Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Wir haben nichts zu verbergen

Diese Aussage mag bei manchen verhasst sein, aber sie ist nur eine Konvention. Man kann sich schliesslich nicht hinstellen und sagen: Ja! ich habe etwas zu verbergen! Drei Geliebte, diverse Schwarzgeldkonten und ausserdem darf der Pudel des Inninmisters in meinem Pool baden!

Aber Brutus ist ein ehrenwerter Mann
Shakespeare, Julius Cäsar

Natürlich haben wir nichts zu verbergen. Schliesslich sind wir unbescholtene Bürger. Wir haben keine Schulden und wenn doch, dann nur, weil die Zinsen gerade so günstig sind, und wir ein klein wenig mit der Wohnung in München auf die grosse Geldentwertung spekulieren. Wir klauen nicht in Geschäften, das haben wir nicht nötig. Und diese angeblichen Abgründe in den besseren Vierteln, von denen man in den Krimis so viel sieht, gibt es auch nicht wirklich. Im Grossen und Ganzen ist das alles ganz normal, nur nicht ganz arm, aber jedenfalls nicht kriminell und deshalb: Immer nur hereinspaziert, liebe Staatstrojaner, Abhörspezialisten und Ermittlungsbehörden, sofern da überhaupt eine Maschine oder Internet im Haus ist. Wir haben nichts zu verbergen.

Bild zu: Wir haben nichts zu verbergen

Das sagt man so bei uns, eigentlich immer. Es ist genau so, wie sollte es anders sein: Bessere Kreise sind per bürgerlicher Definition so, dass sie nichts zu verbergen haben. Entsprechend offen und herzlich redet man auch über alles: Über das Wetter. Über die Probleme mit den Katzen. Über die Arbeit im Garten und welcher Gärtner empfehlenswert ist. Über die Notwendigkeit, die Urwälder zu roden, und die anschliessenden Besuche beim Freilandgärtner, denn so nackt, wie es aussieht, geht das ja gar nicht. Da sieht einem ja jeder rein! Da muss unbedingt eine neue Birke hin. Vorne, beim B., lassen sie übrigens gerade die Mauer um zwei Steinlagen erhöhen. Die meinen das nicht böse, es ist nur so, dass die alten Bleche auf der Mauer marode waren , da hat man das halt so gemacht, es hat sich angeboten. Aber natürlich haben sie nichts zu verbergen.

Und natürlich kann man auch über Geld und Reichtum reden. Also, beispielsweise über Wohnungen, Häuser und so. Das kann man ja auch gar nicht verbergen, was soll der Geiz, sicher, man hat Immobilien, aber die hat jeder, und das weiss auch jeder, so eine Immobilie kann man ja schlecht in die Schweiz in ein Schliessfach bringen. Gerne redet man über Geld! Vor allem auch darüber, was das alles kostet. Die ewig steigenden Nebenkosten. Die unverschämten Hausverwaltungen. Die Gas- und Ölpreise. Der Strom. Die neuen Armaturen. Man glaubt gar nicht, was so etwas kostet. Es ist schon eine echte Plage mit den Immobilien. Aber was soll man sonst machen, in Zeiten wie diesen. Wer einmal in der Stadt ist, oder am Ort durchreist, kann gerne verweilen, wirklich! Man hat doch nichts zu verbergen.

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Am Besten kommen sie dann, Moment, sagen wir, in zwei Wochen. Zwei Wochen sollten reichen, damit man den Sohn, den Saubären – aber das sagt man nicht öffentlich – zur Wohnung schickt und das Ding auf Vordermann bringen lässt. Nicht dass man etwas zu verbergen hätte, aber so kann man da niemanden hineinlassen. Oder besser, man fährt selber hoch und macht das. Dann kann man auch gleich noch den Garten machen und etwas einpflanzen, damit das nicht so schäbig aussieht. Und ein paar Tischdenken mitnehmen. Wer weiss, was für Flecken der Sohn hinterlassen hat. Vertrauen ist schlecht, Kontrolle aus Erfahrung unverzichtbar. Natürlich hat man nichts zu verbergen, aber die offensichtliche Staubrattensammlung muss auch nicht jeder zu Gesicht bekommen. Ganz zu schweigen vom dem, was noch im Kühlschrank faulen mag. Was man aufräumt, muss man nicht verbergen, so einfach ist das.

