Do reg I mi goa ned auf.
Bayerische Lebensmaxime
Man kann es positiv sehen: Endlich weiss ich, wie im ersten Stock in der Zeit vor 1845 die Decke bemalt war.
Negativ betrachtet ist es jedoch so, dass der Deckenverputz von 1845 heruntergebrochen ist. Und das direkt in der Nacht, bevor die neue Mieterin kommen sollte. Die Decke hat jetzt über 167 Jahre gehalten, wenngleich sie auch etwas wellig war. Sie wurde vor ein paar Tagen restauriert und mit einer neuen Putzschicht versehen. Etwas Farbe, Feuchtigkeit und neues Gewicht reichten aus, dass die Belastung zu gross wurde, und so krachte die Decke quadratmeterweise herunter. Darunter Ranken, Palmetten und andere Zier in bunten Farben. Immerhin, 167 Jahre Treue ist nicht schlecht, und in diesem Fall liegt die Verantwortung klar in der Gegenwart: Für die Biedermeierzwecke hat die Decke gehalten, und es konnte niemand wissen, dass später einmal jemand mehr als Farbe auftragen würde.
Diese paar Kilo dünner Mörtel jedenfalls waren zu viel. Das ist ein wenig wie bei Menschen und ihren Beziehungen; man glaubt, es hält, man kennt sich ja schon so lange, man kann bestens mit den kleinen Macken leben, und was soll da schon passieren. Und dann kommt eine Petitesse, und alles kracht zusammen. Man ist dann überrascht, welche kleinen Anreize da mitunter schon ausreichen, dass man die volle Ladung abbekommt. Manche hintergehen einen nicht mal für Geld oder geldwerte Vorteile oder einen Rabatt beim Leasing eines Skoda Yeti, sondern für Blödsinn wie Werbegeschenke, Pressereisen, Einladungen zu Events, Rumstehen in der Flughafenhalle vor Blechbuffetnäpfen und anderes Zeug, bei dem man sich fragt, warum die das eigentlich nötig haben. Nun; vermutlich haben sie es nötig.
Sie wollen halt auch mal, hört man dann als Begründung. Es scheint da so eine Theorie zu geben, die auf niedrigem Niveau jene Marotte der Reichen persifliert, die alle gar nicht reich sein wollen und die echten Reichen ein Dorf weiter finden. Diese Theorie besagt, dass man schon immer irgendwie benachteiligt ist, keinerlei Unterstützung und Zuwendung und Beziehungen hat, selbst auf sich achten muss, und weil das so ist und einem nichts ngeschenkt wurde, hat man auch das Recht, in einer Konkurrenzsituation einem anderen etwas wegzunehmen, was er sich anderweitig durch seine soziale Stellung sehr viel leichter leisten kann. Dem fällt das ja gar nicht auf. Die Tarife, die zu solchen Verhaltensweisen führen, sind nach meiner Beobachtung schockierend niedrig. Auf der einen Seite herrscht dann die Meinung vor, dass der andere das deshalb hinnehmen könnte, weil es wenig ist. Und auf der anderen Seite setzt das komplexe Überlegungen in Gang, die letztlich dazu führen, dass man sich als Klasse nach derartigen Erfahrungen doch eher abkapselt.
Denn diese „dem macht das nichts aus“-Wurschtigkeit kommt ganz anders an. Natürlich macht es nichts aus. Natürlich kann man sich das meiste, was einem da vorenthalten wird, problemlos anderweitig beschaffen, und selbst bezahlen, und nicht verpflichtet sein. Die Frage ist aber: Wenn der andere schon wegen solchen Petitessen bereit ist, einen zu hintergehen – wie ist das erst, wenn es einmal wirklich um etwas geht? Ist die kleine Spitze, die man da spürt, nicht vielleicht doch die Spitze eines langen Messers, das bei Gelegenheit – Geld, Macht, Karriere – noch etwas tiefer gesteckt wird? Und ist die Argumentation da nicht schon vorgezeichnet? Beim Werbegeschenkfüller mag es noch lauten, dass er selbst einige bessere Schreibgeräte hat, aber wenn es dann um einen Posten geht – wer kann garantieren, dass die moralische Argumentation der Intrige nicht heisst, der Posten wäre so wichtig für das weitere Leben und der andere habe doch qua Geburt schon so viel?
Das sind, nebenbei gesagt, auch jene Gedanken, die man sich im Privaten ausgeprochen ungern macht. Zu gerne nämlich glaubt man, glaube ich, dass es ein gewisses moralisches Grundgerüst gibt, das durch gutes Benehmen abgesichert ist. Dieses Konzept erlaubt es uns glücklicherweise, Dinge anzusprechen und Konflikte auszutragen, ohne brutal und hinterhältig werden zu müssen. Niemand muss bei uns in der Theorie sagen, dass er etwas haben will. Idealerweise wird so etwas über eine Ablehnung kommuniziert, die nicht ganz so entschieden wie die der anderen Seite ist. Oder über vorsichtige Signale, dass die vorgeschlagene Lösung nicht unbedingt überglücklich macht. So ist es beiden Seiten problemlos möglich, sich entweder ohne Gesichtsverlust zurückzuziehen und zu erwarten, dass der andere das nächste Mal die Verpflichtung empfindet, ebenfalls nachzugeben, oder den Konflikt wenigstens zivilisiert und so auszutragen, dass sich der andere nicht aus dem Weg gedrängt fühlt. Zur Belohnung erhält man durch diese Rollenspiele auf beiden Seiten die Bestätigung, dass man einer Schicht angehört und ihre Regeln zu berücksichtigen weiss, im Gegensatz zu vielen anderen, die einem nicht vorgestellt wurden. Das, Sie ahnen es, ist einer der Gründe, warum bei uns am Tegernsee der Beruf des Journalisten so wenig angesehen ist, dass ich lieber „Autor“ sage.
