Le fave ch’o chiantante in mio giardino
Quanto son dolce chi le voul provare
Die Bohnen, die ich angebaut habe (Trad. neapolitisch)
Berater müsste man sein. Oder so ein typischer Fondsvertriebler. Dann könnte man jetzt kaltschnäuzig zu dem Herrn im Kleinbagger hingehen und sagen: “Guter Mann. Gib mir Dein Handy. Das ist eine Win-Win-Situation. Ich komme dann schnell weiter, und Du hast wieder eine freie Baustelle. Ich werde dann auch nicht meinen Anwalt fragen, ob mein Motorschaden nicht doch etwas mit der Art zu tun hat, wie Ihr hier Eure Baustelle in den Berg hineingebaut habe, denn ich bin versichert, und zumindest kann ich dafür sorgen, dass Du jede Menge Scherereien hast. Also rück das Handy raus, ich rufe dann meine Firma, den ADAC, meine Freundin, meinen Anwalt und so ziemlich jeden anderen an, damit Du auch merkst, wen Du hier vor Dir hast.”
Ich bin kein Berater und kein Vertriebler, nur ein schlechterer Sohn aus besserem Hause, und wie ich da so mit meinen Ricchetti-Schuhen durch den Schotter an der langen Baustelle der A3 stapfe, während sich hinter meiner Barchetta ein Stau bildet, ist mir das alles sehr peinlich. Ich würde gerne sterben. Ich möchte nicht als “13 Kilometer Stau wegen eines defekten Fahrzeugs an einer Baustelle” im Radio kommen. Vor allem aber wäre es mir sehr recht, wenn ich selbst Polizei und ADAC rufen und damit den Bauarbeitern zeigen könnte, dass ich Herr der Lage bin. Leider ist das Mobiltelefon daheim geblieben. Und weil hier eine Baustelle ist, gibt es weder eine Standspur noch eine Notrufsäule. Ich muss einen wildfremden Menschen, dem ich Scherereien mache, auch noch um einen Gefallen bitten. Andere würden vielleicht um ihr Auto weinen, oder darüber nachdenken, was alles hätte passieren können. Mir ist das alles nur grenzenlos peinlich.
Denn eine absolute Grundsatzprämisse, die solchen Kindern derartiger Häuser vermittelt wird, im Gegensatz zu Vertrieblern und Beratern und anderen Menschen, denen man nicht vorgestellt werden möchte, und schon gar nicht selbst vorgestellt, lautet: Verhalte Dich stets so, dass Du nie die Hilfe anderer Leute brauchst. Und wenn Du doch einmal die Hilfe brauchen solltest, sei Dir sicher, dass Du alle anderen Optionen ausgeschlossen hast. Bei der heranbrausenden Reisewelle ist ein auf der Fahrbahn liegenbegliebenes Fahrzeug nichts, was andere Optionen als die Bitte um das Telefon zuliesse, aber ich bin schon mal 10 Kilometer auf Rennradschuhen und zwei Platten nach Hause gewatschelt, und habe hilfsbereit anhaltenden Autofahrern gesagt, ich wäre gleich daheim, was inmitten von Feldern nicht wirklich glaubhaft war. Man möchte anderen auf gar keinen Fall Umstände machen. Und so es wirklich keine Alternative gibt, sollte man diese Alternativlosigkeit zuerst schildern, um klarzustellen: Dies ist die einzige Ausnahme des Lebens, und das auch nur, weil einen blöderweise der hinten anrauschende LKW nicht mit Überrollung von dieser Last befreien wollte: “Entschuldigen Sie, könnte ich bitte Ihr Handy…” “Mia hom sch d’Bolizei gruafa, san’S beim ADAC? Do, no ruafas oh, de kemman schnei. Se san ned da easde und ned da letzte, dem dös bassiad.”
