Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Gutes Benehmen mit Stil und Kamera

Darf man das Essen ablichten und ins Internet stellen? Mangels Internet wissen Castiglione und Knigge darauf keine Antwort, aber der Abgrenzung und dem Klassendenken kann es durchaus zuträglich sein.

Die unschuldigsten Vergnügungen sind nicht für mich geschaffen.
Aus dem Tagebuch von Maria Leszczyńska, Königin von Frankreich

Vor ein paar Wochen war ich in Monte Carlo, und an einem Nebentisch wurde Geburtstag gefeiert. Eine der jungen Damen wollte den üppig mit Speisen gedeckten Tisch ablichten, und dafür hat der Oberkellner das Licht ein wenig hochgedreht. Und er, ein sehr kompetenter Mann der Genüsse, lächelte dabei, nicht wie über eine Torheit, sondern wie über eine Auszeichnung.

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Letzte Woche war ich in meiner Lieblingssalumeria in Mantua, und als der Chef – genannt der Sindaco der Via Oreficio, das Oberhaupt der Goldschmiedegasse – merkte, dass ich auch ein Bild seiner Käsetheke wollte, machte er sie bereitwillig auf. Und die Dame, die nach mir kam, fand es wirklich ganz reizend, dass ich diese Pracht ablichte. Das sollte ja auch jeder sehen, was für schönen Grana Padano sie hier haben. Der steht etwas im Schatten der Parmesan, und wer seinen Ruf mehrt, ist immer ein Freund, dem alle Türen geöffnet werden.

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Ich habe eine sehr gute Freundin aus gutem Hause, die mit Leidenschaft kocht, und sich sehr freut, wenn sie im Internet bei gewissen Blogs nicht nur Rezepte, sondern auch selbst gemachte Bilder findet. Sie sagt sich, dass solche Photos zeigen, was mit eigenen Kräften möglich ist, und ausserdem mag sie die Liebe und die Hingabe zu dem, was Menschen tun.

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Damit ist das Thema eigentlich schon umrissen und beantwortet: Gäbe es die Vorgeschichte der besseren Kreise nicht, kämen wir gerade erst aus einer traurigen Welt ohne Tischsitten, sähe es bei uns daheim so aus wie im Lebensraum einer Berliner Punkerin, hätten wir dereinst aus dem Topf gegessen und nur drei oder vier Kilo Silber gehabt und ähnlich schlimme Phantasien, und würden wir nun, wohlhabend und einsichtig geworden, frei alle  Regeln und Zwänge neu definieren können, um unerwünschte Personen dorthin auszugrenzen, wo sie hingehören, und uns dann gesittet über sie zu erhöhen – dann wäre die Frage müssig, ob man die gedeckten Tische in Gesellschaft ablichten darf. Wir leben im 21. Jahrhundert, wir sind es gewohnt, unverfängliche und schöne Bereiche unseres Daseins auch umfassend zu leben, und das Bild und dessen Verbreitung gehören fraglos zu dem, was nicht verdammenswert ist. Es gäbe dann, in den letzten Jahren entstanden, eine Art Gewohnheitsrecht, das Bild des Gastmahls im Netz zu verbreiten. Keinen Zwang, aber auch keine gehobenen Augenbrauen. Das Internet wäre die Silbervitrine, der Geschirrschrank der neuen Zeit – gäbe es da nicht die Vorgeschichte. Und diese Vorgeschichte des Benehmens sah es im 20. Jahrhundert einfach nicht vor, dass man Bilder der Tafel veröffentlichte. Man verbietet das Undenkbare nicht.

Wie so oft stellt sich also die Frage, ob es erlaubt ist, die alten Sitten weiterzudenken. Man kennt das aus der Moraltheologie, die sich zu allen Zeiten mit einem festen Gefüge neuen Entwicklungen stellen musste. Es gibt beispielsweise im Judentum Speisen, die nicht koscher sind. Die werden auch explizit benannt. Aber wie ist es mit Speisen, die die Bibel nicht kannte? Tabak ist ein gutes Beispiel dafür, im 19. Jahrhundert galt er allgemein als anregend, erweiternd und deshalb als koscher; heute dagegen ist man sich weitgehend einig, dass man im Lichte neuer Erkenntnisse im Lungenkrebs nicht G’ttes Wunsch für den Menschen erkennen kann. Vor vierzig Jahren wäre es fraglos unüblich gewesen, Tische abzulichten und das Bild an Creti und Pleti zu verbreiten – heute, das es üblich ist, muss man fragen: Schadet es irgendjemandem? Irgendwie? Ist es schlecht für unsere Klasse, kommen wir damit in Verruf?

