Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Riestern mit Biestern

Mit Zeter und Mordio für das Eigenwohl: Die Banken entdecken den empörten Riestersparer als Handlanger im Kampf gegen die Finanztransaktionssteuer.

Man bringe mir eine Phiole für meine Tränen!
Kaiser Nero

An dieser Stelle möchte ich ein Geständnis ablegen: So eine Reise ins Erdbebengebiet der Poebene, in die Dörfer und Städtchen, deren Schicksal man sonst nicht mitbekommt, zu den Menschen, die neben den Trümmern ihrer Häuser stehen, für die sie sich 30 Jahre verschuldet haben, oder die in schwierigen Kämpfen mit Behörden und Versicherungen von Generationen erhalten wurden – so eine Reise ist nicht nur menschlich bitter. Sondern auch ideologisch, wenn man, wie bei uns üblich, den Immobilienbesitz als Schlüssel zu Sicherheit, Vermögen und Familientradition betrachtet. Das war in der Zona Rossa auch nicht anders, und jetzt….

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geht es zurück nach Deutschland. Ein Land der Mieter, in dem viele gar nicht verstehen können, warum so viele Italiener in Zelten neben ihren zerstörten Wohnblocks verweilen. Warum ziehen sie nicht einfach weg, denken manche vielleicht, die kein Geld in Ziegeln und Beton, sondern auf der Bank haben. So gross ist die Region doch nicht, es gibt genug andere Städte dort, werden andere sagen, die nicht verstehen, wie Immobilien Menschen sesshaft machen. Das sind dann eben keine Italiener mehr, sondern Ferraresen, Mantuaner, Cremoneser und andere, die stolz auf ihre Heimatregion, ihre Stadt, ihr Viertel sind. Sie sitzen dann nicht nur fest, sie versuchen, ihre Identität zu wahren. Was nicht so leicht ist, wenn nebenan die Kirche kippt, die Fabrik geschlossen und unklar ist, wie die Schäden behoben werden können.

In Deutschland, wo Immobilien inzwischen selbst dem von der Anlageindustrie finanziell geförderten Qualitätsjournalisten als sinnvolle Alternative zum Aktieninvestment erscheinen, also jetzt privat, nicht im Artikel natürlich, aber es geht momentan gar nicht anders, wer keine Immobilie gekauft hat, ist ala Vermögensspezialist in besseren Kreisen gerade überhaupt nicht gut angesehen; in Deutschland also haben wir ein anderes Problem: Da galten die Besitzer von Häusern lange Zeit als rückwärtsgewandte, arme und unflexible Trantüten, und das Finanzprodukt als feine Sache. Dann kam die T-Aktie und die New Economy und das Lehmanzertifikat und der geschlossene Fonds für Filme und die Eurokrise und die Solarbranche an der Börse und inzwischen ist es so, dass den Menschen spät, zu spät die Lust an solchen Anlagen oder was davon übrig ist vergangen ist. Was bleibt, ist angesichts der Immobilienblase wenig: Wohneigentümern nachsagen, sie seien unmoralische Miethaie, dem Menschen ein Wolf, und Schlimmeres.

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So plakatiert es zum Beispiel gerade die Linke in der Altstadt, aus der ich stamme, passenderweise direkt vor einem Stadtpalast, der gerade für 8 Millionen seinen Besitzer gewechselt hat. Alle reden darüber, der Besitzer ist Notar, das Gebäude steht unter Denkmalschutz, und er wird mit solchen Projekten wohl nie wieder Steuern zahlen, im Gegensatz zu jenen, die vielleicht irgendwann eine kleine Wohnung darin erstehen dürfen. Ja, der Miet- und Immobilienhai, eine schwierige Spezies ganz oben an der finanziellen Nahrungskette kleiner und mittlerer Städte des florierenden Westens. Das ist nicht fair, sagen andere. Das ist ein Blutsauger. Sie dagegen, mit ihrem staatlich geförderten Riestersparen für das Alter verhalten sich angemessen, sagen sie und schauen, wie nun mal jene schauen, die sich ehrlich, fleissig und korrekt wähnen und das Gefühl haben, trotzdem immer betrogen zu werden.

Nun hat es der deutschen Politik soeben gefallen, eine Transaktionssteuer auf den Börsenhandel zu planen. Nicht viel, nichts im Vergleich zu Mehrwert-, Benzin-, Tabak- oder Lohnsteuer, und auch die Grunderwerbssteuer ist Welten über den lachhaften Prozent- und Promillebeiträgen, die da erhoben werden. Aber ein klein wenig Gerechtigkeit ist ja nie schlecht, und so, wie den Riestersparer die Erzählung vom morschen Dachstuhl beglückt, erfreut es ihn natürlich auch, wenn jetzt die Banken ihren Teil zur Lösung der Finanzkrise beitragen müssen. Bis ihm auffällt, dass die Basis der Vermögensverwaltung und Zuwächse seiner Riesterprodukte genau jenes Kaufen, Halten und Verkaufen von Wertpapieren ist, das nun vom maroden Nationalstaat besteuert werden soll.

