Let it come down
Shakespeare, Macbeth
Es gibt ein paar simple Verhaltensweisen, die das nicht immer kostengünstige Dasein von Menschen aus komplexeren Verhältnissen erleichtern. Sagt einem dieser mitunter etwas lästige und nicht umnebelte Verstand, dass es keinen echten Sinn macht, auf Vorrat einen pompösen und übergrossen Muranoleuchter zu erwerben, geht man einfach in Verona auf den Corso Sant Anastasia und lässt sich erzählen, was man dort bezahlen würde. Schon erscheint einem der Gedanke, so einen Leuchter bei Bedarf später hier kaufen zu müssen, absolut unerträglich angesichts des drohenden Verlustes an Geld und Lebensfreude – ärgern würde man sich ein halbes Leben lang, schlüge man nicht im Mercatino do Usato zu. Hat man sich ein neues Paar Schuhe bestellt, das man aufgrund der Farben nicht oft tragen wird, und macht sich kleinliche Gedanken, besucht man einen Herrenausstatter in der Via Ponte Nuovo, der kaum bessere Schuhe aus England für den dreifachen Preis führt. Dortselbst sieht man auch fassungslos das hier:
Kragenstäbchen aus Gold. Ich gehöre nun ja auch zu jenen, die sich daran erfreuen, wenn der Füllmechanismus eines Schreibgerätes fein graviert ist, selbst wenn ich ihn nur alle paar Wochen sehe. Ich kann mich für unsichtbare deutsche Kabel in italienischen Kronleuchtern begeistern, weil ich es schon mal mit französischer Elektrik zu tun hatte – und gegen so etwas gibt es keine Versicherung, da hilft nur beten. Die Idee innerer Werte, der Qualität, die unabhängig von der Anwesenheit eines Betrachters da ist, ist mir durchaus vermittelbar. Aber goldene Kragenstäbchen? Mit Verlaub: Das ist krank. Jedem vernünftigen Hemd liegen diese Plastikstreifen in ausreichender Qualität doppelt bei, und sie halten länger als das Hemd selbst. Ich habe einen ganzen Schubladen voll von solchen Beigaben. Sie haben genau die richtige Spannkraft, nicht zu fest, nicht zu weich, sie sind nie zu sehen – es gibt ausser Verschwendung keinen Grund, für ein paar Kragenstäbchen so viel wie für ein gutes Paar Schuhe auszugeben. In solchen Momenten schlägt mein fraglos vorhandener Wunsch nach Selbstvergewisserung in Zorn um.
“Versündige Dich nicht” ist einer dieser bayerischen Sprüche, die mir da in den Sinn kommen. Ich bin nun wahrlich nicht der Ärmsten einer, ich könnte das durchaus erwerben, aber ich würde es nie, nie, nie tun. Es wäre mir peinlich. Und ich würde sie sicher in einem meiner vielen Hemden vergessen, und nie mehr finden, oder sie würden während des Waschens verloren gehen, und was für ein Geck, mit Verlaub, wäre man, würde man mit so etwas durch die Gegend rennen und sich denken: “Ich habe Kragenstäbchen aus Gold. Und ihr anderen alle nicht. Ich weiss es. Ihr ahnt noch nicht mal, dass es so etwas gibt.” Goldene Kragenstäbchen. Ich fasse es nicht.
Gleichwohl ist es angenehm zu wissen, dass Russen und andere Neureiche bereit sind, sich in dieser Art stillos und teuer zu erniedrigen. In der Hölle der Eitelkeiten bekommt jeder die Strafe, die zu ihm passt. So richtig wohlig wird das Schaudern erst, wenn man bedenkt, welche Optionen einem statt dessen zur Verfügung stehen, und flugs wendet man Schritte zurück zu Schuster, um neue Stiefel machen zu lassen. Nur die Gummiabsätze und Sohle sollen nicht drauf, denn da ist jemand in Naturns, Südtirol, der nach drei Monaten Wartezeit darauf eine eisenbeschlagene Sohle, und damit den endgültigen Schuh für das Bergsteigen macht: Oben italienische Eleganz, innen robuste toskanische Rindviehhaut, unten grobe Klotze für sicheren Tritt auf unbeweglichem Stein und tumbem Geröll. Jeder Depp kauft sich goldene Kragenstäbchen. Diesen speziellen Schuh für den sicheren Auftritt in Kuhfladen und Frankfurt – den habe nur ich, das kann ich mir leisten.
