Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Konservatives Denken von Guttenberg bis Fukushima

Es sind bittere Zeiten für Konservative: Zuerst wurde aus dem Führer, der Lichtgestalt ein windiger Plagiator, der auch noch dreist in die Kamera log. Und jetzt kommt neben dem Strom aus der Atomsteckdose auch noch die Nuklearwolke aus einem sicher geglaubten, westlichen Atomkraftwerk, und zwar gleich mehrfach. Weil man sich auf nichts mehr verlassen kann, müssen jetzt neue, verlässliche Werte her, an denen man sich, in höchster Not und moralisch wieder überlegen, festhalten kann.

Am 30. Mai ist da Woidundagang, Leid fressds ois zsam, mia lem nimma lang
(trad.)

Ich bin mit meinen Eltern gern in die Schwammerl gegangen. Das war immer ein wenig riskant, weil auch immer mal ein ungeniessbarer Pilz dabei sein komnte, der eine Pilzsauce für Semmelknödel ruinierte. Und man konnte nie wissen, ob nicht vielleicht ein grüner Knollenblätterpilz entfernte Verwandte schlagartig reich und glücklich machen würde. Nachdem ich das hier aber schreibe, hat mein Vater aber immer gut aufgepasst. Einmal ist er in ein Wespennest getreten, das war für ihn, meinen Onkel und mich weniger schön, da sind wir dann sehr schnell durch den Wald gerannt.

Bild zu: Konservatives Denken von Guttenberg bis Fukushima

Gerannt bin ich auch im Wald von Wackersdorf. Oben waren die Helikopter, hinten die Polizei und dazwischen das Tränengas. Relativ betrachtet war Wackersdorf unerfreulicher als das Wespennest, aber beides hing zusammen: Ich war in Wackersdorf, weil nach Tschernobyl vollkommen klar war, dass ich nie wieder würde in die Schwammerl gehen können. Keine Wespen mehr, aber auch keine frischen Steinpilze und Recherl. Recherl, das muss ich einfach sagen, haben nie wieder so geschmeckt wie damals, als wir sie in den Jurahöhen gefunden haben. Die Antworten meiner bayerischen Landesregierung auf meine Auffassung, dass eine WAA nicht so toll ist, trugen Namen wie “Gummischrotgeschosse” und “Blendschockgranaten”. So war das damals im Rechtsstaat Bayern, der unbedingt in der Oberpfalz eine WAA haben wollte, als Tschernobyl schon explodiert war. “Terroristensicher” wurde das Gelände ausgebaut, eine Festung, ein Staat im Staat.

Daheim gab es welche, die fanden es richtig, dort trotzdem hin zu fahren. Und andere fanden es idiotisch. Die Debatte für oder gegen Kernkraftwerke, für oder gegen die WAA wurde damals mit einer Härte ausgetragen, die man sich heute nicht mehr vorstellen kann. Sie spaltete das Land und selbst die Konservativen. Die einen wollten die Schöpfung bewahren, die anderen wollten sie bewahren, indem sie den sichersten Strom aus der sichersten Technologie gewannen, bis es etwas Besseres geben würde. Und es würde keinesfalls 250.000 Jahre dauern, da waren sie sich sicher, in jenen späten Tagen der 80er Jahre.

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Natürlich gab es auch eine schlüssige Pro-Atom-Erklärung dafür, dass wir alle, Konservative wie Konservative, nicht mehr konservativ in die Schwammerl oder auf die Jagd gehen konnten. An der Technologie und der Bewahrung der Schöpfung sei nichts auszusetzen, nur an den Russen, da hätte man etwas zu bemängeln, sehr viel sogar: Kein Wunder, dass bei denen die Kernkraftwerke durchgehen, weil sie eben nicht vorsichtig und sauber arbeiten, weil der Kommunisus eine gottlose Bedrohung ist, menschenverachtend, da müsse man nur mal den Grossonkel Hans fragen, der war in Kriegsgefangenschaft – so sei er, der Russ. Und so waren sie, die real existierenden Konservativen bei uns daheim. Tschernobyl war kein Versagen der Kernenergie, sondern ein Versagen des Kommunismus. Westlich-kapitalistische Kernkraftwerke “in jüdisch-christlicher Wertetradition des Abendlandes”, hätte man bis Freitag fast sagen können, fliegen nicht in die Luft.