Es ist das Glück der höflich Beschämten, wenn ihnen dann das Gewünschte so aufgedrängt wird, dass man es ohne grosse Gegenwehr annehmen kann. Normalerweise nämlich fragt man auch dann nicht direkt nach etwas, sondern stellt es als dezente Hoffnung so in den Raum, dass der andere und man selbst ohne jeden Gesichtsverlust wieder aus der Sache herauskäme. Schliesslich bittet man, man fordert nicht. Und wenn der andere ablehnt, dann lehnt er eben ab, und man muss einen andere Alternative finden. Denn leicht ist es zu wandeln auf dem Erdenrund, wenn man qua Abstammung keinen anderen Menschen braucht. Eine Frage der Haltung wird es erst, wenn man selbstverschuldet Hilfe benötigt und dabei lieber krepiert, als anderen etwas aufzuzwingen. Im Zweifelsfall ist das schlecht für den Genpool, und ich frage mich, ob die massenhafte Existenz von Beratern und Vertrieblern nicht auch etwas damit zu tun hat, dass man mitunter vielleicht etwas zu sehr einem Ideal entsprechen möchte, das wie “Stolz” aussieht und hinter den zusammengebissenen Zähnen tiefste Scham ist. Sicher, es ist nur von begrenzter Intelligenz. Aber wenn man alles abschaffen würde, was nicht gerissen genug ist, um dem Vorankommen zu dienen, hätten wir eine Gesellschaft, die nur noch Vertrieblern, Beratern und anderen Staubsaugervertretern in asozialen Netzwerken bevölkert wäre.
Zumal: Man kennt auch Gegenbeispiele. Vielleicht muss man dazu geboren sein, andere Leute plattzureden, sie rumzukriegen und ihnen etwas aufzudrücken. Das kann nicht jeder, und nicht immer geht es gut. Man muss dazu nicht all die Kundenkeuler der New Economy heranziehen; ein Bekannter aus Schulzeiten etwa begann, den Alkohol mehr als alles andere zu schätzen. Natürlich haben seine Eltern dieser Affaire mit berenzter Apanage Einhalt zu bieten versucht. Und natürlich setzte die grosse Passion alles daran, diese Hürde zu überwinden: Als er begann, reichlich hemmungslos von anderen Geld zu verlangen, ohne besondere Mühen und Ausreden, immer direkt und gänzlich ohne die Möglichkeit für die anderen, auf eine gesittete Art “Bedaure, jetzt gerade ist es schlecht” zu sagen – da konnte man ahnen, dass etwas aus dem Lot geraten war. Dass jenes, was bis dahin eigentlich den Charakter ausmachen sollte, verschwand und von einem Benehmen verdrängt wurde, das offensichtlich von den eigenen Vorteilen getrieben wurde. Es wurde für seine Freunde oder das was davon übrig blieb, ein teurer Spass, aber eine gute, ergänzende Lehre, was eigentlich passiert, wenn man sich nicht an die Regeln der Eltern hält.
Der weitere Fortgang seiner Geschichte verlor sich erst in der Bundeswehr und dann in irgendeiner Ausbildung; ein wenig Angst, eine gewisse Unsicherheit ist natürlich immer da, dass man eines Tages den Rest der Geschichte erfährt, so wie jetzt eben und in Romanen des 18. Jahrhunderts. Dass man irgendwo liegen bleibt und eine Zufallsbekanntschaft die losen Fäden wieder zusammenknüpft. Denn natürlich hat man damals zuerst auch nicht klar Nein gesagt, und ein flaues Gefühl ist geblieben und kommt stets wieder hoch, wenn man selbst in einer Zwangslage ist, und etwas erbitten muss. Der Weg der auf der Sonnenseite Geborenen in die Finsternis ist lang und von vielen Fehlern und Schuldigen begleitet. Die einen vergessen sich, und die anderen wissen in ihrer Unsicherheit – hat man nicht auch gelerrnt, gerade wegen der Unmöglichkeit, Forderungen zu stellen, anderen die Wünsche von den Lippen abzulesen? – darauf nicht die richtige Antwort. Das System, das geschaffen wurde, um beiden Seiten eine Bitte zu ermöglichen, ohne es dabei wie eine Bitte aussehen zu lassen, und das stets ein Danke mit einem fast erschrockenen “aber bitte, das ist doch kein Thema” enden sollte – dieses alte System ist hochgradig anfällig, wenn sich jemand innerhalb dieser Kreise nicht daran hält.
