Sex action und leidenschaftliche Orgien. Das ist es doch, was Du auch willst, oder?
Anja (über 18), aus meinem Spamordner
Zu den angenehmen Seiten des Umstandes, dass sich der Winter allenfalls noch an den Spitzen der bayerischen und österreichischen Berge festklammert, gehört fraglos auch die mit der Erwärmung einsetzende Neigung von Frauen, sich etwaiger Mäntel, oder allgemein formuliert, warmer Überkleider, zu enthalten. Wo kein Mantel ist, kann man auch keinen Fehler machen, wo die Dame so angezogen verbleibt, wie sie gekommen ist, gibt es keinen Anlass für die Unsicherheit, die einen überfallen mag, stellt man sich die Frage: Hilft man ihr im Sinne eines grossen Auftritts aus und in den Mantel, oder lässt man es bleiben?
Die Frage ist nun wahrlich keine Marginalie, so man es genau so gelernt hat, als mittlerer Akt zwischen “die Tür aufhalten” und “den Stuhl schieben”. Diese drei Tätigkeiten wurden in meiner Kindheit noch einstudiert, aber üblich, wenn überhaupt, ist nur noch das Aufhalten der Türe, so es denn angesichts der Konstruktion der Eingänge überhaupt möglich ist. Moderne Restaurants sind so eng und raumeffizient gestaltet, dass dergleichen meist nicht ohne Gedränge erfolgt, zumal, wenn man nicht ein dürrer Hering ist. Auf Anhieb würden mir allenfalls noch ein paar Auktionshäuser einfallen, die echte Tore für angemessenes Benehmen haben, ein paar alte Hotels, die noch keine Schiebetüren haben, mein Haus, aber das ist ja auch schon etwas älter. Noch älter sogar als diese Sitte übrigens, denn als es errichtet wurde, war Frauen der Zutritt nicht gestattet, und wäre es anders gewesen, hätte man dafür einen Diener gehabt – und für diesen Diener wiederum gab es früher auch ein gemauertes Bankerl, auf dem er an der Tür warten und aufpassen konnte, dass eben gerade kein Frau herein oder ein Buchdieb hinaus gelangen konnte.
In jener Zeit, als Bücher noch so wertvoll waren, dass man sie gern entwendete, war eine Dame bei offiziellen Anlässen so etwas wie ein Schmuckstück, und die Umsorgung für eine möglichst glänzende Präsentation war unabdingbar. Die Tür musste aufgehalten werden, damit die Dame erscheinen, gleichsam auftreten konnte, der Mantel musste abgenommen werden, damit sie auf der Bühne des gesellschaftlichen Lebens nicht behindert wurde, und den Stuhl musste man schieben, weil es mit grossen Röcken und einem Korsett auch so schwierig genug war, die Kleider bei diesem Vorgang richtig zu sortieren. Was man uns da in den frühen 70er Jahren noch beibrachte, war die Etikette einer Welt, die damals schon weitgehend verschwunden war; heute ist es allenfalls im Theater noch so, dass die Männer die Mäntel zur Garderobe bringen, während die Frauen beisammen stehen und sich schon einmal auf die Themen des Abends einigen.
Trotzdem ist er da, der Reflex, immer, ich sitze und warte, sie kommt, ich stehe auf, reiche die Hand, eine angedeutete Verbeugung – und dann müsste ich neben sie treten, was ja, seien wir ehrlich, keine unangenehme Aufgabe ist, man kommt sich sonst in der normalen Öffentlichkeit kaum näher als in diesem Moment, man bekommt etwas zu sehen und berühren, was früher in anderen Moralwelten jenseits dieses Augenblicks undenkbar war. Unter dem Mantel verbirgt sich heute seltenst ein ausgefallenes Kleid, auch der Mantel ist oft genug einer Jacke gewichen, und es gibt kein Verlangen mehr, dass jemand die Kleidung aufhängt. Schliesslich ist oft noch die Kamera dort gelagert, oder eine andere technische Unvermeidlichkeit des Lebens, sie brauchen das Stück bei sind, und manchmal haben auch die Lokalitäten keine Garderobe mehr: Man stünde dumm mit der Kleidung da und müsste sie irgendwie los werden, der Dame wieder reichen – man lässt es also besser bleiben, wenn man die Sache nicht gut geplant hat.
