Auf nach Norden, so muss es sein, lasset uns nagen an der Berliner Bein,
bläst der Hornist. RATATATATAM, trommelt der Trommler. Es knattert die geschwenkte blauweisse Fahne im Wind, es greift die Hand nach dem Gewehr, und warte nur bald, dann steht Preussen nicht mehr. Den Länderfinanzausgleich, den holen wir heim, und wer das nicht will, kriegt eine.., vielleicht sowas in der Art wird es gewesen sein, das jemanden in ausgerechnet im friedlichen Greding dazu verleitete, sein Wirtshaus über den romantischen Blumen mit Bildern kampfbereiter bayerischer Krieger zu zieren. Gasthaus zum Bayerischen heisst es, und die meisten werden es wohl kaum kennen. Wie auch Greding, eine hübsche, famos erhaltene Kleinstadt im Altmühltal, seine Bekanntheit allein der Autobahnraststätte verdankt, an der quengelnde Kinder der Touristen abgespeist werden.
Aber das ist auf der anderen Seite der Strasse nach Italien. In Greding ist es dagegen so, wie es in meinen Kindheitserinnerungen war: Es bläut ein unverschämter Himmel, ein mildes Lüftchen weht, es ist schön, und neben mir sitzen einige, die genau wissen, dass sie mit ihren Leibern nur noch so mittelgut an den Tegernsee passen würden, wo es für die einen Läden mit der Marke „Peak Performance” und die anderen keine fetten Saucen, sondern OPs für Fettabsaugen gibt. Ich mag diese Regionen, wo nicht jeder wie ein Modell aus dem Prospekt oder der Lifestylezeitschrift aussieht, und das Altmühltal ist ein schöner Rückzugsort für Menschen mit normalen Körpern. Die Portionen sind anständig, die Proportionen erdverhaftet, man kann überall in den Dörfern kneipen, und das Bier ist bemerkenswert gut. Es ist das Land der alten Tanten und der Wanderer von Ort zu Ort und von Cafe zu Cafe, niemand muss hier rasen, niemand muss hier jung sein und seinen Bauchnabel zeigen. Es sei denn, er setzt sich auf ein Colnago CX-1 mit Campagnolo Record Komponenten. Dann ist er auf den Strassen das bevorzugte Jagdwild anderer Rennradfahrer, denn nichts Schön´res gibt es für sie im Leben, als dicke, alte Männer auf teuren Rädern zu zeigen, wo der Bartel den Most und der Outdoornorddeutsche seine Kondition holt.
Ich nun bin hierher auf einem der besagten Rennräder gefahren, 42 Kilometer hin und 42 Kilometer zurück, und ich traf mehr dünne Outdoornorddeutsche, als mir lieb sein konnte. Überholt hat mich keiner, aber statt zwei Stunden mit Photopausen habe ich auf der Flucht und dem damit verbundenen Niederringen anderer nach Greding nur 1 Stunde 40 Minuten gebraucht. Da sieht man schnell, was der Leistungsdruck der Gesellschaft aus uns macht: Niemand hat mehr Respekt, niemand sieht im anderen noch einen, der sich Langsamkeit leisten kann, man wird bis aufs Blut bekämpft und gescheucht, es zählt nicht mehr der Stand, sondern allein die körperliche Leistungsfähigkeit. Auch hier, im Paradies von beigen und pinkfarbenen Rentnersäcke, geht es brutal wie in einer Karrierezeitschrift zu. Das sind dann die Leute, die es unsereins schwer machen, das Leben zu geniessen. Die einen wissen lassen, wie wichtig eine disziplinierte Erscheinung ist, wenn man im Bewerbungsgespräch erscheint. Leistungsfähig, engagiert, zäh, das alles verbindet man eher mit elenden Hungerhaken wie dem Kriecher hinter Kipfenberg auf seinem popligen China-Ridley, den ich in den Asphalt gewalzt athletischen Erscheinungen, statt mit Menschen, die wie ich aussehen: Normal, manchmal vielleicht etwas zu dick, aber gesund und humorig. Braucht es alles nicht in der Arbeitswelt, Soft Skills sind eher Europarekorde beim Ratzenrennen oder wie diese „Challange” da in Frankfurts Abgasen heisst.