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Und hier nun bietet sich die glänzende Gelegenheit, ein neues Minenfeld des Geschmacks und der Diskriminierung aufzumachen. Es schadet uns nicht, aber den anderen. Was alles nicht geht: Ein Kantinentellerleerlecker, der zwischendrin mit seinen berufsbedingten Besuchen in preislich gehobenen Restaurants angibt, solange es auf Spesen geht – Parvenü (es gibt dafür übrigens auch einen bayerischen Fachausdruck, der ein Borstenvieh beschreibt, das sich allein von den Resten der Bierbrauerkunst ernährt; Parvenü ist immer noch nett. Im Vergleich)! Nachplappern der Weisheiten irgendwelcher TV-Köche – grauenvoll. Einkaufen nach Schuhbeck – ah ja. Das sieht so aus, wie man es im Kochkurs gelernt hat – soso. Und so praktisch, man sitzt, wenn man fertig ist, auf Barhockern rund um die Kücheninsel – nun denn. Man hat früher Menschen nicht umsonst zum Essen eingeladen und sich einladen lassen. Man tat es, um weitreichende Schlüsse zu ziehen. Die Möglichkeiten, die man nun hat, und zwar ganz ohne das Risiko, jemand könnte seinen Ellenbogen auf den Tisch legen, sind famos.

Und auf der anderen Seite geht wieder der Sozialdruck los. Wer sich einreiht, muss öfters mal das Geschirr wechseln, sonst wird es langweilig. Die Maggiwürze verschwindet vom Tisch. Man kann auch nicht das billige Öl des Discounters herumstehen lassen. Dieser Ikeatisch passt nicht zum Anspruch, der auf dem Teller gelebt wird, wo sind der Grossmutter Damasttischdecken? Halb freundliche, halb spöttische Kommentare können Wunder wirken. Das ist wie das Vorstellen bei den Grosstanten, nur global und in Echtzeit und solange das Bild online ist. Ein Segen vielleicht, ein Fluch aber ganz sicher. Manches kann man sich erkaufen, aber ein Alpenpanorama hinter der Torte, einen Gebirgssee, monatelang eine italienische Piazza und Delikatessenläden oder ein Silberschrank der Grosstante, in dem matt die grosse, alte Zeit funkelt – das muss man erst mal haben. Der Anpassungsdruck nach oben kann im Netz gnadenlos sein. Natürlich geht es auch anders. Niemand muss mitmachen, man darf auch ehrlich Fabriksaucen auf Pappteller träufeln. Alles eitel, alles Fassade. Und genau darum so effektiv. Ich höre aus verschiedenen Richtungen, dass ein Blick in die virtuellen Speisekammern entscheiden kann, wer gefällt, und wer nicht.

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Ein jeder findet darüber das, was ihm entspricht, die einen stehen zusammen am Dönerstand, über den die Flieger düsen, und die anderen empfehlen sich jene stillen Brauhäuser bei Klostern, die es können und wissen, wie es zu sein hat. Das Internet, ansonsten als grosser Gleichmacher verschrien, kann hier ganz anders wirken, Klassen erhaltend, Gruppen abgrenzend, Erkenntnisse der Unvereinbarkeit fördernd. Was sonst fairerweise immer erst nachher sagen kann, wenn man sich schon zusammengesetzt hat – jene würde man nicht mal mit der Kneifzange anfassen – lässt sich nun schon von Aussen ergründen. Töchterlein, höre ich mich sagen, möchtest Du wirklich jemanden, dessen Lieblingslokal auch in Rottach stehen könnte? Mein Sohn, ich habe nichts gegen Deine Freundin, ich finde, in Zeiten der Emanzipation ist es nur angemessen, wenn Du sie bekochst, statt Dich von ihr vergiften zu lassen. Aber bitte, bei diesem Familienrostfreiedelstahl – mach eine Gütertrennung. Oder ich verjuxe vorher alles a la Berlusconi. Ich wäre keine besonders nette und stilvollendete Grosstante, aber ich würde die Mittel des Netzes sehr zu schätzen wissen.

Bei Frau R., der vornehmen Mutter einer ganz liebreizenden Tochter, die gerade der Scheidung entgegen geht, habe ich übrigens auch recherchiert: Sie fände es überhaupt nicht schlimm, wenn sie jemand nach dem Rezept ihres sechslagigen Johannesbeerkuchens fragen würde, und darum bäte, zur Erinnerung ein Bild machen zu dürfen, wo es doch so eine Pracht ist, in diesem Garten. Ganz im Gegenteil, das Digitale muss nur richtig vorgetragen und verpackt werden, und alle sind zufrieden. Die Welt ist wieder in Ordnung, der eine hat und der andere hat nicht, und bei so einer Mutter wird die Tochter auch nicht lang alleine bleiben. Die Grenzen sind klar, es tropft Tau von der Rose und die Katze passt auf die Dornen auf, während woanders die S-Bahn am Currystand vorbei rattert, und das Frischei in der Kantine den Klebeschinken grüsst. Nur ab ins Internet damit. Man soll es sehen, vergleichen, und sich seinen Teil denken. In zwei Generationen wird es kaum mehr richtig boshafte Grosstanten in Massen geben, wir müssen deren Werk selbst übernehmen. Wir haben wenig Zeit und klicken uns die Vorurteile zusammen, und dafür brauchen wir mehr Bilder im Netz. Wir interessieren uns sehr für die Kultur der Wilden, solange sie einige Rechenzentren und Glasfaserkabel entfernt sind.