Wie auf alten Kupferstichen: Die Druckerei Besia in Mantua logiert in Räumlichkeiten der Renaissance, und macht Visitenkarten wie in den Tagen, da man sich damit nur als Person vorstellte. Und nicht als Senior Funktionsrädchen of International Bedeutungslosigkeit.
Zuerst wird das Papier ausgesucht. Glatt? Weiss? Bütten? Naturfarben? Mit Struktur? Die Ränder gerissen oder geschnitten? Kanten oder Rundungen? Eher gross oder klein?
Erst danach wird die Schrift ausgewählt. Passt sie zur Kartengrösse und zum Papier? Drückt sie den Charakter des Besitzers und den Anlass angemessen aus? Darf es auch etwas verspielt sein?
Dann wird ein erster Probedruckstock gebaut. Dazu braucht man sehr viele, unterschiedliche Metallschienen, die die Lettern fassen.
In massiven, tausendfach benutzten Schubladen lagert der Schatz der Druckerei: Die Lettern, sortiert nach Form und Grösse. Drucken ist kein Beruf für Schlamper.
Die Schubladen werden dann gezogen und offen aufgestellt: Ein komplexes System von Einteilungen und Metallbuchstaben.
Im Herz der schwarzen Kunst: Die Schubläden können auch noch in Jahrhunderten Lettern fassen. Routiniert entnimmt der Drucker die richtigen Buchstaben. Oder so.
Da fehlt ein N anstelle des O. Aber mal ehrlich, wer möchte schon, dass Leute, die Visitenkarten verlangen, wirklich wissen, wer man ist? Sollen die doch andere Leute suchen.
Echte Hingabe an die schwarze Kunst: Wo sich andernorts Mädchen vielleicht auf Autos räkeln, ist der Werkstattkalender ebenfalls pechschwarz.
Während die Druckstöcke für die Karten gesetzt werden, warten die altertümlichen Maschinen auf ihre Arbeit. Der Papiereinzug ist vielleicht etwas grösser als beim Laserdrucker. Dafür hält er aber auch die nächsten 100 Jahre.
Das Lebenselexier: Schwarz, klebrig, dauerhaft. Man sollte natürlich aufpassen, wo man sich gerade anlehnt: Es ist fast so unangenehm wie Kollegen.
Dann greifen die Saugarme synchron zu und ziehen Blatt um Blatt in die Maschine, wo sie mit gehöriger Geräuschentfaltung bedruckt werden. Für andere Leute. Wer gerade bestellt hat, muss etwas warten.
Solange kann man sich ja ein wenig in Mantua schöne Menschen anschauen, die keine Visitenkarten brauchen, um zu gefallen.
Überhaupt, die Druckerei steht in einer Kulturregion, in der man sich auch etwas kulturell fortbilden kann: Die Welt ist mehr als Value Chain und Excell-Sheet.
Man könnte sich vielleicht auch ein neues Hobby zulegen, oder zumindest ein wenig den historischen Rennwägen des Gran Premio Nuvolari hinterherfahren – ob Ferrari Visitenkarten hatte?
Drei Wochen kann es schon mal dauern. Drei Wochen reichen aber nicht aus, um die Gastronomie des Ortes umfassend kennen zu lernen. Man hat viel zu tun, in dieser Zeit.
Zum Ausgleich kann man sich vielleicht auch ein italienisches Rennrad kaufen und zum See radeln, was eine ganz andere Herausforderung als das Mobbing und die Angeberei ist, die man sonst so austrägt (Ich bin so überarbeitet! Ich brauche dringend eine Drittsekretärin! Ich brauche einen besseren Parkplatz! Man kennt das.)
Dort, am See, gibt es einen Sonnenuntergang. Man lernt, dass es ohne Sonne geht, und vermutlich ginge es in der Firma auch ohne wichtige Titel auf Visitenkarten. Die Friedhöfe sind voll von Menschen, ohne die es nicht ging.
Mit etwas Glück findet man auch einen vom Wasser abgelutschten Knochen. Das sind wir. Alle. Und das werden wir sein, wenn alle Visitenkarten längst weggeworfen sind, und niemand mehr unseren Namen kennt. Immerhin liegt der Knochen in einer hübschen Gegend.
Und wir selbst müssen, wenn die Karten fertig sind, wieder zurück zum normalen Treiben. Der Fehler ist nicht das N anstelle des O. Der Fehler ist, dass der Papierkorb jener Teil der Druckerei Besia ist, der der modernen Arbeitswelt am nächsten kommt.
Aber so wichtig ist das alles nicht.