Man kann mit mir darüber eden, warum Flaschenhalter am Rennrad aus Kohlefaser sein und 100 Euro kosten können. Ich habe vollstes Verständnis für Zahnärzte, die pro Quadratzentimeter Leinwand mehr ausgeben, als ich für meine Sammlung – ich hasse sie zwar als Konkurrenten, aber ich kann sie verstehen. Dafür halte ich jeden Cent für Zigaretten für übelste Verschwendung, ich verachte auch eine gewisse neureiche Schule des Kochens und die Angeberei mit Rechnungen im Restaurant. Und es ist mir auch vollkommen unbegreiflich, wie man für eine Flasche Wein… aber im Fall von Wein gibt es den Gastautor Christoph Raffelt, den ich besonders all jenen Zahnärzten empfehlen möchte, die sich gerade überlegen, ob sie nicht lieber einen besonders guten Wein kaufen möchten, oder jenes Bild nächstes Wochenende in Bayreuth auf der Auktion, und ich sage Ihnen ins Gesicht wenn SIE ES WAGEN SOLLTEN DANN WERDE ICH: Nehmen Sie den Wein, den Christoph empfiehlt. Das Bild passt gar nicht in Ihre Wohnung.
Zuerst die Qualität, dann der Preis.
Thomas Jefferson
Unlängst hatte ich ganz unerwartet die Chance, einen Wein zu probieren, der eine Legende ist. Er ist eine Legende nicht etwa, weil er maßlos teuer wäre, obwohl er in der Tat maßlos teuer ist. Auch nicht, weil Exklusivität vorgegaukelt wird, denn de facto ist dieser Wein exklusiv. Es liegt auch nicht unbedingt daran, dass die Weinberge, von denen dieser Wein stammt, seit ca. 1.500 Jahren bewirtschaftet werden. Es ist vielmehr die gleichbleibende außerordentliche Weinqualität der hier erzeugten Burgunder, die so einzigartig zu sein scheint, dass es wohl kein Weingut gibt, das permanent auf ähnlich hohem Niveau Weine produziert. Für Weinliebhaber gehören die Weine dieser Domaine entsprechend zu den begehrtesten Objekten der Weinwelt.
Um welches Objekt der Begierde handelt es sich nun? Es handelt sich um eine Flasche Burgunder der Domaine de la Romanée-Conti, genauer gesagt um einen 2009er der Lage Échézeaux. Romanée-Conti ist ein Mythos und dieser Mythos hat vielleicht eingeschränkt sogar eine gewisse Berechtigung. Diese Berechtigung würde ich nicht vielen Weingütern zuschreiben, denn meist ist die Implementierung dieses Begriffs hohl, an den Haaren herbeigezogen und bestenfalls der clevere Einfall von Marketingexperten. Besonders deutlich wird dies, wenn Champagner wie beispielsweise ein Dom Pérignon zu einem exklusiven, fast mythischen Produkt erklärt werden. Das besonders Herausragende an solchen Champagnern ist meist der Preis. Die Qualität in den Flaschen schwankt häufig, weniger von Jahrgang zu Jahrgang als von Abfüllung zu Abfüllung. Immerhin sollen – der Hersteller macht bewusst keine genauen Angaben – mindestens eine, vielleicht aber sogar mehr als zwei Millionen Flaschen pro Jahr abgefüllt werden.
Nicht ganz so extrem – was die Menge betrifft – ist es im Bordeaux, auch wenn so mancher Blue-Chip der Weinwelt wie Château Lafite-Rothschild durchaus auf stattliche 103 Hektar Weinberge kommen, in Toplage. Dafür ist es extremer, was den Preis betrifft. Auch wenn mit ca. 250.000 Flaschen deutlich weniger verkauft werden als beim Dom Pérignon, wirkt der Preis des Dom mit € 130,- geradezu lächerlich günstig gegen einen Lafite. Der Lafite wird für den 2009er Jahrgang zwischen € 900 und € 1.200 gehandelt, pro Flasche versteht sich.
