Frühling! Aus der grauen Städte Mauern
fliegen blinkend Cabrios zum Berge hin.
Sollen andere in Arbeit bitter sauern
der Berufssohn hat genug vom Cetrizin.
Dem Heuschnupfen will er entfleuchen
läst’ger Pflicht und Mitlebskriserei.
Nieder mit der Langeweile Seuchen!
Italien! Lust! Liebe! Klingt der Freudenschrei.
Vor die Abreise hat Deutschland ein letztes Mal die Pflicht gesetzt, ausgerechnet ein italienisches Auto mit einem sog. TÜV zu versehen. Jahrelang habe ich es gemacht, wie man das eben so macht. Das Auto zum zuständigen Autohaus gebracht, die Mängel beheben lassen, den TÜV und eine Rechnung bekommen, bei der ich jedes mal dachte: Ich hätte Automechaniker werden sollen. Das ging so lange schlecht, bis dann die ansonsten sehr zuverlässige Barchetta einen Keilriemenriss bekam, und einen neuen Motor brauchte. Davor war es so, dass man mir stets genau erklärte, warum diese enormen Kosten unumgänglich waren. Und nun erklärte man mir, dass das Auto einfach zu alt sei, und ich einen Ersatz kaufen sollte. Sie hätten da einen Alfa Spider im Angebot, mit neuester Sicherheit, erheblich mehr Leistung und in einer keilförmigen Gestaltung nach den Prinzipien des mittleren Paläolithikums. Auf meinen Hinweis, dass ich nicht vorhabe, ein früher recht teures und ansonsten tadelloses Auto, also mal abgesehen von den Beulen, dem nicht richtig schliessenden Dach, der gebrochenen Stossstange, der klappernden Federung, den vereisenden Leitungen, dem leckenden Kühler, so ein tapferes, kleines Auto zu ersetzen, sagte man mir im Hinblick auf die allgemein nicht unbekannten Verhältnisse, dass ich mir das ja wohl noch leisten könnnte.
Könnte? Vielleicht. Wollen? Keinesfalls. Daraufhin wurde mir gesagt, man würde da aber keinen neuen Motor einbauen, basta, und ich solle machen, dass ich damit vom Hof komme. Zum Glück kannte ich damals schon einen jungen Herrn levantinischer Herkunft, der bei uns im Westviertel die alten S-Klassen erwirbt und gen Balkan und Orient exportiert. Der holte die Barchetta ab, ich beschaffte einen neuen Motor, und Sie, liebe Leser, sehen hier keinerlei Designunfälle des vergangenen Jahrzehnts. Allerdings hatte die Sache noch ein Nachspiel: Das Autohaus schickte für Gutachten, Beratung und Standzeit des Autos auf dem Hof eine gesalzene Rechnung, und setzte damit einen bis heute nicht beglichenen Schlusspunkt hinter ein unerfreuliches Erlebnis. Bald darauf war ich wieder in Italien, und die Barchetta sang das höhnische Lied des Opel Astra im Strassengraben.
Denn es gibt so Augenblicke im Leben eines Abkömmlings aus nicht einfachen Verhältnissen, da man den Eindruck hat, dergleichen geschehe nur aus einem Grund: Der andere weiss, dass man sich etwas leisten könnte, und betrachtet einen als wandelndes Geschäftsmodell. Es gibt so eine bestimmte Art der Angebote, die dreist darauf spekulieren, dass man sich denkt: Ach was soll’s, bevor ich grosse Scherereien habe und mir wochenlang die Stimmung vermiese, zahle ich halt. Das kann der Bild-Am-Sonntag-Zusteller sein, der im Viertel meiner Eltern den Leuten seinen Dreck unaufgefordert in die Briefkästen legt und dafür sorgt, dass dort, wo man diesen Eiter eines verkommenen Hauses nie lesen würde, plötzlich Briefe der “Kundenbetreuung” eingehen, renitent und Geld fordernd. Das kann der Bausachverständige sein, der komplette Dämmung fordert und zu erwähnen vergisst, dass es in der Altstadt auch Ausnahmeregelungen gibt, bei denen die Einnahmen für ihn um 100.000 Euro sinken würden.
