Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Das Platzen der Blase

Das Ende aller Illusionen naht Im Endkampf zwischen dem Euro und der Baupanik in der Provinz kann es nur einen Sieger geben.

Solange ich lebe? Mit dem Leben spielt man nicht, Frau Bundeskanzlerin.

Man kann uns viel nachsagen, aber nicht, dass wir als Stadtbewohner seit vielen Generationen die Dorfbewohner gezielt diskriminiert haben. Sicher, mein Ururgrossvater war berüchtigt für seinen grossen Hut, mit dem er zum Markt ging. Dort verhandelte er gnadenlos um das Getreide für seine Bäckerei, und wenn er dann die Bauern bis aufs Blut gepeinigt und ausgenommen hatte, hielt er zu all den Säcken noch seinen Hut hin und verlangte, dass man ihm den auch noch voll mache, wenn man nochmal mit ihm ins Geschäft kommen will. Reich, das wusste er schon, wird man nicht durch Geld ausgeben, sondern vom Kassieren. Das war damals so, das war nicht bös gemeint, das Reichwerden ging damals nicht anders, denn eine Bank, die Geld verschwendet, ihre Mitarbeiter mit Boni verwöhnt und dann Hilfe vom Staat bekommt, gab es damals noch nicht. Jedenfalls, das war keine Diskriminierung. Und dass wir das Dorf Egweil immer nur als Dregweil titulierten und den Menschen aus Dünzlau reimend eine Existenz als Borstenvieh nachsagten, war auch nicht bös gemeint. Das waren halt so elende Käffer und unsere Tradition, da kann man nichts machen. Genauso gewohnheitsmässig warf die Jugend in diesen Dörfern am Sonntag mit Steinen und Flaschen nach Rennradfahrern aus der Stadt. So war das. Vor der Krise.

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Also, die Krise der anderen. Hier liest man zwar oft von der Krise, aber all die Chinesen, Italiener und Spanier, die trotz allem wie versessen die Produkte dieser Region kaufen, besitzen wollen und begehren, die sorgen dafür, dass daheim bei ihnen die Banken marode werden. Aber dieser Region geht es blendend. Irgendwo müssen die Schulden ja als Geld landen, und hier kommen sie an. Früher dort, wo das als Vermögen geadelte Geld hingehört: In den Vierteln, in denen man wohnt. Diese Viertel jedoch sind klein und nicht allen offen, und so drückt das Geld in die Aussenbezirke, in die schlechteren Regionen, bis in die Nachbarlandkreise, irgendwo muss es hin. Die Besitzer wollen es auch hier nicht auf der Bank lassen – sie profitieren zwar von der Krise, aber naturgemäss wollen sie nicht mitleiden.

Und deshalb wird hier gebaut, selbst in Orten, die früher als eine Art Alt-Fukushima unbewohnbar galten. Folglich werden elendste Dörfer heute neu erfunden. Architektonisch ist alles erlaubt, und in der Sprache der Immobilienentwickler auch. Die Leute suhlen sich nicht mehr in ihren verkommenen Hütten in Dregweil neben „Tommie’s Tanzpalast“, nein, sie beziehen exklusive Apartments in grosszügigen Anlagen im idyllischen Egweil, gelegen im romantischen Schuttertal mit Blick auf die ersten Anhöhen des Jura. Heute wie früher zieht nach Dregweil nur, wer in der Stadt keinen Platz hatte, aber heute wird man dafür nicht mehr diskriminiert. Früher lebten hier die Armen. Heute sind es die nicht ganz so Reichen. Und weil die oft Zuzügler sind, wissen die auch nichts von Dregweil. Wie soll man jemanden diskriminieren, der es in seinem Bauhaus-Hipster-Bunker gar nicht merkt?

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Man hätte es ahnen können, als zum ersten Mal in der deutschen Presse zu lesen war, das Kaff „Gerolfing“ im Donausumpf vor den Toren der kleinen, dummen und reichen Stadt wäre ein „Nobelvorort“. Das war der Dammbruch für den Hype der Region, und seitdem gefällt es jedem, auch noch die schlechteste Lage irgendwie zu verschönern. Die brandneuen Bausünden dort oben, die hier so unpassend in die Landschaft geklotzt wurden, stehen in einem Ort namens Unterstall. Bitte, das ist keine Erfindung, der Ort heisst wirklich so, und kündet nicht gerade von einer vornehmen Herkunft. Zum Glück jedoch gehört Unterstall zu einer anderen Gemeinde namens Bergheim, und das klingt gleich viel schöner. Man sage es sich vor: „I kum vo Undaschdoi“ hiess es früher von den Armen. „Wir haben uns da ein entzückendes Haus auf den sonnigen Juraanhöhen bei Bergheim errichten lassen, ich dachte ja mehr an Mies, aber dann wurde es doch eher Doesburg, mit ein paar Anleihen bei Koolhaas“ sagt man heute, wenn es für eine gute Lage nicht reicht. Für die gleiche Behausung am Rand des gleichen Ortes. Das ist der Druck des Geldes auf eine Region, die damit nicht umgehen kann. Die viel zitierte Blase. Aber wenn man liest, dass in Zukunft jeder mit seinem Geldvermögen für die Einlagen aller Banken in der EU haften soll, was bleibt einem dann schon anderes übrig, als es in Stein und Ziegel zu stecken.

