I KILL YOU!
Achmed, the dead Terrorist
Letzte Woche bekam ich eine Anfrage, ob ich einen Beitrag für das gedruckte Blatt schreiben möchte: 2000 Zeichen für den Wochenausklang, in dem verschiedene, wohlgesittete Autoren erklären, was sie zu gewaltsamen Ausschreitungen bringen würde. Was, lautete die Frage, müsste man mir antun, damit ich mich so benehme, wie ich das aus der Intifada kenne. Das ist natürlich eine nicht ganz einfache Frage an einen Menschen, dessen Höflichkeit und unbedingte Haltung seine grössten Vorzüge sind. Ich pflege mich in der Öffentlichkeit stets zu benehmen, und wenn ich doch einmal wirklich wütend bin, schreibe ich Emails und schicke sie nicht ab. All mein Hass und meine Mordlust steckt in ein paar 100 Drafts, und selbst hier sind die Gründe individuell. Eigentlich wollte ich ablehnen, bis mir dann doch etwas eingefallen ist. Und dann fuhr ich nach Italien, ins Erdbebengebiet, und habe vor lauter Trümmerbegutachtung schlichtweg – den Auftrag vergessen. Was die anderen schrieben, las ich dann im Cafe. Und wo mein Text stehen sollte, blieb ein weisser Fleck. Das ist mir sehr peinlich, und weil ich so gut erzogen bin, möchte ich das hier nachholen.
Denn im Gegensatz zu den meisten ist mein Bezug, wie mir dann eingefallen ist, gar nicht theoretischer Natur. Damit meine ich jetzt nicht meine eigenen Erfahrungen von politischer Gewalt, denn am Blutostern von Wackersdorf bin ich nur gerannt, um mich in Sicherheit zu bringen. Ich stand im Tal in der ersten Reihe, als wir in München die Nazis während der Wehrmachtsausstellung aufgehalten haben, über mich flogen Eier und Flaschen, aber dennoch dachte ich nicht daran, den Herrschaften entgegenzutreten und etwa dem kleinen, hageren Mann mit dem Hitlerbärtchen zu zeigen, was ich an körperlicher Abhärtung auf dem Rennrad erworben hatte. Trotzdem bin ich schreiend wie Osmin – erst geköpft, dann gehangen, dann gespiesst auf heisse Stangen – Leuten hinterher in der klaren Absicht, ihnen alles anzutun, was in meiner Macht und körperlichen Fülle liegt. Ich weiss genau, wie sich das anfühlt, einen Frevler zu jagen. Um hier mal etwas von den genug gebeutelten Muslimen weg und zur alteuropäischen Traditionslinie zu kommen: Jemand hat einem Bonifatius, der sich zu oft mit der Axt im Eichenhain herumtrieb, den Schädel gespalten? Kann ich verstehen.
Dazu muss ich etwas ausholen. Sehen Sie, ich lebe gern in meiner Heimatstadt, und weil die Stadt nicht schlecht zu mir ist, möchte ich ihr auch etwas zurückgeben. Ich bin für ein prächtiges Renaissancehaus verantwortlich, und kein Tag vergeht, da nicht Touristen kommen und es ablichten. Es ist eine Sehenswürdigkeit dieser Stadt. Und gerade jetzt, im Herbst, ist es besonders idyllisch, denn im Gegensatz zu den anderen Häusern der Stadt haben wir eine seit Jahrhunderten ungebrochene Tradition erhalten: Am Haus ist, wie früher üblich, echter Wein. Die Stöcke wurzeln hinunter bis in das Donauwasser, und die Triebe würden das Dach erreichen, wenn man sie nicht, Herbst für Herbst, zurückschnitte. Wenn ich, in Tweed und Cordhose, auf die Leiter steige, Trauben ernte und Vorbeikommenden, die fragen, auch Früchte reiche, bin ich fast ein kleiner, freudespendender Baccchus. Das Haus, der Wein, sie gehören seit 170 Jahren zu meiner Familie. Das ist kein Besitz. Das ist eine Einheit.
Natürlich sterben Weinstöcke irgendwann, nach 50 oder 80 Jahren, aber wir haben jedesmal neue Stöcke gepflanzt. Es gehört einfach zum Haus, man kann es sich anders gar nicht vorstellen. Natürlich bedeutet das auch Arbeit, und hin und wieder wird es auch der Stadtverwaltung etwas zu üppig: Dann erhalten wir Briefe, die uns nahelegen, den Wein doch etwas hochzubinden und zu beschneiden, was übrigens auch gut für die Reife der Trauben ist. Zu viele Äste und Blätter schaden den Früchten. Dass also jemand kommt und Äste wegmacht, gehört dazu. Wenn ich es in Auftrag gebe.
Es gibt allerdings auch Menschen, die sich dazu hinreissen lassen, ohne dass ich sie darum gebeten hätte. Besonders in den Nächten des Wochenendes erlebt man leider immer wieder, dass unreife Trauben heruntergerissen und bei begrenzten Gaumenfreuden – es ist Deutschland, vor Mitte September muss man hier nicht ernsten – die Früchte auf den Boden werfen. Am nächsten Morgen findet man sie dann, zertreten und glitschig, auf dem Boden. Vielleicht denken manche, das gehörte zum Leben in der Altstadt dazu, aber ich finde es bedauerlich. Und dann gibt es auch noch welche, die eben jene Äste mutwillig abbrechen, die später ohnehin dem Gärtner zum Opfer fallen würden.
