Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Mit Untertanen reden

Früher gehörte in Bayern das ganze Land der einzigen echten Partei. Dann war es so, dass das Dorf der Partei gehörte, und in den Städten andere auch waren. Irgendwann vderlor man die Kontrolle über die Städte. Und wenn man jetzt als Parteikönig so über die Dörfer fährt, kann einen schon der Verdacht beschleichen, dass man auch hier nicht mehr unumschränkter Herrscher ist

Da Mensch is guad owa d’Leid san schlechd

Jetzt stellen Sie sich einmal vor, Sie sind Bayerische Oberschicht. Also jetzt nicht so wie der Autor, dessen Familie seit vielen Generationen in einer kleinen, dummen und reichen Stadt davon lebt, aus unwirtlichen Fremde und kargen Dorfbewohnern blühende Immobilienlandschaften zu züchten, sondern die andere Elite. Die auf dem Dorf, das traditionell einen König hat. Früher war das der reichste Bauer, inzwischen kann es aber auch der Chef der Volksbank sein, der regional führende Bioabfallentsorger, der Landmaschinenvermieter, oder der Gewerbegebietsverwalter. Die Geschäfte laufen monopolartig, jeder kennt und grüsst einen, wie schon die letzten 5 Generationen auch, und weil der Nachwuchs nicht mehr Pfarrer werden will und schon ein Arzt in der Familie ist, wird er halt Abgeordneter bei der Staatspartei, weil: Bürgermeister ist schon ein Angestellter, den kann man nicht einfach so davonjagen.

Und so wäre eigentlich alles in bester Ordnung, wenn nicht gerade viele Leute die anderen wählten, obwohl sie doch dem König unterstehen. Der eigene Kusah 2. Grades aus dem Städtererzweig ist zwar bei einer grossen Qualitätszeitung, aber was der schreibt, ist auch nicht nett und das, was man aus dem Heimatblatt sonst so kennt. Der Bundespräsident stellt sich auch noch hin und sagt, dass de Greana Bazi mit ihrer Basis sehr viel besser könnten, als Sie und Ihre Partei, die doch Basis und Leitung und überhaupt alles in einem ist, wo alle das gleiche denken und wollen und man doch gar nicht darüber reden muss. Es is wias is, sagt man hier, owa wias is is a nix Gscheids, im Moment.

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Aber jetzt sind Parlamentsferien, da können Sie mal wieder durch die Dörfer Ihrer Heimat fahren. Im Bauch immer noch der Groll über den Bundespräsidenten und seine gscheade Goschn, und im Gefühl die Ahnung, dass man Sie beim Pfingstfestseinzug hoch leben lässt, weil man was von Ihnen will, aber die Töchter wählen nachher doch etwas anderes. Man kann denen nicht mehr so richtig trauen, und umgekehrt trauen die einem vielleicht auch nicht mehr richtig, obwohl man doch aus dem gleichen, schönen Land, von der gleichen Erde kommt, und so gross sind die Unterschiede zwischen Ihrer Königsfamilie und den anderen auch nicht, ein jeder hier profitiert vom Aufschwung, man ist global ganz vorne mit dabei, und das Land ist doch auch so schön, warum nur sehen die nicht, wie alles zusammenpasst, der Erfolg, das Land und die Partei… das Dorf da hinter der Kurve, vor 30 Jahren 100% ihre Partei, inzwischen nur noch 60%. Für andere mag das sauber und ordentlich klingen, hier aber ist es zu wenig, um insgesamt noch die Mehrheiten zu bekommen.

Nur wenn hier die Reihen geschlossen sind, kann man die Verluste in den Städten ausgleichen. Nur wenn hier alles bleibt, wie es ist, kann man Zeit gewinnen,um sich den neuen Mehrheiten anzupassen. Da hat sich was verändert. Nicht nur in den Ergebnissen, auch neben der Strasse. Das sieht man nicht gleich, wenn man in die Sonne fährt, aber da links, zwischen den alten Obstbäumen und der Strasse, ist ein schmaler Streifen Land. Früher, ganz früher haben die Dorfbewohner auf solchen Randflächen kleine Gemüsebeete angelegt, das war die sogenannte Allmende, und hier hat man sich wohl daran erinnert und wieder solche kleinen Gärten angelegt. Wie in der guten, alten Zeit. Halten Sie an, steigen Sie aus, schauen Sie sich etwas um.

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Zum nächsten Supermarkt braucht man von hier mit dem tiefergelegten Golf keine 10 Minuten, wenn es nicht gerade die Ewigkeit ist, von der all die Kreuze an der Strecke künden. Da gäbe es geschmackvolle Gemüsetheken und das Beste aus aller Welt und aus dem Grossmarkt, aber hier machen sich die Untertanen die Mühe, das selbst anzubauen. Es ist ein langer Weg zum Dorf, ein Beet am anderen, es machen wohl ziemlich viele: Die Zweibel steckt ihre grünen Spitzen in die Luft, rot knallt die Johannerbeere, der tückische Kurbis schlängelt sich die gewundene Stange nach oben, und begierige Hände haben die Erdbeeren geplündert. Es gedeiht der Boräh (wie heisst das auf Hochdeutsch?) und der Salat, es gurkt die Gurke und was nicht essbar ist, ist Blumen von der Art, wie man sie im Supermarkt für einen Euro den Strauss von der Plantage bekommt. So viel Arbeit, so wenig finanzieller Vorteil und das noch dazu in so einer reichen Region. Warum, kann man fragen, tun die das? In Berlin redet keiner von so etwas, nur von Untersuchungen, Umfragen und Prozenten, da hätte auch keiner Zeit, so etwas anzubauen.