Vor allem ist da die Frage, ob es überhaupt gewünscht wird. Üblicherweise ist es ja so, dass der Mann gar nicht die Initiative übernehmen muss; es ist im Ernmessen der Frau, sich mit einer leichten Drehung in eine Position zu begeben, in der es dem Manne möglich ist, ihr den Mantel von der Seite her abzunehmen und dabei den dankbaren Blick zu erhaschen. Das wiederum ist der Punkt, an dem Bekannte, die derartiges Benehmen noch schätzen würden, den Männern die Schuld am Niedergang zuschreiben: Sie hätten sich ein paar Mal zu oft ein wenig gedreht, und derweilen, hastenichtgesehen, würde der Mann schon wieder breit auf seine vier Buchstaben zurückplumpsen, weil er die Aufforderung weder zu deuten weiss, noch überhaupt eine Ahnung hat, dass es sich bei dieser Bewegung um eine Art Einladung handelt. Also verzichten sie lieber ganz darauf, zu oft fühlten sich halbgewendet im Raum vernachlässigt, während von unten schon die Frage erklang, wie denn der “Tag im Job” gewesen sein: Der bessere Teil des Tages war da fraglos schon vorüber, aber das sagen sie natürlich nicht. Sie werden nur schon vor der Nachspeise sehr, sehr müde.
Der Zauber der Angelegenheit besteht eigentlich darin, dass man, so man es tut, nichts sagen müsste; wissen beide Seiten, was sich gehört, können sie es wortlos unternehmen, selbst wenn es nur Galanterie ist, und nicht zwingend gutes Benehmen: Entspringt das Verhalten doch im Kern der bürgerlichen Gesellschaft, die solche Dienste selbst übernehmen musste, weil in aller Regel kein Diener zur Hand war, dem man solche Aufgaben überlassen konnte. Man machte aus der Not eine Tugend und aus der relativen Armut eine freundliche Annäherung; ein wenig liegt darin noch die Höflichkeit im Sinne der Courtoisie, aber deren Epoche liegt dann doch schon zu weit im Nebel der Vergangenheit, als dass man sie den Kindern noch als Erklärung beigebracht hätte. Aber so kommt es dann, dass aus einer Selbstverständlichkeit ein spezielles Benehmen wird, das nicht mehr allgemein verstanden wird, und von da an, weil es nicht mehr vorausgesetzt wird, ausstirbt. Vielleicht zurecht.
Denn das Vergnügen, dass eine Frau jemanden den ansonsten als anrüchig geltenden Blick von der Seite oder gar über die Schulter zuwirft, dieses Verpacken einer Unzulässigkeit in ein zulässiges Ritual, die Möglichkeit der Frau, durch die Art des Blickes zwischen einem formellen “Vielen Dank”, einem kopfgeneigten “Danke sehr”, und einer vom Augenaufschlag begleiteten Einladung mit dem Wort “sehr liebenswürdig” zu bedeuten, woran ihr wirklich gelegen ist – das alles braucht man in Zeiten der durchgängigen Pornographisierung nicht mehr. Das alles würde angesichts dessen, was uns an Plakaten und Reklametafeln selbst für so unsinnliche Dinge wie Internettarife entgegenflutet, nur noch antiquiert wirken. Altmodisch. Anrüchige Blicke sind überall verfügbar, man muss zu mehr als nur Andeutungen greifen, um als attraktiv zu gelten und Geschlechtspartner zu finden, und für ihre Abwehr, so sie nicht passen, werden Telefone ausgeschaltet, Emails nicht beantwortet und Profile geändert. Das ist die Sprache, das sind die Codes, die heute verstanden werden. Von allen. Es ist nicht kompliziert, weil es überdeutlich ist. Die Holzhämmer unter den Kommunikationsstrategien, mit denen man sich die Hände nicht schmutzig macht.
So, keine Frage, geht es natürlich auch. Eine Bekannte mit Kindern schrieb mir kürzlich, sie könnte die nächste Stunde eine Mail nicht beantworten, die Tochter (7) wolle jetzt mit ihrer Freundin chatten, und sie würde aufpassen, dass alles gut geht, man könne nicht früh genug anfangen, den Kindern Medienkompetenz beizubringen. Sonst stellt sie mit 12 Nacktphotos ins Netz, was der unausgesprochene Hintergedanke. Nicht nur die Frauen haben sich geändert, auch die Erziehung und die Herausforderungen, und ob die Tochter sich später mal selbst bis auf das Tank Top entblättert, oder erwartet, dass ihr der Macker dabei den angesagten Designerfetzen von H&M abnimmt, ist, relativ betrachtet, unwichtig. Zumal der Knabe gar nicht mehr weiss, dass es da mal einen Unterschied gegeben hat. Eine zivilisatorische Unsicherheit weniger. Das ist eigentlich alles.