Natürlich gab es auch im Westen Störfälle, aber der Kommunismus, der Osten, die weniger zivilisierte, weniger konservative Welt war klar in Führung gegangen. So konnte man sich trotz Katastrophe auf den Standpunkt zurückziehen, dass es ein Problem unterschiedlicher Weltanschauungen sei, und bei uns natürlich alles getan werde, alle Risiken auszuschliessen. Der konservative Kernkraftbefürworter sah keinen Widerspruch zwischen den AKWs bei Landshut – notwendiger Fortschritt, Unabhängigkeit, Effizienz – und traditionellen Werten. Es wurde von den Gegnern argumentiert, so ein AKW passe nicht in die bayerische Traumwelt aus Bergen, Seen, Kühen und Kirchtürmen – wer so sprach, verstand nichts vom dem Atom innewohnenden Heil, den Kraftwerken, die dieses Land voran brachten, die Allmacht Gottes richtete sie auf, geschaffene Wesen gab es nicht vor ihnen in der Erinnerung, nur ewige, und ewig würden sie stehen. Man hatte nun mal die Reaktoren, sie wurden Teil des konservativen Weltbildes, alle Widersprüche waren in einem stimmigen Weltbild aufgelöst. Oder wollte hier jemand in Hausham wieder die Kohlegrube aufmachen und ein Kohlekraftwerk am Schliersee?

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Und nun also die Katastrophe von Fukushima. Das konservative Weltbild hätte es vielleicht verwunden, wenn ein Reaktor aufgrund der besonderen Umstände durchgegangen wäre. Das liesse sich noch irgendwie als Sonderfall erklären, als die winzig kleine Chance, dass es in 250,000 Jahren trotz bester Technik der westlichen Welt doch einmal passiert. Zwei durchgebrannte Reaktoren sprechen schon mehr für grundsätzliche Probleme, die nicht ganz zufällig auftreten. Heute Nacht ging der dritte Reaktor trotz aller vorhergehenden Beteuerungen hoch. Und in einem vierten, stillgelegten Reaktor, in dem alte Atombrennstoffe lagern, brach ein Brand aus. Dazu kommt eine japanische Regierung, die immer nur das zugab, was nicht mehr zu bestreiten war. Ein amerikanischer Flugzeugträger, der in einer Strahlenwolke umkehrte, die man an Land nicht bemerkt oder gemessen haben wollte. Das verschämte Eingeständnis heute morgen, man leite verseuchtes Meerwasser zurück in den Pazifik. Eine radioaktive Wolke, die in ein paar Stunden die 35 Millionen Menschen in Tokio erreicht. Das ist, alles zusammengenommen, doch etwas mehr, als es dem bewahrenden Weltbild zuträglich ist. Do hebds Di, sagt man bei uns.

Den Ablauf und die Reaktionen vom Ignorieren über das Negieren, Wundern, Bestreiten, Verärgern bis zur Erkenntnis, dass es so einfach nicht geht, kennen viele Konservative aus den letzten Wochen vom tiefen Fall des Publikumslieblings zu Guttenberg. Auch dort verwandelten sich bombensichere Gewissheiten in kurzer Zeit zu einem Debakel. Guttenberg hat betrogen und gelogen – das war beim Blick auf Guttenplag vollkommen offensichtlich. Atomkraft ist nicht Bewahrung der Schöpfung, wenn man in Fukushima sieht, wie ein Reaktorgebäude den Deckel zum Höllenfeuer 200 Meter hoch in die Luft schleudert. Wenn man bei Wackersdorf im Tränengas rannte, die knatternden Rotoren über und die Polizisten mit dem Gummischrot hinter sich, gibt es wenig, was man den Atomkonservativen nicht zutrauen würde. Aber ich glaube, dass auch der Söder Menschen hat, die ihm am Herzen liegen, und einen Magen, der sich umdrehen kann. Ein “Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht”, war bislang die übliche Reaktion auf alle Gefahren. Jetzt hat man ihre Hand in die Seite gelegt.

