Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Es muss nicht immer Massenmord sein

Kein Mensch muss Sklave seines Umfelds sein: Wilhelmine von Bayreuth hatte eine schwere Kindheit in einem kriegslüsternden Elternhaus, und wurde dennoch eine angenehme Erscheinung, während ihr Bruder Europa mit Kriegen überzog.

Zuerst rissen die Kanonen auf jeder Seite so ein sechstausend Mann nieder, alsdann säuberte das Musketenfeuer die beste aller möglichen Welten von so ein neun- bis zehntausend Schurken, die deren Oberfläche angesteckt hatten.
Voltaire, Candide

Deutschland hat allen Grund zum Feiern. Im Sommer dieses Jahres jährt sich die Geburt von Wilhemine von Bayreuth (1709 – 1758) aus dem Hause Hohenzollern zum 303. Male, und es kann keinen Zweifel daran geben: Auch einem demokratischen, friedliebenden und in Wohlstand angenehm lebenden Gemeinwesen steht es gut an, dieser Markgräfin des Rokoko mit Staatsakten, Feiern und Ausstellungen die Referenz zu erweisen. Natürlich sprechen wir hier von einer Vertreterin des sog. „aufgeklärten Absolutismus”, aber in diesem Fall ist die Aufklärung weit, weit vor dem Absolutismus. Und selbst der Absolutismus dieser Markgräfin war eher so wenig absolut gestaltet, dass man unter ihr gut leben konnte.

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Denn Wilhelmine war ein echter Glücksfall für das verschlafene Markgrafentum in Franken. Sie war hoch gebildet, kulturell begeistert, ein Naturtalent in der Architektur und Inneneinrichtung, sie war eine Meisterin auf der Laute, und die Jahre unter ihrer Herrschaft waren eine rundum glückliche Zeit. Man baute die Stadt um, verzichtete auf finstere Gassen und enge Tore, alles war offen, freundlich, grosszügig und auf eine Art heiter und charmant, wie es bis dahin nur das Rokoko sein kann. Reich war man in Bayreuth nicht und gross auch nicht, ein kleines deutsches Fürstentum mit einem kleinen Neuen Schloss, der von aussen nicht besonders üppig wirkt. Drinnen ist die delikateste und feinsinnigste Raumabfolge, die ich aus jener Zeit kenne. Potsdam, Wiener Hofburg, Schönbrunn, Münchner Residenz, Karlsruhe, Pommersfelden, Würzburg: Das alles ist nett, da haben Menschen mit viel Geld bauen lassen. Bayreuth dagegen führt die Kunst vor, wie man mit wenig das Beste erreicht.

Zum Beispiel die berühmte Spiegeldecke. Spiegel waren damals aufgrund der komplizierten Herstellungsprozesse ausserordentlich teuer, teurer als Marmor, und selbst für die Fürsten in Bayreuth keine geringe Geldausgabe. Was bei den Bauarbeiten im Schloss an Bruch angefallen ist, wurde in die Decke eines Privatzimmers eingebaut, was den Eindruck erweckte, Wilhelmine könnte sich Spiegel sogar an der Decke leisten. Prunk ja, Verschwendung nein, das zieht sich als stilles Motto durch die Räume. Statt dessen kam das Fürstenhaus lieber für die Verluste einer in Schieflage geratenen Senioreneinrichtung auf, gründete eine Universität und machte generell Dinge, die auch in einem bürgerlichen Staat als sinnvoll gegolten hätte. Das alles zu einer Zeit, als andernorts noch die erbärmlichen Zustände herrschten, die jene Epoche der Ungleichheit von Kuchen oben und kein Brot unten so nachhaltig in Misskredit, und letztlich zum Untergang brachten. In Bayreuth gab es dagegen eine kompetente Verwaltung durch einen zum Ersten Minister aufgestiegenen Bürgerlichen.

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Im 18. Jahrhundert hat man dieses bescheidene Verhalten durchaus nicht durchgehend begrüsst. Wilhelmine holte sich Rat unter anderem bei ihrem Bruder, und dessen Meinung zu dem, was heute ein Hauptwerk de deutschen Rokoko ist, war eher nur so mittelgut. Von aussen, also dorthin, wo man repräsentieren, beeindruckend und gross wirken möchte, macht das Schloss eher einen bescheidenen Eindruck. Im Gegensatz zur damals üblichen Methode der Autokraten – alles Alte, Unzeitgemässe abreissen lassen und komplett neu bauen – wurden im Schloss, soweit möglich, auch die Reste der Vorgängerbauten integriert. Das sparte Geld, zwang aber zu manchen Einschränkungen, die dem Besucher kaum auffallen werden. Dafür konnte sich Wilhelmine auch ein Opernhaus und einen prachtvollen Garten leisten. Und dort in Briefen und Gazetten lesen, was sonst so auf der Welt geschah.

In der Heiterkeit dieses Ensembles aus Schlössern, Gärten und Kultureinrichtungen kann man sich kaum vorstellen, dass die Zeiten an sich gar nicht so gut und heiter waren. 1740 bis 1748 und ab 1756 tobten mit dem Österreichischen Erbfolgekrieg und dem Siebenjährigen Krieg die ersten globalen Konflikte. Mochte Bayreuth auch nur ein kleines Fürstentum sein, so gab es doch von den diversen Koalitionen Versuche, es in die Kriege mit hinein zu ziehen. Zum Glück widerstanden die Bayreuther jedoch, und während um sie herum, wie oben von Voltaire beschrieben, die Welt der Menschen jenseits der Schlösser in Schutt, Asche und Bestialitäten versank, war diese kleine fränkische Region ein Hort des Friedens.

