um zu hören, ob die USA noch existierten. Neben den italienischen Sendern gab es dort auch die Programme der Österreicher, aber sie brachten nichts davon. In einem blauen Studio sassen zwei betreten dreinschauende Männer in einem Elend, als wäre ihnen gerade der Vermögensverwalter mit Frau und Geld durchgebrannt. Aber sie sprachen nicht über Wirtschaft, sondern über das grosse Unglück dieser Nacht. Man wisse noch nichts genaues, aber die Polizei habe zweifelsfrei bestätigt, dass er tot sei. Ein schwerer Unfall sei ihm zugestossen. Alle seien wegen seines Todes schwer betroffen, eine Tragödie seien die Ereignisse der letzten Nacht. Sie zeigten Aufnahmen eines zerstörten Wagens, und erst dann fasste einer die Geschehnisse zusammen: Der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider sei in dieser bei einem schweren Autounfall in dieser Nacht wohl aus eigenem Verschulden gestorben. Viel zu schnell an den Betonpfosten. Tragisch. Fanden sie. Beschwingt ging ich hinunter, nahm einen Assam und eine famose Torte noch vor dem Frühstück. Das Leben war schön. Draussen schien die Sonne, die Palmenblätter wippten im milden Wind.

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Jetzt war er also wirklich weg. Jörg Haider ist in seiner Laufbahn recht häufig zurückgetreten, und hat vor allem auch laufend mit Rücktritt gedroht, oder auch mit dem Rücktritt vom Rücktritt, wenn es ihm förderlich erschien. Der Rücktritt war seine Waffe gegen seine eigene Partei, die sehr genau wusste, dass die FPÖ Haider und Haider die FPÖ war. Kein Haider, kein Wahlerfolg, keine Posten, keine Pfründe. Haider nutzte das gnadenlos aus, egal ob er und die Partei irgendwo in einer Regierung oder in der Opposition waren. Während der Zeiten der FPÖ-ÖVP-Koalition regierte die FPÖ in Wien mit, und Haider machte die Opposition von Kärnten aus. Das war dreist, aber Haider konnte es sich leisten. Haider konnte es sich auch leisten, alte Freunde gnadenlos abzusägen, die alte FPÖ zu zerbrechen und mit dem Bündnis Zukunft Österreich BZÖ eine moderne Version einer rechtsextremen Partei zu gründen – zumindest daheim in Kärnten verzieh man ihm alle Eskapaden.

Man hat diese Form der frechen Popularität sehr schön mit dem Wort “Feschismus” umschrieben. Haiders Selbstbewusstsein ging so weit zu behaupten, ein Interview hätte es gar nicht gegeben, von dem Tonbandaufnahmen existierten – und sich mit allen juristischen Mitteln gegen einen Widerruf zu wehren. Es war vollkommen offensichtlich, dass er die Unwahrheit sagte; den Wählern war es allenfalls egal. Als Österreich international wegen der ÖVP-FPÖ-Koalition unter Druck kam, forderte Haider Haftstrafen für Oppositionspolitiker, die im Ausland gegen die Regierung das Wort ergriffen. Er konnte es sich leisten. Dafür liebten ihn seine Anhänger. Und vor dieser Popularität hatten die grauen Politikverwalter in Wien Angst. So viel Angst, dass sie ihn meist gewähren liessen. Haider konnte. Dem nahm man es nicht übel. Andere, wie sein Gefolgsmann Peter Westenthaler, versuchten es auch. Aber die waren nicht so fesch. Die bekamen Prügel. Haider war das Original. An dem perlte alles ab, alle Lügen, alle Skandale, und wenn er diese Oktobernacht überlebt hätte, wäre auch die Trunkenheitsfahrt und all die anderen Details jenes Ereignisses verziehen worden. Von denen, die ihn mochten.

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Ich mochte die Torte. Das war eine feine Sache, als Frühstücksanregung eine Torte und danach alles, was eben so dazu gehört. Sollte jemand betroffen gewesen sein, war ihm davon nichts anzumerken, alles ging seinen gewohnten Verlauf in jenem Cafe in Meran am Kurhaus, bitte, danke, die üblichen Floskeln und keine Tränen, kein Schock wie angeblich in Klagenfurt, es zischte die Espressomaschine, und ein paar alte Tanten beklagten die Heiratsunlust der Nichten. Ich hätte es natürlich bedauerlich gefunden, hätte Haider mich überlebt; man stelle sich nur vor, ich wäre am Vortag in einer Kurve vom Stilfser Joch gefallen und Haider hätte überlebt – wir beide haben es darauf ankommen lassen und die Motoren nicht geschont, aber ich war in Meran frühstücken und Haider in der Autopsie, so kann es gehen, einen frisch gepressten Orangensaft bitte, danke.

