Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Die Luxusvilla der Sklaven

Die schönsten Plätze der Erde haben stets einen Nachteil: Immer wohnt dort schon ein anderer. Oder, wie in Sirmione, hat ein anderer dort so gehaust, dass dort kein Platz mehr für Nachfolger ist. Aber immerhin, er und seine Sklaven hatten es dort angenehmer, als sonnenversengte Touristen, deren Kinder in den Vergnügungspark wollen.

Domination’s the name of the game
In bed or in life
Depeche Mode, Master and Servants

So eine Entscheidung für einen Zweit- oder Drittwohnsitz prägt. Die immer ein weniger wilden D.s zum Beispiel, die ihre Kinder mit dem Porsche an der Schule abholten und ihnen sehr früh Rennräder beschafften, die D.s also hatten immer etwas am Gardasee. Hier lernten die Söhne das Frisieren von Motorrädern und den verderblichen, aber auch angenehmen Einfluss so einer Behausung auf bessere Töchter kennen; hier wurde der Urgrund gelegt für den Vorfall, da ein Kind mit einer nicht zugelassenen Enduro vergeblich durch die Fussgängerzone der Polizei zu entkommen beabsichtigte, und sich eine Apothekertochter in ein anderes Kind verguckte, es dann aber recht langweilig empfand und sich lieber einen echten Mann mit echten Integrationsproblemen in ihre Schicht beschaffte, heiratete, ein Kind und eine Scheidung bekam, und dieses Kind wiederum kam vorletzte Woche – ich schweife ab. Jedenfalls, Kinder nehmen am nahen und etwas drögen Tegernsee inmitten von Kühen und auf Pferden eine andere Entwicklung als am Gardasee inmitten von jungen Bekannten, die dort dauerhaft eingeladen sein möchten.

Bild zu: Die Luxusvilla der Sklaven

Bevor ich einer zukunftssicheren Lösung zugunsten des Tegernsees zuneigte, gab es auch die flüchtige Idee, es doch an einem oberitalienischen See zu versuchen. Der nördliche Gardasee ist, wenn man es auf der Brennerautobahn wirklich darauf anlegt, schneller als Frankfurt zu erreichen. Man kann dort nicht mal eben einen Tag hinfahren, aber dafür bleibt man eben länger und in der Summe nicht kürzer. Erzieherischen Gründe spielen in meinem Dasein ohnehin keine Rolle, und die nachlassende Attraktivität, seien wir ehrlich, nagt an beiden Alpenrändern gleichermassen so stark, dass ein paar Zimmer nicht vom Zwang entbinden, längerfristig grössere Exzesse in Nachfolge des Herrn Berlusconi mittels finanzieller Zuwendungen zu betreiben. Oder sich gleich damit abzufinden, was billig, moralisch sauber und nachredefrei ist. Wie auch immer, 2007 schaute ich hie und da, begutachtete Wohnlagen, ärgerte mich über prollige Deutsche in Torbole und schreiende Kinder in Desenzano, fühlte mich unwohl im faschistischen Salo’ und stellte in Arco fest, dass die entdeckte Traumimmobilie mit albtraumhaften Erbstreiteren belastet war.

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Und wie vermutlich alle Immobiliensucher am Gardasee stand ich irgendwann in Desenzano am Strand, wandte mich ab von den dortigen Wohnanlagen, die gerade von hilfreichen Händen für die bald kommenden Touristen bereitet wurden, und blickte hinüber auf die langgestreckte Halbinsel von Sirmione, denkend: Das wäre es. Von Wasser an allen Seiten umgeben und nicht von chinesischen Touristen, die Bleiglasgeschäfte plündern. Eine Position, die in Fels und Wasser eine splendid Isolation ausdrückt, mit freiem Blick nach allen Richtungen und von allen zu weit entfernt, um gesehen zu werden. Vielleicht ein kleines Boot mit dem Namen “Andromeda” dazu, das in den Wellen schaukelt, und den Besitzer am Abend zum Essen über den See trägt. Der römische Dichter Catull hat Sirminione einmal als sehr angenehm bezeichnet, und wenn man es so sieht, mag man es fast glauben.

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Es gibt da nur ein kleines Problem: Anderen ist diese gute Lage auch schon aufgefallen, und haben dort entsprechend komfortabel gebaut. Das besondere an der Inselspitze von Sirmione ist der Umstand, dass die Bautätigkeit schon über 1800 Jahre zurückliegt. Wir wissen nicht, wer sich dort zu seinem Vergnügen einen Komplex bauen liess, der damals vermutlich Villa hiess. Nur so viel ist offensichtlich: Mit 240 Meter Länge und über 2000 Quadratmeter Wohnfläche im Erdgeschoss ist es durchaus ein Beweis, dass die Römer mehr als nur Zirkusspiele, Militär und Strassenbau beherrschten. Ein immer noch eindrucksvolles Ruinenfeld ist diese Villa heute, selbst wenn vom ehemaligen Prunk, Stuck und der Wandmalerei wenig zu sehen ist. Und natürlich ist es unmöglich, an dieser Stelle etwas zu kaufen. Das Gelände ist ein Freilichtmuseum dessen, was das römische Imperium war, wenn es Zeit für Sommerfrische hatte.