Doch zurück zur Domaine de la Romanée-Conti, die ähnlich dieser Zeitung meist unter einem Kürzel genannt wird: DRC. Die Größe des Besitzes liegt bei einem Viertel dessen, was Lafite-Rothschild aufzuweisen hat, zudem kann man davon ausgehen, dass die Hektarerträge unter denen der berühmten Bordeaux-Chateaux liegen. Die Preise allerdings bewegen sich leider in den gleichen Sphären, denn die Weine sind ebenso begehrt wie die von Lafite. Allerdings ist die Klientel eine andere. Es sind weniger die Chinesen, die sich um die Weine reißen und auch nicht vornehmlich die Spekulanten – für Bordeaux gibt es einen eigenen Index an der Börse in London, während im Gegensatz dazu DRC versucht, Spekulationen zu verhindern, in dem der direkte Weiterverkauf untersagt wird.
Was aber nützt es dem durchschnittlichen Weinliebhaber, wenn die Spekulation einer Flasche Wein in Grenzen gehalten wird, die schon im normalen Verkauf bei einem halben, einem drittel oder viertel Monatsgehalt beginnt? Noch weiterzugespitzt entspricht sie 850 Tagwerken eines Tagelöhners in Bangladesh. Die Preise sind also komplett von der normalen Weinliebhaber-Realität entfernt und entsprechend kommt unsereins kaum in den Genuss eines solchen Tropfens, der in diesem Fall auf 18.589 Flaschen begrenzt ist.
Wie kommt es nun zu dieser als praktisch einzigartig beschriebenen Qualität der Weine? Es liegt natürlich an der glücklichen Fügung, dass sich die Besitzer (es sind mehrere Familien) einig sind über die angestrebte Qualität und vor allem den Weg, der dahin führt. Dass im Weinberg und Weinkeller der Domaine de la Romanée Conti alles nahe der Perfektion geschieht, muss wahrscheinlich nicht weiter erwähnt werden. Es geht hier sogar so weit, dass Mitarbeiter der Domaine die Bäume in den Wäldern von Tronçais selbst die Bäume selektionieren, aus deren Holz später die Fässer entstehen. Worüber selten gesprochen wird, ist die Tatsache, dass seit vielen Jahren biodynamisch gewirtschaftet wird, wie auf vielen anderen berühmten Burgunder-Domainen auch. Diesen Umstand findet man nicht als Gütesiegel auf dem Etikett, und doch wird hier sehr konsequent gearbeitet. Dieser Weg wird nicht etwa beschritten, weil plötzlich alle Winzer ihre Liebe zu Rudolf Steiner entdeckt hätten, vielmehr ist dies die Konsequent aus jahrzehntelanger exzessiver Spritzerei, die dafür gesorgt hat, dass die Burgunderböden ausgelaugt und so gut wie tot waren. Qualitätsweinbau war in einem solchen Zustand kaum noch zu erhalten. Die Besitzer der Domaine de la Romanée-Conti gehörten damals zu den ersten, die fernab von Moden mit der Biodynamie experimentiert haben.
Neben der konequenten Arbeit in Weinberg und Keller aber ist es vor allem der Boden, auf dem der Wein wächst, der ihn so einzigartig macht. Die Lagen der Domaine, insbesondere die Lagen Romanée-Conti (Die Lage gehört als Monopol-Lage ausschließlich der Domaine) und La Tâche sind mit so perfekten Böden gesegnet, was die Gesteinsschichten und die Drainage, also den Wasserabzug angeht, dass in den besten Jahren Weine von enormer Tiefe und Komplexität entstehen, die möglicherweise zweihundert Meter weiter nicht mehr entstehen können. Und das ist kein bisschen übertrieben. Im letzten Sommer habe ich, um es ein wenig zu erklären, den Besitzer des Château La Tour Figeac bei St. Emilion besucht. Der Deutsche Otto Rettenmaier produziert dort sehr gute Bordeaux. Seine Weinberge grenzen an jene des Château Cheval Blanc an, einem der berühmtesten Güter des Bordeaux. Rettenmaier arbeitet im Weinberg und im Keller genau so aufwendig, ja penibel wie seine berühmten Nachbarn. Und doch, sagt er, kann er sich auf den Kopf stellen und mit den Beinen wackeln, seine Weine erreichen nie die Klasse von Cheval Blanc. Die zweihundert Meter Luftlinie mit leicht veränderter Bodenstruktur entscheiden über diesen Unterschied.
