Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Wer hat Angst vor Giovanni dalle Bande Nere?

Was uns der Nahe Osten ist, war den Menschen der Renaissance Oberitalien: Ein Krisenherd, ein Schlachtfeld, eine Welt im Dauerkonflikt. Den Nachruhm bekamen die Künstler, und niemand besucht die Leichen der Kriegsherren.

Ich möchte aus meinem Leben ein Meisterwerk machen.
Benito Mussolini

Mantua hat eine gotische Franziskanerbasilika.

Mantua ist aber auch UNESCO-Kulturerbe der Menschheit, und der Kunstsinnige kann eine Woche damit zubringen, andere Bauwerke zu betrachten, die fraglos bedeutender sind. Zudem liegt die Franziskanerkirche etwas abseits von jener Perlenschnur, an der Paläste, Befestigungen und andere Auswüchse der Bauwut der Gonzaga aufgereiht sind. Sollte man tatsächlich in die Nähe des Bahnhofs kommen, steht daneben noch der Palazzo d’Arco mit seinen beeindruckenden Sälen und dem Umstand, dass Andreas Hofer hier der Prozess gemacht wurde. Als Tourist muss man auswählen,  und man muss ehrlich sagen: Kennt man schon eine gotische Franziskanerbasilika, wird einen das Innere hier auch nicht mehr besonders überraschen.

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Man ist also zumeist allein in dieser Halle, die nur einmal Bedeutung in der menschlichen Geschichte erlangte: Das war 1526, als in Oberitalien der Krieg zwischen deutschem Kaiser, französischem König, den Papst und diversen Fürstentümern tobte. Jeder wollte diese Region unter seine Kontrolle bringen, und mit dem Aufkommen der Feuerwaffen erreichte dieser Konfilkt eine neue und höchst mörderische Qualität. All das, was wir heute aus dem Nahen Osten kennen – Guerillataktiken, Verrat, unübersichtliche Interessen, wechselnde Bündnisse, Bruderkriege. Söldner ohne Moral, Waffenhändler, parteiliche  Medien – war damals in voller Blüte. Es ist auch für Historiker nicht ganz einfach, das Hin und Her von Fronten und Koalitionen zu erklären. Mit Begriffen wie „Gut“ und „Böse“ kommt man da kaum weiter, es war weniger Land vorhanden, als historisch stets wohl begründete Ansprüche, und so schlachtete man sich oder auch nur die unschuldigen Bauern der anderen ab, wenn sich die Möglichkeit dafür geboten hat. Der Konflikt um Oberitalien schien unentwirrbar.

Er war unlösbar, weil damals Leute wie Giovanne dalle Bande Nere auf den Plan traten. Es war diesem Herrn nicht zwingend vorbestimmt, dass er einmal als mässig berühmte Randfigur jener Epoche einen besonders üblen Ruf als Söldner erringen würde. Seine Vorfahren kamen aus den Häusern Medici und Sforza, er hatte eine gute Erziehung, und eine Frau aus besten Kreisen mit Zugang zu Vermögen, und andere Familienmitglieder waren durchaus ehrbare Personen der Gesellschaft. Alle Türen standen ihm offen – aber schon als Jugendlicher brachte er einen Menschen um, und galt allgemein als brutal, zynisch und konfliktfreudig. So, wie man es in jenen Tagen der entgrenzten Konflikte gerne hatte. Unter seinem Verwandten, Papst Leo X. Bekam er im Alter von 18 Jahren das erste Kommando über eine Söldnergruppe, und formte sie zu einer schlagkräftigen Einheit. Acht Jahre lang revolutionierte er die Kampftaktik mit kleinen, schnellen Verbänden, mal gegen den einen und mal gegen den anderen Herrscher, und immer für gute Bezahlung. Und mit Leidenschaft. Die damalige Presse bewunderte ihn, und es ist nicht ganz einfach, den realen Menschen von der Legende zu trennen.

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Nach 8 Jahren zerschmetterte eine Kugel bei einem unbedeutenden Gefecht für die päpstliche Sache gegen deutsche Landsknechte sein Bein, man fand auf die Schnelle keinen Arzt, und als man dann endlich in Mantua sein Bein amputieren konnte, war es schon zu spät: Nach vier Tagen starb er am Wundbrand. Die Gonzaga waren so freundlich, ihn in ihrer eigenen Grabeskirche beisetzen zu lassen. Manche Zeitgenossen bedauerten ihn und sagten, er wäre vielleicht in der Lage gewesen, Italien zu einigen. Statt dessen zogen danach die deutschen Landsknechte nach Rom, plünderten es gründlich, und nach einigem Hin und Her, und angesichts allgemeiner Erschöpfung der Kriegsteilnehmer wurden die Zeiten doch etwas friedlicher. Giovanni dalle Bande Nere verdankt diesem Ende des Konflikts den Ruf, der letzte grosse Condottiere gewesen zu sein. In seiner berühmten schwarzen Rüstung – der Mann verstand etwas von Markenbildung – hat man ihn hier begraben. Man ist in der Kirche ziemlich allein mit seinen Gedanken an diesen Mann.