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Riestersparen klingt nun mal viel freundlicher als „strukturierte Finanzprodukte“ oder „Wetten auf die zukünftige Entwicklung von Wertpapiermärkten“, und dass so ein Riesterprodukt auch gehegded, oh Pardon, welch böses Wort, nein, natürlich mit Werterhaltungsmodellen schnell umgeschichtet werden muss, passt so gar nicht in die Vorstellungswelt ehrlicher Menschen. Menschen, die ansonsten niemals auf die Idee kommen würden, ihr Vermögen in Börsenspekulationen zu versenken, stellen nun über die sie betreffende Steuer fest, dass mit ihrem Geld nichts anderes gemacht wird, und diese Transaktionssteuer natürlich voll und in der Epoche der Eigenkapitalrendite sogar übervoll auf sie durchschlagen wird. Denn das Finanzinstitut macht es in ihrem Auftrag, und will nicht geringere Gewinne oder gar Verluste erleiden, während der Sparer, der in Wirklichkeit Teilnehmer einer Massenspektulation an Finanzmärkten ist, weiterhin seine Illusion des kleinen, ehrlichen Mannes pflegen und gleichzeitig Vermögen ansammeln kann.

Dass sich der ehrliche Mann jetzt plötzlich als vom Fiskus ausgeraubte, voll betroffene Hilfsheuschrecke zwangsentpuppt, ist natürlich auch dem Elend der Banken geschuldet, die nach Gründen suchen, das Unheil der Transaktionssteuer abzuwenden. Natürlich gehen sie nicht an die Medien mat der Klage, man würde ihr Geschäftsmodell ruinieren. Das müssen sie mit Millionen Riestersparern in Geiselfinanzhaft auch gar nicht machen. Es genügt zu lancieren, dass es nicht allein „die Finanzmärkte“ betrifft, sondern alle, die darüber agieren. Die schockierenden Zahlen, die jetzt die Runde machen und so aussehen, als liefe die Abgabe zusammen mit der Inflation auf einen Verlust hinaus, ist ein geeignetes Mittel zur Beeinflussung. Viele Menschen werden nachdenken, ob sie nicht vielleicht doch für eine Partei stimmen möchten, die sie vor diesen langfristigen Erschütterungen beschützt, und die mit dranhängenden Finanzmärkte gleich mit. Ganz viele kleine Heuschrecken, das ist vermutlich das Kalkül, möchten gar keine Biester sein, die man zu einer Verantwortung zieht, von der sie nie etwas ahnten. Selbst wenn die Steuer ein Klacks gegen die Bereicherung der Banken an solchen Anlagen ist: Keine Wahlkampfspende kann so viel wie dieser Wunsch für die notleidende Branche bewirken.

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Ihr müsst Euch nicht ohnmächtig vor dem Staat fühlen, als wäre es ein Erdbeben, wird da gesagt. Empört Euch gegen die Ungerechtigkeit. Fordert Schlupflöcher für Euch, durch die wir alle passen. Seid Euch selbst die nächsten und lasst uns in Eurer Nähe sein. Wer hier sein Kreuz an der richtigen Stelle macht, glaubt auch, dass die Energiewende am Ende von ihm bezahlt werden muss. Vielleicht nicht doch ein kleines AKW etwas länger laufen lassen, für all die ausgebeuteten, kleinen, gerechten Heuschrecken dieses Landes? Längst hat man den Wutbürger als Hilfstruppe entdeckt, den gerechten Zorn als Schutzschild vor politischen Begehrlichkeiten, und immer ist es ethisch sauber und korrekt, im Gegensatz zum Miethai, der genau weiss, was er einem da Jahr für Jahr nimmt, und in die eigene Tasche wirtschaftet. Dann kaufen sie noch das Buch von Sarrazin und finden, dass man ihnen alles, wirklich alles nimmt, soweit man es nicht schon selbst jenen grösseren Heuschrecken gegeben hat, von deren Treiben man nichts versteht. Noch jede Währung der Menschheit wurde irgendwann wertlos, jedes Haus stürzt einmal ein, nur die Dummheit und die Eitelkeit, die sind unsterblich. Unsereins sagt übrigens auch nicht über sich, er sei Miethai. Wir erhalten Baudenkmäler. Das Riestern kann man sich da nicht leisten, leider, sage ich seifzend, wenn mich jemand von einer Bank sprechen will. Ja, es ist traurig. Wir alle sollten öfters etwas zusammen weinen über das Elend der Welt, nicht wahr.