Dieser Umstand könnte nicht ohne Bedeutung sein, wenn man, aus einer Laune heraus, wie junge Menschen nun mal so sind, so etwas tut – damit liesse sich eine Ausrede stricken. Man könnte auch sagen, dass es nur ein Ast ist und eine Pflanze, das sei ja noch nicht mal Sachbeschädigung. Und wer von meiner Vorliebe für Don Camillo und Peppone weiss, könnte auch die Geschichte nacherzählen, da Peppone und sein Trupp beinahe eine Vendetta auslösen, als sie einem politisch andersdenkenden Bauern die Weinstöcke fällen: Das sei lange her, und man ie hier doch zivilisierter als im Italien direkt nach dem 2. Weltkrieg. Steht man da also, hat den gebrochenen Ast in der Hand und davor ein wenig begeistert gegrölt, und sieht man, dass im Oberlicht über der 400 Jahre alten Tür aus schwerer Sumpfeiche das Ganglicht erscheint, deutet sich an, dass jemand die Treppen heruntergerannt kommt: Man könnte durchaus trotz der fraglos unzivilisierter Tätigkeit eine zivilisierte Form des Umgangs miteinander finden. Sitzen nicht in den aus Stein gemeisstelten Weinstöcken romanischer Portale alle Tiere friedlich beisammen, wäre das nicht ein Vorbild – auch das wäre noch etwas, das einem beim Warten auf den Hausherrn einfallen könnte.
Jedoch ist es so, dass ich in diesem Haus geboren wurde. Ich kenne hier jede Stufe an ihrem Klang. Ich brauche auch in stockfinsterer Nacht kein Licht, um in 20 Sekunden zwei Stockwerke nach unten zu sausen und über die Marmorfliessen zu rennen. Wenn ich dann unvermutet die schwere, 400 Jahre alte Tür aufreisse, bin ich gerade gut aufgewärmt, geladen und in Schwung. Dann gähnt ein schwarzes Loch den jungen Mann an, und was da unter den Weinstöcken herauskommt, hat auch gar kein Interesse an Austausch über Rechtsfragen, Don Camillo oder den Umstand, dass der Wein doch tatsächlich später beschnitten wird. Was da durch die Tür kommt, ist sagenhaft schlecht gelaunt und möchte primär nonverbal seine Missbilligung ausdrücken. „No bin I in ean neigrumplt”, würde dieses vibriernde Muskelpaket sagen, sollte sein Betragen dereinst doch einmal zu erklären sein. Aber nach dem ersten Zusammenprall ist dem Nächsten klar, dass jetzt ein Anruf bei den Behörden vielleicht nicht die allerbeste Option für die weitere Gestaltung des Abends ist, und auch eine Einladung zur Weinverkostung ausbleiben wird.
Die Frage der FAZ war also nicht ganz richtig gestellt: Es geht gar nicht darum, was mich dazu bringen würde, mich wie ein pakistanischer Hautabzieher zu benehmen. Es geht einfach darum, warum ich schon ein paar mal mitten in der Nacht einem anderen hinterher gerannt bin und ihm Wörter mitteilte, die ihren Ursprung in der Schleifmühl haben, einer Region der Altstadt, die sich historisch zur Umgebung verhielt wie Berlin zum Tegernsee. Ich weiss, wie sich das anfühlen muss in Kairo und Karatchi, die Luft ist mild und die Haut prickelt noch vom ersten Knall, der Hals ist dick und das Ziel der Jagd hoffentlich schnell… das sieht schon dramatisch aus, wenn so einer sich dann nach 150 Metern in ein an der Ecke stehendes Taxi wuchtet, beseelt vom Wunsch, nicht die den Worten folgenden Taten zu erdulden. Und ich würde lügen, sagte ich, ich würde mir beim Weg nach Hause die Frage stellen, ob dieses mein Verhalten den Regeln der besseren Kreise angemessen ist. Ein Weinstock ist wehrlos, er braucht einen bewaffneten Arm, um bestehen zu können. Und eine klare Artikulation der Missbilligung kann auch nicht schaden.
Ich bin kein Mörder. Ich mag Menschen. Ich bin freizügig und höflich. Wenn ich am Tag Wein ernte und verschenke, biete ich manchen auch an, den Wein mit ein wenig Ast und Blättern abzuschneiden, weil es schöner aussieht, und in Körben so wie auf den Stillleben wirkt. Dann stelle ich die Leiter wieder in den Hausgang und nehme das scharfe Rebmesser mit nach oben in die Küche. Ich bin der höflichste Mensch von der Welt, wenn man die Hand von meinem Weinstock lässt. Und wenn Sie Bilder von Ihrem Urlaub in meiner Heimat ins Internet stellen, und mein Haus wäre dabei, würde ich Ihnen durchaus in aller Freundschaft raten, die positiven Qualitäten meiner Weinstöcke gebührend herauszustellen; sollten Sie mir zudem auch vollumfänglich Recht in der Verkündigung geben, dass es keinen schöneren Weinstöcke als die meinigen gab, gibt und geben wird, bin ich mir vollkommen sicher, dass wir uns jederzeit gut verstehen werden.