Eigentlich wollte ich ursprünglich nur ein paar Sätze zum Wein schreiben aber als Erklärung für den Kult, der um diesen Burgunder gemacht wird, ist das Bisherige vielleicht nicht ganz unwichtig. Ich habe den Wein aus der Lage Échézeaux neben einem Dutzend anderer Burgunder aus dem Jahr 2009 in einer gänzlich unromantischen Arbeitsatmosphäre probieren dürfen. Ich hätte es natürlich vorgezogen, mich mit meinem Glas in eine stille ruhige Ecke zurückzuziehen um das, was ich da im Glas hatte zu genießen und mich dem Wein hinzugeben. Das war mir nicht vergönnt und vielleicht war es auch ganz gut, um ihn zumindest bewerten zu können, ohne gänzlich dem Nimbus zu verfallen. Vor dem Échézeaux hatte ich bereits zehn teils sehr teure Burgunder probiert, die mich, bzw. die kleine Verkostungsrunde allesamt enttäuscht hatten, bis auf einen vielleicht. Für das Potential, das diese Region zu bieten hat, ist die Qualität immer noch erschreckend gering und ich bewundere jene Händler, die es immer wieder schaffen, die Perlen in diesem Gebiet herauszupicken. Vor allem, wenn es um bezahlbare Burgunder geht. Es blieb also nur die Hoffnung, dass uns der Romanée-Conti die vorangegangenen Weine vergessen lassen würde.
Was mich erwarten würde war in dem Moment klar, als ich das Glas ein erstes Mal unter der Nase geschwenkt habe. Ja, es hätte noch die theoretische Möglichkeit bestanden, am Gaumen noch enttäuscht zu werden, aber eigentlich nicht bei dem Wein eines solchen Weinguts. Und so war es auch nicht. Zunächst einmal war dieser Wein deutlich frischer und saftiger, als ich ihn erwartet habe. 2009 ist häufig sehr üppig und drall. Bei diesem hier kein Spur. Es erübrigen sich bei einem solchen Wein die üblichen Weinbeschreibungen. Der Wein ist noch blutjung, er gelangt jetzt in den Verkauf und die, die ihn sich kaufen um ihn wirklich zu genießen, werden ihn vielleicht in zehn Jahren öffnen. Man bezeichnet es als Kindermord, solche Weine jetzt zu trinken, aber was soll’s. Das hat bei diesem Wein nicht wirklich weh getan. Er ist schon jetzt, oder glücklicherweise gerade im Moment, offen, zugänglich, hat natürlich noch relativ viel Holz und sehr viel Frucht, saftige, süße Kirsche, um genau zu sein, was sich später noch weiter harmonisieren wird. Das Erstaunliche aber ist, dass hinter den Aromen – am Gaumen kommen noch würzige Noten hinzu und Schokolade – etwas großes Ganzes steht, eine Persönlichkeit, so was wie eine Buddha-Natur. Also etwas, was über den Dingen steht und vielleicht so etwas wie die weingewordene Harmonie darstellt. Die Aromen, die Textur des Weines, die Tannine, die Säure, die Gesamtstruktur also, auch die Tiefe und Länge – all das greift ineinander, als würde man die eigenen Hände zum Gebet falten. Das mag sich alles übertrieben oder gar esoterisch anhören, aber so meine ich das gar nicht. Es ist die Größe eines Weines. Und wenn ich den absurden Preis kurzzeitig vergesse, dann bin ich glücklich, ein halbes Glas von einem Meisterwerk probiert zu haben. Und es ist eins, das weiß ich jetzt.
P.S.: Die Mitbesitzer von Romanée-Conti, die de Villaines, machen in Bouzeron, gelegen in der Côte Chalonnaise, ganz normale Weine für’s Volk. Weine, die für die Bourgogne ein ungewöhnlich gutes Preis-Genuss-Verhältnis bieten. Besonders beeindruckt hat mich der Aligoté, eine Weißweinsorte des Burgunds, die meist neben dem großen Chardonnay verblasst und lediglich als Grundlage für Kir verwendet wird. Bei den Villaines entsteht daraus ein alterungsfähiger und erstaunlich komplexer Wein.