Nun könnte man in solchen Momenten die Selbstvergewisserung auch anderweitig betreiben: In anderen Strassen nämlich finden sich Schuhgeschäfte, deren Produkte etwas billiger sind und sehr viel billiger aussehen. Die Ratio würde sagen: Hier, Deine Schuhe halten Jahr um Jahr im Matsch und Schnee, diese hier sind schnell in Italien zusammengeleimt und fallen im ersten Winter auseinander. Dein Kauf ist vollkommen in Ordnung. Dieser Kauf hier – das Leder! Die Verarbeitung! – wäre es nicht. Allein, man tut es besser nicht. Denn der nächste und unschöne Gedanke, über den man nicht redet, und den man erst gar nicht formuliert, lautet: Wie wäre es, wenn man sich gar nicht für das eine und gegen das andere entscheiden könnte? Und gemeinhin ist es durchaus im Leben schlechterer Söhne so, dass sie sich nicht immer alles leisten konnten; den Corpus Vitrearium Medii Aevi etwa haben sie sich zu Studententagen vom Mund abgespart. Und so wissen sie durchaus, wie das ist: Etwas tun zu müssen, eine Entscheidung gegen besseres Wissen zu treffen, weil man die Option nicht hat. Hier das Sammelwerk der mittelalterlichen Glasfenster aus dem Besitz eines verstorbenen Professors. Dort die Münchner Vergnügungen. Nur eines ist möglich. Es ist sicher nicht schlecht, Kinder mit solchen Erlebnissen zu erziehen, aber es vermittelt auch früh ein Wissen um die Angst, die spezielle Existenzangst der Reichen.
Denn kaum einer fällt je hart. Wer nicht gerade in der Branche der Anlagebetrüger aktiv ist und obendrein keine allzu guten Kontakte hatte, mag zwar fallen, aber Familie, Vermögensreste, Immobilien, Kontakte, das alles federt ab und bewahrt vor den allerschlimmsten Folgen. Es wird immer ein Bett, einen Herd und mindestens drei Zimmer dazwischen geben. Dieses Wissen, sich im Zweifel auch beruflich eine harte Haltung leisten und notfalls die Brocken hinschmeissen zu können, wenn es anderen an Höflichkeit gebricht, und darüber die gscherden Leute auszulachen, ist nicht unangenehm. Die müssen weiterhin, man kann auch anders. Im schlimmsten Fall orientiert man sich nach drei Monaten Urlaub neu. Im allerschlimmsten Fall sind damit ein paar Unbequemlichkeiten verbunden, aber deshalb lernt man nicht zwingend ALG II oder ein Berufsumfeld kennen, in dem Körperhygiene optional ist. Unerfreulich wird so eine Situation erst, wenn die Alternativen wegbrechen.
Es bleibt dann eine Existenz übrig – aber eben nur eine, der man auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, mit allen Begleiterscheinungen. Formal sind noch Geld, Vermögen, Sachwerte noch vorhanden, aber das sichert nur die nackte Reichenexistenz, ansonsten ist es nicht weniger Zwang und Alternativlosigkeit als Hartz IV, oder die Rettung eines schmählichen Posten als Aussenminister. Die Leichtigkeit im Alltag – man weiss stets, dass man es nicht nötig hat, man lässt sich mehr freundlich und höflich dazu herab, statt etwas wirklich tun zu müssen – verschwindet. Es verschwindet auch die leicht verächtliche Haltung zum Thema Geld; war es bislang nur ein Mittel, die Unabhängigkeit zu sichern, sichert es unter neuen Bedingungen nur noch den Lebensunterhalt. Und selbst hier kann es sein, dass die frühere Entsagung, die man sich leisten konnte – ein etwas lässiger Umgang mit zerknitterter Kleidung, demonstrative Verweigerung der Moden rund um Uhren, Messer. Äxte, Eingangräder, Wein und anderer Torheiten – von da an allein dem Zwang geschuldet ist, das verbleibende Vermögen zusammen zu halten. Man gewöhnt sich sehr schnell an eine gewisse Grundsicherung. Niemand möchte wissen, dass es auch noch schlimmer geht. Es ist schlimm genug, wenn das Vermögen keinerlei Freiheiten, oder besser, Wissen um die jederzeit möglichen Freiheiten mehr erlaubt. Man lacht über Käufer goldener Kragenstäbchen etwas anders, wenn man sie sich nicht leisten kann.
Natürlich mögen das, von aussen betrachtet, seltsame Grillen und Launen sein, aber empfunden wird es als echter Paradigmenwechsel im Leben, zurück zu einem Status, von dem man dachte, ihn nicht mehr nötig zu haben wie so vieles andere. Es mag vielleicht den ein oder anderen abhalten, sich nicht zu versündigen – man weiss ja, dass das schon im Leben bestraft werden kann, wenn man seinen Augustinus gelesen hat – aber ansonsten verdrängt man es besser. Und besucht Orte, die nicht von Zwang und Unvermeidlichkeit künden, sondern von Alternativen und Sonderwegen. Die Angst kommt früh genug, vielleicht ist sie auch stets latent vorhanden, und hält Reiche davon ab, allzu dumme Dinge zu tun, die theoretisch möglich wären. Statt dessen sorgen sie gerne dafür, dass, wie es so schön heisst, der Teufel seine Exkremente immer am selben Ort hinterlässt: Das Sparen, Raffen und nicht Kaufen ist der Lohn der nackten Angst.
Vielleicht sollte ich den Muranoleuchter doch nicht