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Musste es so kommen? Historisch betrachtet hätte man Wilhelmine sicher keine Vorwürfe gemacht, hätte sie sich in diesen frühen Weltbränden auch engagiert. Sie hatte eine extrem schwere Jugend, am Hof ihres Vaters wurde sie fast zum Krüppel geschlagen, man hat sie wie ihren Bruder eingesperrt und massiv bedroht, ihr eine Ehe aufgezwungen und gemeinhin auf eine Art und Weise behandelt, dass man ihre echten Memoiren im 19. Jahrhundert für eine Fälschung hielt. Einfach, weil die unglaublichen Grausamkeiten an diesem, für das deutsche Nationalbewusstsein so wichtigen Hof nur begrenzt in dessen vorgeblich ruhmvolle Geschichte passen. Unter diesen Bedingungen hätte sie nicht eine vorzügliche Lautenspielerin werden müssen, eine Musikliebhaberin oder eine Bauherrin. Sie hätte auch das werden können, was wir heute als Massenmörder, Kriegsverbrecher, Landsverderber und Diktator bezeichnen würden. Sie wurde es nicht.

Aber eben diese schreckliche Kindheit wird heute bei ihrem Bruder als Anlass genommen, ihn für derartige Verbrechen zu entschuldigen. Denn leider werden wir in diesem Jahr keinen Staatsakt für Wilhelmine und ihre segensreiche Herrschaft sehen, man wird für sie nicht den Wulff und die Merkel auffahren und bedeutsame Worte verlieren, man wird ihre Musik nicht herausheben und ihre Fähigkeiten, die so umfassend und zugleich freundlich den Menschen gegenüber waren, oder ihre Briefe an Voltaire in einem kleinen Lederband herausgeben. Man wird ihre Bruder feiern, der auch musikalisch war, auch Voltaire zumindest zeitweise schätzte und gern baute. Vor allem aber in die Geschichte als Feldherr eingegangen ist, selbst wenn seine Kriegspolitik frappierende Ähnlichkeiten mit modernen Diktatoren hatte: Friedrich der II. von Preussen. Manche sagen auch „Alter Fritz”, oder fügten in unerfreulicheren Epochen der deutschen Geschichte kategorisch ein „der Grosse” hinzu. Dessen Geburtstag jährt sich nun zum 300. Male, man wird erstaunlich viel Gutes über einen Toten sagen, man wird auf den Glanz in Potsdam schauen, und die weniger guten Dinge unter den exculpierenden Teppich der schlimmen Familiengeschichte kehren.

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Das war damals so, wird man sagen. Da war das üblich. Die Kabinettskriege waren nicht ganz so schlimm wie der 30-jährige Krieg oder die napoleonischen Schlachten, was man als Redenschreiber im sicheren Sessel schon mal bemerken darf, wenn die Wahrscheinlichkeit, als harmloser Bürger von einem Bajonett aus nächster Nähe entdarmt zu werden, nicht allzu hoch ist. Zudem hat man ja auch die Briefe von diesem Herrn, die in Stunden schwerster Niederlage Todessehnsucht und zutiefst menschliche Verzweiflung erkennen lassen. Nur Zyniker würden darauf verweisen, dass Gaddafi und Saddam in ihren Erdlöchern auch nicht gerade in Party- oder Staatsaktlaune waren. Und die anderen Briefe muss man zum Jubeljahr nicht ausgraben: Dass es zwischen Friedrich und seiner Lieblingsschwester Wilhelmine wegen ihrer Neutralität und Kriegsabstinenz beinahe zum Bruch gekommen wäre, weil er nichts dagegen gehabt hätte, sie am Morden zu beteiligen. Man wird uch nicht sagen, dass er von ihr forderte, einen ihm nicht genehmen Pressevertreter zu verfolgen. Wilhelmine liess den fraglichen Herrn in Erlangen nach Nürnberg entfleuchen; einen anderen Kritiker des Mordens liess Friedrich für 50 Gulden zusammenschlagen, und widmete ihm ein Spottgedicht. Darauf eine Feierstunde mit Prinz und Prasident! Der ein oder andere Politker wird es vielleicht nicht ganz ohne Freuden hören, auch wenn die Hegemonialpolitik im Sinne Friedrichs im weiteren Verlauf der deutschen Geschichte aus Preussens Gloria den Soli, den Stadtschlossersatz auf Steuerzahlerkosten und andere blühende Landschaften machte.

Ich war länger nicht mehr in Potsdam. In Bayreuth bin ich gerne. Ich bin auch der zutiefst bürgerlichen Überzeugung, dass eine Zivilgesellschaft einer Militärdiktatur überlegen ist, und dass es keinen Zwang und keinen Fluch gibt, der einen zu Massenmorden und so viel Unglück für die Menschen zwingt. Man kann sich immer so oder anders entscheiden, man kann auch dem Drängen widerstehen, es gibt kein Mirakel im Krieg und keinen Fluch des Untergangs, man kann morden wie Friedrich und Frieden vermitteln wie Wilhelmine. Beide Kriege, als deren Ursache Friedrich und seine Lust am Morden gelten kann, waren für alle Betroffenen teure Angriffs- und Eroberungskriege, teurer als alle Schlösser und Gärten in Bayreuth. Ich denke auch nicht, dass es etwas über die Gefestigtkeit einer bürgerlichen Demokratie aussagt, wenn sie meint, so einem Gegner ihrer eigenen Grundprinzipien einen Staatsakt widmen zu können.

Es sagt nur etwas über ihre Dummheit. Wenn Sie jemanden aus dem Hause Hohenzollern feiern wollen, trinken Sie einen Tee in der Eremitage und staunen Sie über die delikaten Einfälle im Neuen Schloss von Bayreuth.