Bild zu: Konservatives Denken von Guttenberg bis Fukushima

Und wie bei Guttenberg gibt es jetzt zwei Möglichkeiten: Möchte man Ideale wie die Bewahrung der Schöpfung aufrecht erhalten, möchte man unverstrahlte Kühe an einer sauberen Isar und Kirchtürme ohne Sirenen, oder geht man mit dem Atomforum und der angeschlossenen Atomerkel (eingeschränktes Klagerecht und niedrige Sicherheitsstandardsvorschläge bis gestern) und sagt sich a la Russ: Egal, das wird schon gut gehen, und wenn nicht, wer braucht schon Niederbayern und Passau, am Ende geht das über die Isar sowieso nach Österreich. Hauptsache, der Strom kommt weiter aus der Steckdose, und wenn da ein äh zwei äh drei äh vier mal äh war da nicht auch noch so ein ungekühltes Atommülllager was schief geht, wird es bei uns nicht passieren. Und a Pfund Dreck braucht der Mensch im Jahr, und ich bin eh schon so alt. Die Frage ist: Rettet man die unverzichtbaren konservativen Werte, oder die Götzen der Atomkraft, die man als genauso unverzichtbar ansah, und bekommt man den Strom etwas billiger. Frisst man jetzt doch das, was einem die Kerndlfressa jahrelang servierten, oder vielleicht bald Cäsium und Uran von der Grundremminger Schlachtplatte.

Der Bayer als ein solcher, und der konservative Bayer im Besonderen, der Bayer also neigt dazu, Unerquickliches schnellstens zu verdrängen. Wie immer eine Sache ausgeht, wie falsch er gelegen haben mag: Stets ist es wichtig, den Ausgang so zu gestalten, dass er vergessen kann, um fürderhin zu behaupten, er habe doch recht gehabt. Und zwar nicht nur so wischiwaschi wie die Atomparteien CDU, CSU und FDP mit ihrer “Brückentechnologie”, sondern richtig. Zu diesem Behufe behilft sich der Bayer seines Bieres, dem er nach solchen Zwängen des Umdenkens stark zuspricht – und glauben Sie mir, ich habe so einige im Fukushimastil geplatzte Wahfeiern in München bei der dort dauerverlierenden CSU miterlebt, das ist wirklich so. Der Fetzenrausch ist dem konservativen Bayern das, was dem Russen sein Betonsarg auf Tschernobyl ist. Dazu sagt man bei uns in konservativen Kreisen: Schwoammas owe! Zu Deutsch: Spülen wir es hinunter! Hat man es mit viel Bier “owegschwobt”, geht das Leben unter partieller Demenz weiter.

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Und es gehört nicht viel dazu zu wissen, dass der konservative Bayer als ein solcher bald über das Ende der Atomkraft genauso reden wird, wie über Katalysatoren, Solaranlagen zur Beheizung von Frühspargel, Eier aus Bodenhaltung, Biopilze und alles anderes, was er früher verachtete und heute das Leben schön und satt macht: Dös homma scho imma so gmochd, werden sie sagen. Dö Adomgrofd, de hom Mia no nia ned gwoid, dös woa nua da Schdrauss und nochad de Mergl, de Grompfhenna, werden sie sagen. In zwanzig Jahren werde ich mit Erstaunen feststellen, dass wir alle damals in Wackersdorf waren, zumindest moralisch.