Das ist die Villa Dionisi in Cerea, einem kleinen Landstädtchen 25 Kilometer südlich von Verona.
Wir alle kennen diese Region am Po aus den Filmen über Don Camillo und Peppone, ihre Armut in früheren Zeiten und den Willen der Menschen, für ihre Ideale zu kämpfen. Cerea ist ein klein wenig anders, denn hier war man gar nicht so schrecklich arm. 1928 wurde eine Kunstgewerbeschule eröffnet, die sich mit der Möbeltischlerei beschäftigte. Die Bewohner der umliegenden Dörfer mussten keinen Reis mehr anbauen, auch wenn der Reis hier ganz exzellent ist. Sie konnten auch in die Möbelherstellung wechseln. Die schönsten Stücke der Region sieht man in obiger Villa, die heute ein Museum beherbergt.
Auf dem Weg dorthin ist ein Möbelhersteller am anderen. Allein in Cerea soll es 600 kleine und mittelständische Firmen gegeben haben, und in den daneben liegenden Dörfern hat man auch lieber Polsterstoffe getackert, als die Erde umgegraben. Möbel sind in dieser Region der entscheidende Wirtschaftsfaktor.
Wer genau hinschaut, sieht auch, dass Cerea damit gut gefahren ist. Die Dörfer der Region sind stark gewachsen, die Ortskerne sind nur Anhängsel der Neubaugebiete, und die Strassen sind breit und grosszügig angelegt. Man hatte noch was vor mit diesem Zentrum der Möbelherstellung. Man liess sich nicht lumpen und zeigte den Besuchern, was man hatte. Cerea war eine dieser Erfolgsgeschichten, von dem die Lega Nord so gerne spricht. Fleissig arbeitende Menschen, die schöne, hochwertige Dinge produzieren, in Firmen, die noch auf die Qualität achten.
Unter besonderer Berücksichtigung der Kundschaft und ihrer Wünsche. Cerea ist nicht das internationale Mailand, man fertigte dort für die italienischen Käufer direkt, und orientierte sich an ihren Wünschen. Gerne übernahm man Entwürfe vergangener Epochen italienischer Grösse, gerne historistische Entwürfe aus der Zeit der italienischen Einigung, und manchmal auch am Gebaren und Wollen eines aus ärmlichen Verhältnissen stammenden italienischen Ministerpräsidenten. Die Italiener kauften dort gern, und gern auch direkt beim Hersteller. Das war billiger. Und deshalb stehen in Cerea an den grossen Strassen auch die Paläste und Showrooms der hiesigen Hersteller.
Cerea passt zu Italien und Italien passt zu Cerea, es sind die mittleren Betriebe, die hier florierten, es arbeiteten sich hier Familien nach oben und liessen niemanden zurück. Arbeit gab es genug, und weil die Arbeit hier nicht teuer war, und kein Zwischenhandel zu bezahlen war, konnte man in allen Zeiten gut davon leben. Und so sind auch die Vorzeigeläden aus allen Epochen: Art Deco, 50er Jahre, swingende 60er, kühler Glasbeton der 70er Jahre, die Postmoderne und jede Menge Beton der letzten Jahre. Und natürlich nachgebaute Paläste. Lange Zeit gingen die Geschäfte gut.
Heute ist in Italien La Crisi, die Krise. Die Italiener erleben massive Reallohneinbussen, sie müssen sparen und sind für ihre Immobilien hoch verschuldet. Ihr Staat ist in einer üblen Finanzklemme, und dann sind da noch die globalen Riesen des Möbelbaus, die sich in Italien breit gemacht haben. Man kann so einiges an den Kosten tun, wenn die Zeiten schlecht sind. Aber man kann nicht so viel daran ändern, dass man mit Gegnern fertig wird, die Industriemüll statt Holz verarbeiten, in Gefängnissen fertigen lassen, ihre Gewinne in Steueroasen abführen, und so billig sind, dass man sich trotz la Crisi noch alle 10 Jahre eine neue Wohnungseinrichtung leisten kann. Das Geschäftsmodell von Cerea war die Produktion hochwertiger Möbel für ein langes Leben. Damit haben sich die Preise gerechnet. Früher einmal. Aber jetzt wird Sparsamkeit verordnet, oder gleich erzwungen.
Nun ist es laut den deutschen und italienischen Politikern an der Macht so, dass man sparen soll, um die Finanzmärkte zu beruhigen, obendrein die Löhne kürzt, dadurch dann effizienter wird, und so die Wirtschaft in Gang kommt, Wachstum entsteht und mehr Geld in die Kassen kommt, mit denen die Schulden bedient werden, damit die Kurse wieder steigen, das Vertrauen der Märkte wächst und die Krise überwunden wird. Genau das hat man gezwungenermassen frühzeitig in Cerea versucht, und gegen die globalen Märkte anderer Möbelhersteller erschreckend oft verloren. Ich weiss nicht, ob solche Bilder irgendwelche Märkte beruhigen können. Es sind die Bilder, die man nicht so oft sieht. Aber wenn sich in Italien wieder jemand verbrennt, versteht man es vielleicht besser, wenn man Cerea kennt.
Zu gerne würde man die Politiker fragen, was denn diese Region, gebaut auf Reis und Möbeln, tun soll, um wieder zu wachsen. Man würde gerne wissen, wie diese Medizin hier wirken soll, und was all die Polsterer und Schreiner, die Vorhangnäher und Schnitzer denn sonst machen sollen. Es leben rund 100.000 Menschen in dieser Region, es ist eine Kernregion Europas, die in jedem Business Plan der Krisenbewältigung auf der Habenseite steht, weil es dort noch so viele Mittelständler gibt, auf die man meint bauen zu können. Wer die Probleme von Cerea lösen kann, sollte es auch in Europa können. Nur sieht es hier nicht so aus, als wäre jemand dazu in der Lage. Cerea lässt die Rollläden runter, und macht sie nicht mehr auf.
Das alles passiert nicht verborgen in irgendwelche Industriegebieten, sondern an den besten Strassen der Stadt. Man lebt im Zerfall, alles ist zu verkaufen und zu vermieten an jene, die noch Geld haben und Produkte, die immer noch gekauft werden. Aber es sind auch nur wenige Kunden da. Man muss ja sparen. Und obwohl man spart, steht es schlecht um die Haushalte. In Italien. In Spanien. In Frankreich. In Griechenland. Überall wird gespart und gestrichen, die Menschen haben Ängste und Sorgen, sie wählen Kommunisten und Rechtsextreme und hassen die Deutschen.
Was ist eigentlich, wenn, sagen wir mal, die Chinesen und andere, die unsere Produkte kaufen, auch so sparen, wie die Italiener in Cerea?