Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Fürstlich anlegen, leben und ruinieren

Gold! Aktien! Norwegische Staatsschulden! Immobilien! So viele sichere Häfen bieten sich in der Krise an, so viele Helfer stehen bereit, so ehrlich und engagiert sind sie alle - und ich meide sie trotzdem. Weil, wenn das alles schon untergeht, dann bitteschön mit einem entsprechenden Niveau des Ruins.

Nicht nur der Immobilienfonds CS Euroreal, auch der SEB Immoinvest bleibt geschlossen. Die Sparer sitzen in den einst als liquide gepriesenen Produkten fest.
Christian von Hiller, FAZ.net

Ich lese gerade mit viel Vergnügen das geheime Tagebuch des Herzogs von Croy. Der Autor, ein Privilegierter des 18. Jahrhunderts, ist keiner der windelweichen adligen Aufklärer, die sich an Menschenrechten und Linderung von Nöten versuchen, und das Buch ist frei von jeder zwanghaften Moral. Besucht der Autor Heidelberg, ist ihm bewusst, dass es die Truppen seiner Heimat waren, die das Schloss zerstörten – trotzdem ärgert er sich über die schlampigen Deutschen, die es nicht wieder aufbauen. Deutschland scheint ihm zerlumpt und heruntergekommen zu sein – kein Wunder, es wütet gerade der österreichische Erbolgekrieg, dessen Schrecken der Beginn von Voltaires Candide sind. Croy dagegen, dessen Regiment schlachtet und plündert, ist einfach unzufrieden und froh, bald wieder daheim am Hofe von Versailles zu sein, und er gibt sich überhaupt keine Mühe, irgendwelches Mitleid zu empfinden. Aufmerksam gelesen, gibt es kaum einen Absatz, über den man sich nicht empören möchte, und entsprechend langsam sollte man es auch lesen: Man wird danach nie mehr auf Von und Zus dieser Welt und ihrem schwersten Habitus hereinfallen. Meine absolute Lieblingsstelle spielt sich im vom Krieg gebeutelten Hunsrück ab, als Croy mit einer vierspännigen Kutsche kaum in Richtung Paris voran kommt:

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Wir stiessen auf einen katholischen Leichenzug mit zwei Pferden, die wir übernahmen, wonach wir trotz nunmehr sechs Pferden nur mit Mühe Trier erreichten, denn Schnee und abschüssige Hänge machten die Wege schrecklich.”

Man muss sich das vorstellen: Da sitzt also der Herzog von Croy in der Kutsche und fährt durch das Land, das seine eigenen Truppen verheeren, es geht ihm nicht schnell genug, aber da kommen ein paar Menschen, die um einen Angehörigen trauern, und wie praktisch! Sie haben Pferde! Die nimmt er ihnen ab, was mit diesen Menschen da ist und wie sie die Leiche transportieren, ist ihm egal. Er ärgert sich nur weiter, dass es kaum schneller geht auf den Wegen, während die anderen schon wieder ob all der Mühsal vergessen sind. Wie sich die Angehörigen gefühlt haben mögen?

Sicher, formal betrachtet war der Herzog von Croy ein mieses Stück Aas, und weil er 1784 stirbt, vergönnt er einem noch nicht einmal das Vergnügen, ihn auf dem Schafott scheiden zu sehen. Ich bin gleichzeitig angeekelt und fasziniert von dieser grenzenlosen Arroganz, der vollkommenen Ichbezogenheit, der Ungeheuerlichkeit dieses Buches, das nach dem Willen des Verfassern eigentlich nicht gelesen werden sollte, Es ist sagenhaft borniert, weil all das direkt, ohne Mittelsmänner, ohne Rücksichten passiert. Das allein unterscheidet Croy von den durch zwischengeschaltetete Politiker, Juristen und Marktzwänge bestens isolierten Bankstern, Bailoutselbstbereicherern, ausplündernde Staatsmännern, unverschämten Neoliberalalas, dreisten Marktfeudalismuströten, die Frechheit der Finanzmärkte, nach ihrem totalen Debakel jetzt andere belehren zu wollen, von der kaltschnäuzigen Fresserei am immer gut gefüllten Trog der Notenbanken… der Herzog von Croy konnte ein Dorf niederbrennen lassen und Pferde klauen, aber das sind Petitessen gegen die globalen Raubzüge, die wir im Moment erleben. Und deshalb werde ich hier den Teufel tun und raten, das Geld in irgendwelche Finanzprodukte zu stecken, die so hübsch wie ein Schock Vermögensverwalter vor dem Hintertackern ihrer Gesichtsruinen anzusehen sind.

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Ich habe statt dessen eine Zeitgenossin von Croy gekauft.

Gut, mehr als eine. Da war auch noch eine degenerierte Habsburger Erzherzogin und eine minderjährige Italienerin und eine Sibylle und eine spätbarocke ich denke aber dass Sie das alles gar nichts angeht, liebe Leser, und deshalb bleiben wir ruhig mal bei dieser einen Dame aus der Zeit um 1770. Im Gegensatz zu dem, was momentan sonst so das Gespräch auf Feiern sein mag, ist es nämlich überhaupt nicht so, dass alte Gemälde ein sicheres Must-Have im richtigen Mix der Anlagestrategie sind. Im Gegenteil, vermutlich gibt es nur wenig, was man mal eben in Krisenzeiten schlechter zu Kartoffeln, Butter oder wenigstens Geld machen kann, als bunte Leinwände. Die relative Seltenheit solcher Bilder im Vergleich zur Leipziger Schule wird durch den Brennwert der Rahmen in historischen Krisenzeiten begründet, und nach dem Krieg hat man neben manchen Depots mit Leinwänden zerbrochene Fenster vernagelt. Wer so etwas kauft, sollte sich mit dem Gedanken anfreunden, dass das Geld erst mal wie in einem offenen, geschlossenen Immobilienfonds weg ist. Rendite? Pfui. Darüber spricht man nicht.