Und selbst so ein morscher Knabe wie ich, dem es eigentlich völlig egal ist, was auf der Waage steht, solange er sich nur wohl und gesund findet und jeden Tag um vier seine Torte bekommt – selbst jemand wie ich trägt peinliche Schuhe, auf deren Sohle steht: „Supra Light Hardened Carbon.” Darunter geht es heute nicht mehr. Man kann keine Standardschuhe mehr kaufen, auf denen stünde „Echtleder für den Normalsportler” oder „Rutschsicher auf den Stufen zum Cafe”. Das Alter ist keine Entschuldigung mehr für das Auseinanderlaufen und Gemächlichkeit, es läuft einfach nur dem Zwang zur Jugendlichkeit entgegen. Und da muss man eben alles tun, was möglich ist. Fettabsaugen in Rottach zum Beispiel. Für so etwas findet man bei uns am Tegernsee Werbung. Ganz toll soll das sein, denn es erreiche auch jene Partien, in denen das Fett trotz Sport, Training und Hungern nicht verschwinden will, und dem Body Shaping im Wege ist. Man lacht darüber exakt so lange, bis man am See liegt und zwei für ihr Alter recht dürre Damen vorbeikommen, die sich darüber unterhalten, und der Mann der einen das langsam auch mal bräuchte. Und dann mault in Bayern die CSU, dass es zu viele Singles gäbe…
Das Bejammern und die Suche nach radikalen Auswegen aus der Körperlichkeitsfalle hat sich wie eine Epidemie von den Models über die Kotzbrechsuchtlerinnen und Töchter, über die Frauen und Mütter in die Familien entlang der Autobahnen von Nord nach Süd ausgebreitet, und inzwischen läuft mir das allenthalben vor die Laufräder wie jenes Stück Aas auf seinem rotschwarzen Nazifirmencervelo, das erst in meinem Windschatten klebte, dann überholte und am nächsten Anstieg aber sowas von einem Riesentritt/antritt in seinen: In Blogs von ansonsten kuchenliebenden Freundinnen und Bekannten, die sich gegenseitig hysterisch jammern. Auf dem Wochenmarkt. Im Konzert, wo die Honoratioren langsam wegsterben und die Erfolgreichen mit Erzählungen vom Bergwandern in Teneriffa an ihre Stelle treten. Die Zeiten, da man noch ungestraft sagen konnte, das Fleisch habe „a Feds und a Fleischads”, und beides müsse man mögen, sind lang vorbei. Statt dessen lese ich oft von Ernährungstipps und über die Verwerflichkeit von Schmand. Auch als Angehöriger von Schichten, die dank geregelter Einkünfte aus Besitz seit grauen Vorzeiten nicht mehr Fron und Ausgezehr erdulden mussten, bleibt man nicht unbetroffen, wenn man wie die vermögenden Vorfahren aussieht. Früher musste die Unterschicht dünn sein, und die Reichen durften zulegen – wenn ich in das Familienkochbuch schaue, ererbt von einem Riederinger Zweig der Familie mit Gasthof Brauerei, ganz ehrlich: ich würde platzen. Heute dagegen darf die Unterschicht die XXXXL-Ed-Hardy-Hemden mit Fastfood füllen, es passt durchaus in das von den Medien gezeichnete Bild. Aber die Stützen der Gesellschaft dürfen auf gar keinen Fall mehr dicke Träger sein. Wer oben bleiben will, muss sich auch körperlich gegen schmale Säulen behaupten.