Das impliziert, dass der zivilisatorische Verputz durchaus in der Lage ist, zumindest innerhalb der Klasse einiges an Belastungen auszuhalten, so lange es die richtigen Belastungen sind. Fairerweise muss man natürlich zugeben, dass solche Verhaltensweisen um so leichter fallen, je weniger eine Rücksichtnahme für das eigene Leben bedeutet. Und es ist diese Mischung aus schlechten Erfahrungen mit jenen, die die zivilisatorischen Regeln nicht kennen, und jenem angenehmen Gefühl des Vertrauens, dass der andere es ja gar nicht nötig hat, einen übers Ohr zu hauen – es ist dieser sauersüsse Giftcocktail, den man auch hier leider viel zu oft zu trinken bekommt. All die Millionäre und Reichen, die einem Maddof und anderen Finanzbetrügern auf den Leim gegangen sind, haben das geglaubt: Die sind so reich, die haben es doch gar nicht nötig, uns wie eine Weihnachtsgans auszunehmen. Das sind doch Ehrenmänner mit Benehmen und Handschlagqualität, herzlich warm wie ein Kachelofen. Warum sollte jemand, der allen Überfluss hat, sich damit den Tag kaputt machen, mir ein paar Euro abzugaunern? Das ist eine hübsche Theorie, und sie ist schön, denn sie ist mit der Illusion überzuckert, das alles wäre ein Gesellschaftsspiel unter Gleichrangigen. Selbst, wenn dabei immer mindestens einer verliert; seien es die Hungernden in Afrika, die mit Getreidespekulationen hinter der Hedge der Aktiendesaster krepieren, sei es der Reiche, der am Ende feststellen muss, dass sein Geld in Kickbacks, Kanzleien und Karibikyachten verschwand; sei es, dass der Geldjongleur alle betrügt und nur seine Eigeninteressen verfolgt, weil er tief drinnen auch denkt, die können sich das schon leisten – sei es, wie es will: Am Anfang sieht das alles sehr hübsch und regelkonform aus. Gar nicht nach Geschäft und Maximalzins, sondern eher nach Sicherheit und Vertrauen.
Es muss so sein, denn es garantiert dem Klassenangehörigen seinen Stand. Und es muss so sein, denn es garantiert dem Betrüger, dass der Klassenangehörige zu seinen Freunden geht und sagt, dass er sein Geld, pah, Geld, nicht einer Bank anvertraut, deren Sachbearbeiter zum Geburtstag läppische Standardmünzsammlungen oder Bröckerlkunst aus einem Förderprogramm schickt. Er geht zu einem von ihnen. Broschüren, Prospekte, Vorträge, nichts ist so verführerisch wie die Vorstellung, dass man sich keine Sorgen machen braucht: Es bleibt unter Leuten, die wissen, was sich gehört. Bei denen man nicht wie beim Klempner auf Heller und Pfennig nachrechnen muss. Man kauft kein Finanzprodukt, sondern Ruhe und Zufriedenheit. Was soll da schon passieren, da wird einem die Decke nicht auf den Kopf fallen.
Das gibt es nach meiner bescheidenen Erfahrung auch in Versionen wie „Inneneinrichter der Stars“ und 200% Budgetüberschreitung, als Ehepartner bis dass die bessere Gelegenheit sie scheidet, als exklusives Restaurant, in dem Fische angeblich biologisch aus einem Bergbach kommen, der durch Staumassnahmen ausgetrocknet ist, als Galeristen mit besten Verbindungen zur Sammlung Jägers, und das alles mit präzise angepassten Verhaltensweisen. Dezent, zurückhaltend, höflich, keinesfalls so billig und obszön wie die Gier nach einer Probepackung Kosmetika oder einer Testrunde im neuen Opel Astra. Es ist fraglos fair, weil man den Betrug in einer gesellschaftlich akzeptablen Form dargereicht bekommt, mit Bitte und Danke, und ohne das Gefühl, dass einen nicht ganz so Bevorzugte auslachen, weil sie es denen da oben mal wieder richtig gezeigt haben, und die auch nicht den Mut haben, ihnen daraufhin ins Gesicht zu sagen, was sie davon denken.
Damit haben sie übrigens nur teilweise recht; genau genommen ist das Verhältnis von Aufwand und Gewinn in solchen Fällen so ungünstig, dass man sich damit erst gar nicht abgibt, sondern einfach Konsequenzen zieht. Man verputzt das Debakel kräftig und zieht eine neue Decke ein, man sagt nichts direkt und sorgt dafür, dass sie es irgendwann schon mitbekommen, man lernt dazu, und man muss auch sagen: In Zeiten, da man sich schlecht über das Personal auslassen kann, weil allenfalls noch freundliche Putz- und Kinderfrauen vorhanden sind, ist das degoutante Benehmen von unterschichtigen Karrieristen und Upgradern auch ein nettes Thema. Dass der Sohn der hochangesehenen D.s übrigens jemand ist, von dem man sich besser keine Finanzdienstleistungen andrehen lassen sollte, das hat sich sicher schon rumgesprochen… Nein? Oh. Ich wollte nicht, also wirklich… nein, also das sind natürlich nur Gerüchte, und ich kann dazu nichts sagen, wirklich, nein, also, jedenfalls, die P.s sagen, sie wüssten von den K.s dass…