Es ist so falsch, in Dregweil und Unterstall zu leben, und doch so richtig, angesichts der Alternativen. Und so drückt die Blase die Preise auch in den schrecklichsten Nestern nach oben, das Geld ist vorhanden, und die Angst tut ein Übriges. All die Neueigentümer sehen, wie der Wert ihrer steinernen Selbstverwirklichung trotz Toskanaverbrechen und Bauhausvergewaltigung steigt, und diejenigen, die vor zwei Jahren nicht kauften, verfluchen heute ihre Knausrigkeit. Früher fragte man in Dregweil bei den Freundinnen der Söhne zuerst: Hod’s wos? Heute möchte man dezent wissen, ob die Eltern schon im Eigenheim leben, oder noch mieten müssen. Und nichts befeuert die Blasenbildung so sehr wie der gesellschaftliche Druck zusammen mit der Angst vor dem fallenden Sternenkranz der Europäischen Union. Entsprechend sind alle Phasen der nächsten Immobilienkrise bereits sichtbar:

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1. Die Phase der aus dem Ruder laufenden Preise. Bei 2% Inflation steigen die Preise für Immobilien und Mieten um 8 bis 10% pro Jahr. Das war schon im Jahr 2007 und 2008 so, weil wir so gut verdienten.

2. Die Phase der Verdichtung, in der die Preisentwicklung mehr als der Bestand wert war. 2009 wurde so viel gebaut, dass die Grundstücke knapp wurden, Also begann man intensiv, alte Häuser in grossen Gärten abzureissen und statt dessen viel zu grosse Mehrfamilienhäuser auf die Flächen zu quetschen. Davor gab es hin und wieder solche Fälle, nun wurden sie üblich.

3. Die Phase des Verkaufs von nicht realen Gütern. 2010 waren die meisten Objekte von Bauträgern schon verkauft, als das Haus gerade erst fertig wurde. 2011 war es schon üblich, dass Objekte auch in weniger guten Lagen vom Plan weg ausverkauft waren. Die Vermögensverwalter, die nun im Westviertel anklopften, boten Apartments mit Baubeginn 2012 an.

4. Die Phase der Spekulation auf die Wertsteigerung nicht realer Güter: Weil das alles so gut lief und die Zinsen von Baukrediten erheblich niedriger als die zu erwartende Wertsteigerung sind, ist plötzlich Schluss mit dem Verkauf. Die Immobilienentwickler verkaufen nicht sofort, sie bauen erst das Toskanabauhauslandvillenhuindehüttending fertig, und verkaufen dann zum neuen Höchstpreis.

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Jeder Mensch mit etwas Gerechtigkeitssinn würde nun sagen, da muss man sich Sünden fürchten, und Gott strafe Dregweil und die dortigen Bauträger. Das kann nicht gut gehen, das ist übelste Spekulation, und man hat in Spanien, den USA, England und Irland gesehen, wohin das führt. All die schlimmen Fehler, hier, auf den gottverlassenen Juraeinöden leben sie im Jahr 5 nach Beginn der grossen Krise wieder auf, und wie das endet, weiss man ja. Das ist eine Blase. Dregweil darf einfach nicht teurer als der Tegernsee vor fünf Jahren sein. Aber es ist so. Es ist überall so, in Pfaffenhofen, in Rosenheim, in Miesbach und Regensburg. Die Leute sagen sich: Wenn ich für alle Banken haften muss, ist das Geld kaputt. Und wenn ich nicht haften muss und die Banken kaputt gehen, ist das Geld auch kaputt. Es ist ganz sicher eine Blase.

Die Frage ist nur, was zuerst platzt. Der Glaube der Menschen, in Dregweil hätte der Wert einer Immobilie bestand. Oder der Glaube der Menschen, der Wert von bedrucktem Papier hätte Bestand.  Möglicherweise wird Dregweil gegen den Euro gewinnen. So weit ist es schon gekommen. Man muss sich wirklich Sünden fürchten. Oder sich nach einer Immobilie in der Schweiz umsehen.