Sogar meine eigene Familie erzählt mir, wie schlank ich doch war, als ich vor 2 Jahrzehnten, lang ist es her, im Sommer immer mit dem Rennrad von München in die kleine, dumme und mittlerweile auch fettreduzierte Stadt an der Donau gefahren bin. Und deshalb sitze ich im schönen Greding im Altmühltal unter unrüstigen Rentnern, die ihre Portion immer zwingen, und warte auf eine Handvoll Zähne mehr. Im schönen Nürnberg nämlich hat sie jemand angeboten, eine Kassette für das Hinterrad mit einem Ritzel, 27 Zähne und aus Titan: Das kommt an ein Rad, für die schweren Steigungen. Und dann gehe ich ein Risiko ein. Ich fahre nach Gmund an Tegernsee. Mit dem Rad. Das sind 140 Kilometer. Und dann steige ich am nächsten Tag auf den Hirschberg, erst mit dem Bergrad, und dann zu Fuss. Und danach radle ich wieder heim. Und wenn ich das nicht schaffen sollte, mache ich, versprochen, einen Beitrag über das richtige Fettabsaugen am Tegernsee. Also mit Spritzen, OP, Klinik, raffgierigen Kurpfuschern und Erprobung am eigenen Leib. Das nur zu meiner Motivation, es zu schaffen und nicht aufzugeben. Das wirkt übrigens sofort: Meine Mutter hat gerade angerufen und die Idee zum Irrsinn erklärt, ich sollte doch mit dem Auto nach Meran und dort in ein Cafe gehen. Ausserdem hätte ich doch schon abgenommen. Und das sei viel zu weit. Bei dieser Hitze! Da würde ich sterben. Allerdings hat sich der Verkäufer in Greding gestern als Apotheker vorgestellt, und nachdem man ja immer Arzt oder Apotheker fragen soll, habe ich ihm auch gleich noch von der zweiten Stufe erzählt: Mit dem Rad nach Meran, über den Achenpass, den Brenner und den Jaufenpass. In zwei Tagen. Der 10 Jahre ältere Apotheker, der selbst auch schon 250 Kilometer an einem Tag gefahren ist, und das Timmelsjoch überschritt, hat keine Bedenken, aber ein rattenscharfes Litespeed. Ich glaube Apothekern mit Litespeed mehr als meiner Mutter, zumindest in medizinischen Belangen.
Warum, fragen jetzt auch die I. und andere, die allzu oft ein drittes Stück Diätprinzregententorte ablehnten und schlechtes Gewissen verbreiteten. Warum? Weil die blauweisse Fahne knattert, die Trompete ertönt, die Trommel wirbelt und die Hand zum Colnago greift. Weil der Tag kommen wird, da der Outdoornorddeutsche immer noch dürr am Nachbartisch sitzen wird, und mit den Augen fragen: Diese drei Semmelknödel mit der Rahmsosse und dem Pfund Pfifferlingen und die Tomatencremesuppe mit Sahne davor und der Zwetschgendatschi danach bei diesem Mittelalten – Das. Kann. Nicht. Sein. Und dann will ich mit meinen Augen antworten können: I kimm vo da Schanz af’n Hiaschbeag und zrug wann’s sei muass. Oiso loss mi in Ruah und ruaf liabe Dein homöobathischn Feddabsauba aus da Mänatschazeidung oh, Du Grischbarl*. Das will ich sagen können. Es geht nicht um den Sport und um die Leistung, es geht um die Ehre. Und darum, dem Fettabsauger in Rottach zu entgehen. Nach 6 Monaten, heisst es, zeige sich bei den Abgesaugten der volle Effekt. In drei Tagen will ich wieder da sein. Ich komme auf den Hirschberg oder zum Fettabsauger in Rottach. Schwammerling in den Muskeln oder Gipfelkreuz, Sie werden es hier in dieser Woche erfahren. Man wird sicher schon beim Lesen schlank.
*Übersetzung: Fraglos haben Sie mit Ihrer leistungsorientierten Einschätzung recht, aber es wäre mir sehr lieb, wenn Sie sich dabei auch meine Lage vergegenwärtigen könnten: Ich komme damit schon zurecht, und was ich schaffen muss, das erreiche ich auch.