Nein, im Ernst: Ich investiere in Wohlbefinden. Diese junge Dame lächelt mich jeden Morgen an, wenn ich vom Perserteppich im Schlafzimmer kommend meine Füsse auf das Parkett im Sommerzimmer setze. Das ist besser als, sagen wir mal, die Zeitung vorzufinden, auf der die Bundeskanzlerin oder andere Menschen mit schlechter Laune zu sehen sind.

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Aber das ist nur ein Aspekt. Der andere ergibt sich aus der Dargestellten. Ich habe nicht die geringste Idee, wer das sein könnte, aber ich weiss genug, um darin ein Schicksal zu sehen, das in der Krise als Vorbild helfen kann. Machen wir uns nichts vor: Die Wahrscheinlichkeit, dass diese junge Dame trotz des offenkundigen Reichtums alt werden würde, war gering. Die gesellschaftlichen Maximen dieser Zeit brachten es mit sich, dass junge Frauen in Adelskreisen Wurfmaschinen für den Erhalt der Sippe waren; sie starben oft und schnell im Kindbett, und wenn nicht beim ersten Kind, dann halt später. Die ganze Epoche war nicht darauf angelegt, Menschen und besonders Frauen ein hohes Alter erreichen zu lassen; der Moment, in dem das Gemälde gefertigt wurde, war auch der Augenblick der grössten Schönheit. Man findet in keinem Tagebuch dieser Zeit irgendwelche Diskurse über ein Später, über eine Rente, über Altersvorsorge oder Vermögenspläne, wozu auch, das Leben ist nicht sicher, sondern eine dauernde Krise, vielleicht kommt morgen der Hausfreund oder Typhus, man weiss es in diesen Zeiten nicht. Die Vorstellung der heutigen Zwangsjugend bis ins hohe Alter gab es damals nicht, weil das hohe Alter für niemanden wirklich sicher war. Das Leben dieser Epoche war für alle eine Art Dauerkrise mit nahen Horizonten, für alles andere hatte man die Religion und die Jenseitshoffnung, so sicher wie die Rente und so profitabel wie Riestern. Solange steckte man die teuren Perlenketten ins Haar, damit sie auch jeder sehen konnte, schnitt das Kleid weit aus und trug Farben und Opulenz, die uns heute ganz klein und mickrig erscheinen lassen – seitdem dieses Gemälde dort an der Wand hängt, sehe ich die Anschaffung eines purpurroten Seidenmorgenmantels mit Granatapfelmotiven als unverzichtbar an.

Es ist also nicht nur, damit ich über jene schallend lachen kann, die eine Überschrift wie „Anleger werden vertröstet” böse anspringt. Es geht nicht darum, das Geld von der Bank zu holen und es traurigen Verwaltern zu nehmen. Es geht um das Bewusstsein, dass in unsicheren Zeiten das Leben auch mit kürzeren Horizonten weitergehen muss, weil sie vergleichsweise sicher sind. Fahre ich morgen nach Sterzing, kann es mir keiner nehmen, denke ich statt dessen lieber an das, was in 30 Jahren sein mag, werde ich panisch und fange an, in einen Generationenvertrag zu zahlen, in Zusatzrenten, in Fonds, in sichere Anlagen wie Staatsschulden, in irgendetwas von exakt jenen Finanzmärkten, die gerade in der Krise sind. Etwas, das mir in 30 Jahren eventuell zugute kommt, aber bis dahin… bis dahin profitieren erst einmal die Nachfahren des Herzogs von Croy davon. Man muss dort nur nachlesen, er bleibt vermögend durch die Abgaben irgendwelcher Untertanen, die er nicht kennt und sieht und auch nicht erwähnt: So in der Art ist auch die Fürsorge des Bankenchefs für seine Anleger, nehme ich an, so ist das Wohlwollen seiner Angestellten, die auf ihre Verkaufsziele achten müssen.

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Natürlich weiss ich nicht, wie die Geschichte der jungen Dame ausging, die wir hier ohne Rücksicht auf die Altersvorsorge mit den Perlen im Haar sehen. Sie hätte ihr Geld natürlich auch anlegen können, schon 1778 erschütterte die nächste fundamentale Systemkrise die europäischen Märkte, und dann hätte sie hektisch und nervös in den ersten Journalen geblättert, panisch Briefe geschrieben und Prozesse geführt, die damals nicht weniger nervenaufreibend als heute waren. Möchte man sie sich so vorstellen, abgetakelt, ohne Perlen und Rosen, am Bureau Plat verzweifelnd?

Ich weiss natürlich auch nur, was gewesen ist, und nicht, was kommen wird. Ich lasse mich aber gern anlächeln und zur Leichtigkeit überzeugen. Gibt es einen Gott? Gibt es eine Rente? Spielt das eine Rolle, wenn man aufsteht und so angelächelt wird?