Es gibt so Leute, bei denen geht der individuelle Reichtum eine gar nicht schöne Allianz mit einer überzogenen Vorstellung von Autonomie – ihr könnt mir gar nichts, ich kann euch alles – und einem Vollgasdasein ein. Weil man kann, weil man darf, weil man damit durchkommt, weil man im Zweifelsfall einen nützlichen Idioten hat, den man dafür zahlen lassen kann, und ein Publikum, die das als fesch, mutig, ehrlich, authentisch, geradlinig und unangepasst empfindet. Es gibt da nach meiner Beobachtung zwei Gattungen der Feschen, die einen sind dreist und die anderen moralisch, aber beide sprechen sie von Anstand. Haider hatte kein Problem damit, erst die Beschäftigungspolitik des 3. Reiches und später seine Gefolgschaft als anständig zu bezeichnen. Anstand ist, was man darunter versteht. Und gestorben ist er mit einem anständigen Blutalkoholspiegel. Das Wort Anstand kann man im Süden so und so sehen; es kann sein, dass es im Norden vielleicht etwas missverständlich ist, und seine Ambivalenz nicht von jedermann richtig aufgefasst wird, und Pathos kommt oft auch mit einer anständigen Portion Überheblichkeit daher. Das machte nichts aus; hatte man Haider eine Unanständigkeit nachgewiesen, hatte er schon bei fünf weiteren Streichen Anständigkeit für sich und die Seinen reklamiert. Wie man an der CSU, der Bayerischen Landesbank und der Hypo Alpe Adria sehen konnte: Bis zuletzt nahm man ihm bei uns seinen Anstand ab. In Kärnten lachen sie heute noch über die dummen Bayern.

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Aber an jenem Oktobertag im sonnigen lachte ich über das, was von seinen Verehrern übrig geblieben war, als der fesche, schneidige Haider nicht mehr unter ihnen war. Die Zusammenrottung der Mittelmässigkeit, die ihren Erlöser verloren hatte, diese Ansammlung von Karrieristen, die dem grossen Vorbild ähnlich sein wollte in Kleidung, Ansehen und Erfolg, schlechte Kopisten, Abschäumendes im abgestorbenen Abglanz, Gefolgschaft ohne Führer. Ich war 2000 oft in Wien und habe diese Leute mit dem feschen Anführer gesehen – ohne ihn waren sie plötzlich kein tobender Mob mehr, der, wenn nötig, wieder Leute zum Strassenreinigen auf die Knie gezwungen hätte, sondern nur noch schlecht angezogene, schlecht verdienende Mittelmässigkeit, denen der Lebensmensch abhanden gekommen ist – im vollen Wortsinn, der Mensch und das Leben. Sie nannten ihn König der Herzen, die bauten ihm ein Museum und kauften CDs, auf denen er volkstümliches Liedgut sang. Unter einem Video, neben dem Verschwörungstheorien und Dolchstosslegenden verbreitet werden, sagt ein Jünger noch heute: “Dan geh doch dahin wo du hingehörst du Untermensch. Geh zu deinen Slawenschweinen nach Slowenien. Pack wie du gehört an die Wand gestellt und erschossen.”

Haider, da habe ich wenig Zweifel, hätte da auf seine typisch schneidige Art gelächelt und die Sache als Übertreibung weggewischt, ah wos, der meint das nicht so, und seine Anhänger hätten gefeixt und sich hinter ihm nur noch fester zusammengerottet. Es gibt für diese jungen, reichen, feschen und halbwegs gut aussehenden Anführer eine gewisse Entwicklung von der Popularität zum Populisten; mit ersterer wird man zum Lieblingsschwiegersohn und danach zur Gefahr für andere und sich selbst. Will man etwas mehr sein, als nur der nette Schwiegersohn, sollte man nicht nur reich und beständig, sondern auch mutig und draufgängerisch sein, Regeln hinterfragen und eigene Wege gehen. Eine gewisse Verachtung für sinnlose Traditionen und Kriecherei gehört dazu; das Publikum mag Rebellen, und jene, die aufgrund ihrer Lebensumstände das tun können, wofür andere zu feige sind. Es gibt ein Bild von Haider in seinem 911er Cabrio, und neben ihm der hilflos grinsende Wolfgang Schüssel auf dem Beifahrersitz: So war er, der Jörg.

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Zurück fuhr ich über den Jaufenpass, und ich fuhr zu schnell und im Wissen, dass der schwarze Vogel eine andere Entscheidung getroffen hat. Aber zwischen dem zerquetschten Fleisch in der Autopsie und meiner Fahrlässigkeit in den Serpentinen, zwischen dem Knall beim Einschlag in Beton und dem Quietschen der Reifen auf dem Asphalt hoch in das ewige Blau über den Bergen gibt es doch eine gewisse Verbindung, die man – pardon, ich für mich selbst nicht ganz abstreiten kann. Das populäre Verhalten kann sich in das populistische Anführen entwickeln, wenn man sich der Versuchung zu sehr hingibt, und – verzeihen Sie mir, wenn ich den banalen Kern dieses banalen Textes erst ganz zum Schluss bringe – trotz der nibelungentreuen Beschwichtigungen und Verschwörungstheorien zur gescheiterten Vollgasfahrt von zu Guttenberg durch die deutsche Wissenschaft finde ich es nicht schlecht, wenn jetzt durch seine späte Einsicht wieder eine Phase in diesem Land einkehrt, in dem schneidiges Auftreten, Arroganz und ein wenig sorglose Dummheit reicher Menschen allenfalls populär bleiben. Populär ist fein, Populismus eher nicht. Man kann schneidige Burschen zum Schwiegersohn machen, ohne dass sie deshalb populistisch in der Bildzeitung stehen müssen.

So wirklich viel hatte Haider von seinem Nachruf in der Kronenzeitung auch nicht, nehme ich an. Sicher weniger als ich von der Schönheit des Lebens am Tag nach seinem Ende.