Imposant sind besonders die grossen Bögen des Unterbaus: Die Spitze der Insel ist zwar nicht klein, aber zu klein für den Geschmack des Bauherrn, also liess er das Plateau durch Stützbögen künstlich erweitern. Gähnend wird er also einmal am Morgen über dem Unterbau gestanden sein, auf den See geblickt und sich gedacht haben: Es gibt viele Schöne Orte. Aber der hier ist der Schönste, und es ist meiner, meiner ganz allein. Und er wird zufrieden gewesen sein. Wobei er kaum allein gewesen sein dürfte; unten, in den Bögen, wohnten vermutlich all jene, die damit beschäftigt waren, den Luxus zu bewahren. Damit einer so leben konnte, mussten dort unten viele verweilen. Wobei man fairerweise sagen muss: das römische Imperium kannte eine Menge unerfreulichere Orte für seine Unterschichten, in Galeeren, in der Landwirtschaft, in spanischen Quecksilbergruben und bei der Förderung von Schwefel auf Sizilien. Wer das Glück hatte, hier sein Untertanendasein zu verbringen, hatte es vielleicht als Sklave erheblich besser, als die freien, aber armen Unterschichten in Rom.

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Natürlich ist es nicht ganz ohne Ironie, dass man heute zwar jenen Ort besucht, der als “Villa des Catull” so angemessen bezeichnet wird, wie der Atomforscher “Restrisiken” als kontrollierbar erachtet – gleichzeitig aber vor allem die antike Grösse durch Unterbauten und Sklavenwohnungen erfährt. Es ficht die chinesischen Touristen nicht an, denn Gross ist Gut und Bildung ist etwas für Fremdenführer, und ausserdem: Die Bögen von Sirmione sind auch heute noch jederzeit in der Lage, es mit den Unterkünften chinesischer Wanderarbeiter aufzunehmen. Es sportsandalt der deutsche Besucher auf Pfaden über Mauerresten und filmt die Schar seiner Kinder; gar seltsam würde es den Erbauer eventuell anmuten, dass nun Germanen für einen kleinen Obolus durch seine Villa marschieren, also bitte, die Herrschaften, das geht doch nicht, wo bleibt denn da die Klassentrennung. Verloren beim Fortschreiten der Geschichte. Gestern noch exklusiver Wohnsitz, heute Kinderquengeln, das weniger exklusiven Urlaub in Gardaland mit Riesenrutsche fordert. Es gibt Momente, da wünscht man seinesgleichen kein Leben nach dem Tode.

Oder vielleicht doch, als Strafe für die Sklavenhalterei? Man lebt nicht auf 2000 Quadratmeter Wohnfläche in bester Lage, ohne andere mehr oder weniger direkt zu beherrschen. Das ist bei uns nicht anders: Man bewundert die schlanke Eleganz des Atomkraftwerks und denkt nicht an die Uranminen, man kauft die Videokamera in den Riesenhallen der Einkaufszentren und denkt nicht an die Herstellenden in Bangladesch. Würde sich ein Reicher heute so eine Villa bauen, würde er unten vielleicht noch kleine Eigentumswohnungen verkaufen; die Sklaverei hat der Kapitalismus durch niedrige Transportkosten räumlich bestens von Orten mit hoher Lebensqualität getrennt. Was er leider noch nicht von solchen Orten trennen konnte, sind italienische Schulklassen. Vielleicht, denkt man sich, wenn man so hinüberschaut im Wissen, dass es nicht möglich ist, doch besser am Tegernsee. Mit Bergblick. Und ohne all die absurden Gedanken. Man dreht sich um, und geht. Und sieht dabei

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dieses lauschige Eckchen. Römisch anmutend. Mit Blick hinüber nach Sirmione, zu den Sklavenbehausungen. Über den Asphalt rollt eine Starnberger R-Klasse in Dunkelgrün Richtung Tiefgarage. Die Dienstboten haben ihre Arbeit erledigt, packen ihre Leitern in einen schäbigen Transporter, und fahren irgendwohin, wer weiss das schon. Über dem See senkt sich die Nacht herab, es wird etwas windig, aber noch lange nicht kühl, und um den See herum flammen die Lichter auf. Morgen sitzen sie dann vielleicht in ihrem römischen Eckchen, blicken hinaus und wünschten sich ein wenig imperiale Grüße, ein klein wenig nur, um all die Seeheimatlosen, die den Blick versperren, entfernen zu lassen. Nur einmal in die Hände klatschen, dann kommt der Major Domus mit vier breitschultrigen Herren aus Nubien, das wäre vielleicht nicht gerecht, aber sehr angenehm, wie so vieles hier am See, an dem kein Bericht davon kündet, dass es hier einen Aufstand von Sklaven gegeben hätte.

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Am Ende ging ich doch an den Tegernsee. Ich mag Berge, Kühe, und wenn ich will, miete ich eine Wohnung in Mantua, eine halbe Stunde von Sirmione entfernt.