Es dauert, bis die Polizei kommt, man hat mannigfaltig Zeit für schlechte Gedanken, wenn sich der Stau bildet und genervte Menschen, aus dem schönen Süden kommend, das nicht als Gelegenheit des Verweilens in schöner Landschaft nahe des Barockkleinods Würzburg erachten, sondern als Behinderung auf dem Weg in das kulturelle Nichts ruhrpöttischer Bergbaubrachen. Natürlich schäme ich mich, aber wenn dann einer neben meinem Fahrzeug anhält und sich rüde beschwert, dass er wegen mir im Stau steht, und darin vielleicht sogar etwas Enttäuschung mitschwingt, dass vor dem Wagen keine Leiche und kein Blut zu sehen ist – dann härte ich ab. So, wie ich auch im Laufe der Zeit abgehärtet bin gegen direkte Anfragen von Leuten, die etwas wollen, was erkennbar nur zu ihrem Vorteil ist. Die Welt ist kein universelles Westviertel, man muss sich aufspalten, Menschen prüfen, sie in jene aufteilen, die man gegen alle inneren Widerstände freundlich ablehnend bescheidet und anderen, die so sind, wie man selbst ist, und die man gar nicht oft genug und präventiv wissen lassen kann, dass ein kleiner, dezenter Hinweis genügen würde, ein Wimpernschlag, ein leicht melancholisches Atmen…
Man tut das nicht nur für den anderen, es ist eine Form der Arterhaltung, von der man mittelfristig selbst profitiert, auch wenn man ab und an 10 Kilometer heimwärts watschelt. Es ist die Welt, in der es keine Not und keine Forderungen gibt, sondern allenfalls Hinweise und Galanterie, die Gelegenheit, sich zu beweisen und zu wissen, dass der andere versteht.
Auf dem weiteren Weg nach Frankfurt traf ich sehr nette ADAC-Mitarbeiter, die mich bei einem sehr freundlichen Fiat-Restaurator absetzten, der sich für die Rettung meiner Barchetta aussprach, und beim Autovermieter bekam ich ein japanisches Fahrzeug anstelle einer Strassenbarrikade von Opel. Ich hatte viele Gründe, mich herzlich zu bedanken. Meine CDs hatte ich vergessen, und so hörte ich auf dem abendlichen Weg zur Fondsvertrieblerstadt Frankfurt testweise in das hinein, was in den letzten 8 Jahren jenseits von Bayern 4 Klassik Stand des privaten Rundfunks ist. 77% Rabatt, 1200 Euro Geschenkgutschein, 3 Stück kaufen und 2 bezahlen, nur noch heute, Ihr Vorteil, kaufen Sie jetzt XXXL, na los, es ist fast verschenkt und denken Sie nicht nach. Das hat offensichtlich Erfolg, das kommt an, das macht Umsatz. Es sieht so aus, als hätten die Berater und Vertriebler weitgehend gewonnen, sie bezahlen mit ihrem Sieg die Türme und die Industriegebiete, und Strategien, wie man so verstockte Vorzeitmenschen mit absonderlichen Manieren auch noch rumkriegt. Das ist eigentlich ganz einfach: Mit dem richtigen Benehmen und der richtigen Erziehung. Es schmerzt mich sehr, das zu sagen: Dafür müsste man leider, leider etwas anderes als ein Berater oder Vertriebler sein. Ich bedaure das wirklich sehr, ja, ich wünschte wirklich, es wäre nicht so, bitte, bitte: Sehen Sie mir das nach. Auf ewig, in Dankbarkeit, der Ihre.