Reichere Menschen haben absolut kein Problem damit, wenn man ihnen aufgrund des Vermögens, einfach so, Sonderrechte einräumt. Man verlangt das nicht, aber man fände es unhöflich, solche Freundlichkeiten abzulehnen. Gleichzeitig macht es Reicheren auch wenig aus, wie alle anderen behandelt zu werden, man ist oft genug privilegiert, und Drängelei durch Geld gilt als unfein. Was Reichere aber absolut nicht ertragen, was nachgerade eine Urangst ist: Der Verdacht, die Vermutung, die Ahnung, dass man aufgrund des Vermögens schlechter behandelt wird. Es ist legitim, bei Reicheren um grössere Spenden für die gute Sache anzufragen, aber wenn Leistungen schnell teurer werden, wenn Angestellte mit dreisten Forderungen aufwarten, wenn Kostenvoranschläge schulterzuckend gebrochen werden, werden Reiche schnell hellhörig. Und vorsichtig.
Zu deren Beruhigung gibt es zwei Strategien: Bei Frauen wird an das Gefühl und die Eitelkeit appelliert. Das sei ja nun etwas ganz Exklusives, das habe sonst niemand, das sei besonders gut, das wirke ungemein,. Man möchte ihnen einreden, die Plastikuhr sei eine Rolex, die Farbe ein besonderer Ausweis von Stil, die banale Handreichung ein ausgefallener Dienst, ein Atomkraftwerk sei viel netter zur Umwelt, als ein Kohlekraftwerk, man denke doch bitte an das Klima und die Eisbären. Bei Männern sind es dagegen meist wissenschaftliche Erkenntnisse, die ins Feld geführt werden: 40% mehr Torsionssteifigkeit müssten schon sein, amerikanische Forscher haben herausgefunden, der Kommissionspräsident habe eine Studie vorgelegt, die es in sich habe, und die Graphik belegt das ja fraglos, was die Machbarkeitsstudie für den Bahnhof schon ergeben hat. Deshalb, ja es kostet etwas mehr, aber es ist besser so.
Und wenn nicht? Nun, wenn man nun mal schon so weit ist, gibt es sicher irgendetwas, das man berechnen kann. Man hat schliesslich einen Sachverständigen geschickt und muss Anfahrtskosten verlangen, der Kostenvoranschlag war natürlich kein Liebesdienst, ausser man würde den Auftrag doch bekommen, aber man habe doch gesagt, dass man das wollte, deshalb habe der andere schon diesen und jenen angeheuert und das und anderes bestellt, also hören Sie mal, wenn jemand wie Sie diesen Auftrag gibt, da muss man natürlich in Vorleistung gehen, wer würde denn damit rechnen, dass Sie jetzt kalte Füsse bekommen – so geht das mit den Reichen. Sehr zu ihrem Missfallen.
Ich bin in Urlaubslaune. Meine Wohnung in Mantua ist gebucht, mein Schuster weiss, dass ich komme, das Wetter ist famos, und getankt wird in Österreich. Ich lese gar nicht mehr so genau, was in den Onlineauftritten so an Expertenmeinungen steht, zu Stuttgart21 und zur Atomwirtschaft. Aber manchmal reisst es mich dann doch, wenn irgendwelche grünwaschenden Leute ausgegraben werden, die Vorzüge eines in Verruf gekommenen Weges anpreisen, wenn die langfristigen Zweckmässigkeiten von Parkabholzungen und endlagerfreiem Weiter So betont werden, wenn alarmierende Nachrichten über Stromimporte und in die Ostzone abwandernde Unternehmer aus Schwaben zu lesen sind. Es stört mich allein schon aufgrund meiner Herkunft, wenn das so gehäuft kommt, wenn Experten dazu stossen wie der herbei gerufene Werkstattmeister, die einem klipp und klar sagen, dass man besser so investiert, wie sie es empfehlen. Sonst. Aber. Und alle sind bereit, sogleich Rechnungen zu schicken, wenn man sich doch wider alle Vernunft, Wissenschaft und Argumente anders entscheidet. Hohe Rechnungen, in der Erwartung, dass man es sich leisten kann. Schliesslich müssen all jene, die jetzt den besseren Weg empfohlen haben und nicht gehört wurden, auch von was leben. Es sind viele. Und sie alle denken vermutlich, dass die anderen so reich sind, es sich leisten zu können: Jetzt noch schnell mitnehmen, was geht, denn sonst ist von dieder Kundschaft nichts mehr zu erwarten.
Vielleicht sollte man zur Abwechslung ihnen ihre maroden AKWs, Bahnhöfe, PR-Klitschen, Lobbyvereinigungen und Institute hinstellen und sagen, dass sie damit vom Hof verschwinden sollen, solche Unhöflichkeiten duldet man nicht. Das allerdings dann ohne Rechnung, nur zwengs der Tradition. Denn oft werden uns Reicheren solche Rechnungen gestellt, aber zahlen tun wir sie nie.