Drüben im Palazzo Ducale, wo Mantagnas luftige Gemälde des reichen, konfliktfreien Liebeslebens der Renaissance zu sehen sind, drängeln sich die Leute, um für 5 Minuten einen Blick darauf werfen zu dürfen. Im Pallazo del Te wuseln die Schulklassen durch die Säle, in denen Giulio Romano das glückliche Leben in bukolischer Landschaft dargestellt hat. In Albertis Kirche Sant’Andrea besprechen Studentengruppen die Entstehung der Renaissancearchitektur. Im Park steht eine Statue von Vergil, und davor sind Bänke an Springbrunnen, auf denen Italiener Mittagspause machen. Daneben ist ein hübscher Spielplatz. Der Umstand, dass jener berühmte Mediciheld, der Krieg und Konflikt schonungslos betrieb, momentan nur einen Besucher hat – mich – sagt ziemlich viel darüber aus, wie Menschen mit etwas zeitlichem Abstand über Kultur denken. Und über jene, die bereit sind, für ihre eigenen Interessen andere leiden zu lassen. Das war zwar nicht immer so – der italienische Faschismus hat sich alle Mühe gegeben, Giovanni dalle Bande Nere als Vorbild für die Jugend aufzubauen – aber man muss vielleicht doch einsehen, dass Menschen auch nach 500 Jahren in der Lage sind, Kultur eher als sinnlose Kriege zu verstehen.

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Der Mensch, das ist durchaus eine historische Lektion, lässt sich eher ungern von seinen Oberen oder den Oberen der anderen umbringen. Der Umstand, dass ich allein in dieser gotischen Kirche bin, ist so etwas wie eine Abstimmung mit den Füssen. Obwohl die Ähnlichkeiten zwischen den oberitalienischen Kriegen und dem heutigen Nahen Osten so schlagend sind, obwohl der Konflikt jede echte Bedeutung verloren hat, zur Gewohnheit und sogar zum Lebensinhalt wurde, wie bei den Condottiere der Renaissance, und obwohl es sich an dieser Stelle ganz trefflich sinnieren liesse, was denn an Vernichtung und Bedrohung und den Kosten dafür wirklich sinnvoll ist, werden auch die Aufgeregten und Empörten nach dem Grassgedicht eher Karten für den Palazzo Ducale lösen, sollten sie Mantua besuchen: Weil auch sie eher die Freuden der Renaissance als deren untrennbar mit ihnen verbundenen Abgründe schätzen. Man sagt oft, man müsse Vorgänge aus der Zeit heraus verstehen. Ich denke, die Verurteilung von Grass wird für spätere Generationen so unverständlich sein wie der Versuch der Renaissanceautoren, Giovanni dalle Bande Nere zu einem Helden zu machen.

Die Franziskanerkirche wurde im 19. Jahrhundert zu einem Arsenal umgebaut und im 2. Weltkrieg schwer beschädigt. An Giovanni dalle Bande Nere erinnert nicht mehr viel; im Kreuzgang ist eine Zeichnung von ihm, in voller Rüstung vor der Madonna kniend. Ein paar Meter weiter ist eine Statue des Franz von Assisi, da stehen dann die Blumen und die Kerzen. Ich glaube nicht, dass in 500 Jahren ausser ein paar Forschern noch jemand weiss, wer so komische Typen wie dieser Achami – Achmadana – na dieser Perser halt, dieser Netanjahu, oder dieser komische Typ da aus Berlin gewesen ist, der mal nach Israel emigrieren wollte und dann doch lieber in Deutschland bei Springer gegen Grass und Migranten schimpfte, na wie hiess der doch gleich… egal. Da waren ja so einige, die ein Gedicht irgendwie schlimmer als ein Drohpotenzial  einer Atombombe hielten. Es wird auch nur eine Fussnote eines Konflikts sein, der wie alle anderen Konflikte auch nicht ewig dauerte. Wo Giovanni dalle Bande Nere seine tödliche Wunde erhielt, wachsen jetzt die besten Kürbisse für meine Tortelli di Zucca. Man würde sich wünschen, dass an der Stelle diverser Atomanlagen dann Ölbäume stehen, oder wenigstens ein paar Schilder, auf denen steht, wie blöd man damals gewesen ist.

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Wer das anders sieht, dem sei ein Besuch dieser Kirche wirklich sehr ans Herz gelegt. Ich mein, hübsch leben und schöne Bilder malen, das tut in Italien doch jeder, aber mit Wundbrand in voller Rüstung begraben werden… das ist eine feine Sache für die kalten, weil weit vom Geschehen entfernten Krieger des Nahen Ostens. Ein echter Held, ein Macher, ein entschlossener Tatmensch,  nicht nur so ein besorgter Dichter, dessen Texte man so und so interpretieren kann