Überhaupt, zwischen dem Aufräumen und dem Nichts zu Verbergen haben gibt es durchaus Kausalzusammenhänge. Nehmen wir nur mal den Fall des jungen P., der, also, man hat das ja nie so genau erfahren, aber die schulischen Leistungen alleine waren es nicht, aber wie es so ist, man fragt nicht und die sagen nichts, also: Da gibt es dieses Internat am Chiemsee und die wissen dort schon, wie sie das anpacken müssen. Sicher, der eigene Sohn ist kein vorbildlicher Staubwedelschwinger, aber da kann man noch was machen. Bei den P.s war es ja eine Weile so, die waren praktisch verschwunden. Man vesteht das gar nicht, so anständige Leute und dann so ein, also, man weiss es ja nicht, aber seitdem der Sohn am Chiemsee ist, hat sich das alles doch wieder eingerenkt. Dass man nichts zu verbergen hat, kommt nicht von allein. Da muss man schon was dafür tun.

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Das A und O des Nichts zu verbergen Habens ist übrigens die Diskretion. Auf jedes „Wir haben nichts zu verbergen” kommen in heimischen Mauern die weithin üblichen Ergänzungen, und die lauten: „Sag darüber ja nichts zu irgendjemandem.” Oder, modern: „Schreib darüber ja nichts im Internet.” Man kann diesen scheinbaren Widerspruch vielleicht am besten auflösen, indem man „Wir haben nichts zu verbergen” wie eine Wanze seziert: Es heisst nicht zwingend „Wir besitzen nichts, was man verbergen müsste”. Es kann auch heissen: „Sie werden nichts finden, was verborgen werden müsste.” Es passt auch auf: „Der Clan hält sich bedingungslos an die Omerta, wir wissen, was wir wissen, und ihr wisst nichts.” Oder: „Na los, suchen Sie, wir stehen daneben und lachen uns kaputt, das finden Sie nie.”

In diesem Rahmen kann man natürlich schlecht sagen: Ja wir haben etwas zu verbergen. Ja, der Tablettenkonsum von Tante Gertrud ist, formal betrachtet, Betäubungsmittelmissbrauch, die Kur von Onkel Theo war de facto Urlaub und die HNO-Behandlung auf Kassenkosten bei Elvira schloss auch ein wenig Botox mit ein. Das alte Auto von Cousin Klaus-Ludwig war doch noch nicht so alt, aber seien wir froh, dass es nach dem Baum noch abgeschleppt werden konnte und die Polizei nichts gemerkt hat. Anders gesagt: Für all die unerfreulichen Missgeschicke, die eigentlich nicht passieren sollten, aber bisweilen vorkommen, von den Staubratten bis zu den Grosseltern, die man nach 6 Monaten auch mal wieder in der Abschiebung besuchen sollte, ist es unabdingbar zu sagen: Wir haben nichts zu verbergen. Mit der grossen Gelassenheit, die man sich Generation um Generation dabei erworben hat. Niemand hat etwas zu verbergen. Auch nicht der bayerische Innenminister. Das sagt man halt so. Es ist eine Konvention, und jeder weiss, dass es so ist.

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Ich, der ich aus dergleichen Kreisen stamme, kenne den dortigen Stellenwert von Computern und Internet. Man kennt das aus besseren Einrichtungszeitschriften: Dort steht nirgendwo ein Rechner, dort sind keine Kabel und Drucker. Entweder ist das wie bei mir – ein Netbook mit Wlan, das verschwindet – oder man hat Kinder, die einem das suchen, was man braucht. Oder das steht in einem Zimmer, das sonst nicht benutzt wird. Das alles jedenfalls hat weitaus weniger Bedeutung als die Frage des richtigen Gärtners im Herbst. Aber wenn ich in diesen sonnigen Herbsttagen in das besagte Viertel radle und noch gar nicht abgestiegen bin, und schon gefragt werde, was denn jetzt mit diesem Trojaner ist und was man da tun kann – dann merke ich, wie sehr das Nichts zu verbergen Haben reine Konvention ist. Und wie wenig erbaulich die Vorstellung dieser Kreise ist, jemand könnte doch digital unter das Sofa und in die Unterlagen schauen.Natürlich hat man nichts zu verbergen, aber deshalb hat man noch lange nicht den Innenminister oder andere Leute, bei denen man wenig über die Einhaltung fundamentaler Fragen der Körperhygiene zu sagen weiss, eingeladen. Man hat nichts zu verbergen, wenn man aufgeräumt hat, und alle anderen das genauso sehen, und nicht nachfragen. Aber wenn so ein Staatstrojaner kommt, möchte man wissen, wie man das Ungeziefer wieder los wird. An der Tablettensucht von Tante Gertrud und dem Arztfreund von Onkel Theo und der spärlichen Staubsaugernutzung des Sohnes kann man nichts ändern – aber bei Ungeziefer im Haus hört der Spass auf. Man hat zwar nichts zu verbergen, aber die Ungezieferlieferanten, die das nicht auf Ehrenwort glauben wollen, werden Probleme haben, ihre Politik hier draussen an den Mann zu bringen.