Offensichtlich sind diese Menschen hier schon etwas stolz auf das, was die geschaffen haben. Das ist alles sehr anders, aber auch sehr sauber, man gibt sich Mühe und für Pflanzen, die Schatten brauchen, gibt es eine alte Gardine als Sonnenschutz. Das Regenwasser sammeln sie in Fässern. Mäuse werden nicht mit Gift umgebracht, sondern mit Katzenfiguren verschreckt. Statt Schneckenkorn wird Stroh um die Erdbeeren gelegt. Und wenn Sie nicht haargenau wüssten, dass hier immer noch die meisten Ihrer Wähler lebten, könnten Sie den üblen Verdacht haben, dass hier eine wilde Ökotruppe ihre Selbstversorgungsphantasien auslebt. So wie der Bauer ein Dorf weiter, der schon lang eine Wiese am Nordhang zur Donau mit Sonnenkollektoren gefüllt hat. Sachen gibt es… jetzt jedenfalls könnte man mit der Basis mal reden.

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Zum Beispiel über den neuen Kurs zur Atomkraft. Wobei… nein, das ist vielleicht nicht so gut, die Leute erinnern sich noch an die Laufzeitverlängerung, und wer hier diese Gärten anlegt, ist darauf sicher nicht gut zu sprechen. Oder über die Hilfen für Griechenland. Obwohl, da heisst es dann nur wieder, das täte man alles für die Banken in Frankfurt die wo keine Genossenschaften sind. Oder über die möglichen, eventuellen Steuerentlastungen. Aber vielleicht ist es Menschen, die sich so liebevoll um ihre Heimat kümmern, wichtiger, dass man ordentliche Staatsfinanzen hat. Über den Bundesfreiwilligendienst vielleicht, damit Grosstante Gerda im Spital auch in Zukunft… aber das läuft gerade eher schlecht an. Über den Emissionshandel… aber das gibt nur böses Blut. Über 0,99% mehr Rente… aber die werden einem etwas hineinbetonieren, bei 3% Inflation. Über die Zukunftsfähigkeit mit Stuttgart21… aber diese tolle Architektur verstehen sie hier nicht, wo sie alte Jurahäuser nachbauen. Worüber redet man als König denn so mit seinen Untertanen, im prachtvollen Sonnenuntergang bei den Gemüsebeeten? Was kann man ihnen so erzählen, aus Berlin, dem grauen Häusermeer mit seinen grauen Lobbyisten? Vielleicht über den besseren Anlegerschutz. Gegen Fonds und Banken, die man andererseits natürlich fördert, fördern muss, das ist alternativlos weil also nun nicht wahr weil.

Thematisch ist man ein wenig nackert, und kann eigentlich nur hoffen, dass die nicht mit der Gentechnik anfangen. Vielleicht könnte man ja sagen, dass man den Islamisten die Zwangsheirat die wo hier bis vor einem halben Jahrhundert auch nicht selten war verboten hat; das mit dem Kopftuch sagt man besser nicht in einem Dorf, wo das noch jede alte Frau trägt, weil es dazu gehört. Am besten sagt man gar nichts über die Herrschertätigkeit und redet mit den Leuten über ihre Pflanzen, das machen sie gern, man zupft ein paar Johannesbeerln und findet die ganz her-vor-ra-gend und muss sich anhören, dass man daraus zwar eine Marmelade machen kann, aber die wegen der Nahrungsmittelverordnung auf dem Wochenmarkt nicht verkaufen darf. Es schaut alles so pfundig aus im kleinen Königreich, aber alle sind unzufrieden, haben etwas auszusetzen, und obwohl Sie gar nie nichts dafür können tun – sind Sie der König, und Sie müssen sich darum kümmern. Vielleicht sollten Sie in Zukunft nur noch zum Pfingstfest aussteigen, dann gibt es ein Bier und keiner denkt mehr an Pflanzen, Energieeinspeiseverordnungen und daran, dass so ein grünes Solardach schon dem ein oder anderen Bauern geholfen hat, seinen knallschwarzen Bauernhof zu halten. Bier drüber, Sache gut, mia san mis und Sie san der Kini, vielleicht sagen Sie ja ein paar Worte gegen die Preissn und ihren Slum in Berlin, das findet sogar der Kusah 2. Grades bei der Zeitung da nicht schlecht.

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Aber bittscheh Vorsicht bei der Familienmoral, weil die Tochter vom grössten Bauern ein Dorf weiter, die hat gerade das dritte Kind bekommen. Vom zweiten Mann. Und ist stolz darauf. So is des bei dene.

Dann fahren Sie nach Hause, vorbei an üppigen Feldern voll mit Getreide und Mais. Blumen zum Selberpflücken, Erdbeerfelder, noch ein Schild für eine Volksabstimmung zur gentechnikfreien Region, und, Sie glauben es nicht, do haut’s da an Vogl naus, nebem den Spinnern vom Slow Food aus der Stadt stehen als Sponsoren auch die beiden Brauereien als Unterstützer drauf. Beim Bier hört in Bayern der Spass auf, Sie sind vielleicht König, aber das Bier ist Gott in diesem Land oder zumindest ein Erzengel. Es ist wias is. Vielleicht denken Sie dann in Berlin wieder an diese kleinen Gärten an der Strasse und überlegen sich, was eine gute Politik für diejenigen wäre, die dort die Grundlage für den Erdbeerkuchen anbauen.