Nicht jeder wäre mit den doch eher banalen Weinbergen zufrieden, die man rund um den bevorzugten Altersruhesitz in Meran findet. Christoph Raffelt sucht lieber Ausnahmeerscheinungen beim Wein im Burgund, wo sich einige Winzer viel Mühe geben, dem mittelmässigen Massenmarkt etwas entgegen zu setzen,
„Es gibt keine andere Weinbauregion der Welt, in der jedem Wein, der einen jubeln lässt, so viele andere gegenüber stehen, bei denen man sich an den Kopf langt und entsetzt nach der missbrauchten Geldbörse greift.”
Martin Kössler, Weinhändler
Wer von Paris aus die Bourgogne entdecken will, hat es leicht. Es geht immer die A6, die Autoroute du Soleil entlang, und ehe man sich versieht, ist man in Beaune, und somit im Zentrum des Gebietes angelangt. Ich selber komme aus einer anderen Richtung, ich komme aus Troyes, war in der Champagne, genauer, in Montgueux, einem etwas abseits gelegenen Ort, der erst seit den 60er Jahren in die Klassifikation der Champagne aufgenommen worden ist. Heute gehört dieses kleine Gebiet, das sich durch markante Erhebungen aus Kreide auszeichnet, zu den guten Quellen für exzellente Champagner auf noch bezahlbarem Niveau. Den Champagner der Familie Lassaigne, der so pur und markant erscheint und alles in sich trägt, was die Champagne so unvergleichlich macht, ist der Aperitif zu meiner Trüffelschweinsuche, die mich an einige Wegmarken der Bourgogne führt, die eher unbekannt sind aber interessanter als das Meiste, was sonst in der Bourgogne zu kaufen ist. Die im Folgenden genannten Winzer und Weine bilden den Kontrapunkt zum großen Romanée-Conti des letzten Artikels. Ein Wein, der zwar geradezu den perfekten Ausdruck dessen bieten kann, was in der Bourgogne möglich ist, der aber mit der Realität dieser Region wenig zu tun hat. Die Realität in der Bourgogne sieht, wenn man es als Weinliebhaber betrachtet, geradezu ernüchternd aus. Trotz des vorhandenen Potentials findet man in dieser Gegend erschreckend wenig gute Weine. Vom Preis-Leistungs-, oder sagen wir Preis-Genuss-Verhältnis mal ganz zu schweigen. Und doch ist der Nimbus dieses Gebietes so hoch, dass auch heute noch in großem Maße Schund zu völlig überhöhten Preisen verkauft werden kann.
Einzig das Chablis hat den Bogen zwischenzeitlich überspannt. 1945 gab es gerade einmal 500 Hektar im Chablis, 55 Jahre später war es das Zehnfache. Hatte die Bourgogne-Region vor fünfzig Jahren noch einen ähnlichen Status wie die nahe gelegene Champagne, hat man diesen mit Hilfe von Massenerträgen und dem exzessiven Einsatz von Herbiziden und Pestiziden gründlich ruiniert. Der Fall einer ganzen Region ist dem der meisten deutschen Weinregionen nicht unähnlich. Und ist der Ruf dahin, dauert es sehr lange, bis man ihn wieder hergestellt hat.
Zwei Winzer, die konträr zur allgemeinen Praxis des Chablis arbeiten, finden sich beide in einem 260 Seelendorf, südwestlich gelegen vom namensgebenden Hauptort Chablis. In Courgis, einem Ort, der in Standardwerken über die Bourgogne kaum auftaucht, kann man sich mit Thomas Pico in seiner Domaine Pattes Loup oder mit Alice und Olivier de Moor zusammensetzen und Weine probieren, die – zwar unterschiedlich interpretiert – bei denen man genau das in ihrem Chardonnay vorfindet, wofür das Chablis einst berühmt war. Die nördliche Lage des Gebietes führt normalerweise in Verbindung mit den der Champagne ähnlichen Kreide-Kalk-Böden zu ausgesprochen frischen, säurebetonten Weinen mit hoher Mineralität. Ist es bei den Supermarkt-Chablis meist eine beißende, hervorstechende Apfelsäure, findet sich sowohl beim Thomas Pico also auch bei Olivier und Alice de Moor eine zwar klare und doch feine Säure, die noch Platz lässt für eine ganze Palette an Aromen. Wie komplex und fordernd einfacher Chablis sein kann, hatte ich schon fast vergessen, bevor ich auf den Chablis der Domaine Pattes Loup und auf den L’Humeur de Temps von Alice und Olivier de Moor traf.
Etwas unterhalb des Chablis geht es diesmal für eine Viertelstunde auf die Urlaubsautobahn der Pariser und dann wieder runter, nach Vézelay. Der Ort, einst ein berühmtes Wallfahrtszentrum, liegt abseits der großen Anbaugebiete. Bis vor wenigen Jahren wurde hier vor allem Fassware von der örtlichen Genossenschaft produziert. Mittlerweile hat der Ort eine eigene AOC, gilt also als eigenes kleines Gebiet. Ein Umstand, der lediglich durch eine Domaine zustande kam und genutzt wird. Die Familie Montanet, die Inhaber der Domaine de la Cadette, baut hier sowohl weiße, als auch rote Weine aus. Neben der Besonderheit der Kleinstappellation kommt noch eine weitere hinzu: Die César, eine Rebsorte, die wohl mit den Römern aus dem Piemont nach Frankreich gekommen ist, und der Barbera hat sich in diesem winzigen Anbaugebiet erhalten. Die Rebstöcke der Montanets stehen in den Hügeln des Morvan, der einzigen größeren Erhebung, die zwischen dem Chablis und der Côte d‘Or zu finden ist. Die Bodenbeschaffenheit ist besonders, die Erhebung besteht in Teilen aus Granit, hinzu kommt noch etwas Kalkstein mit einer Menge fossiler Einschlüsse, sowie verschiedene Lagen Lehm. Solche Weine in der burgundischen Einheitsmelange zu finden, ist immer eine besondere Freude. Es sind nicht die feinen Weine, die man im besten Fall, und auch nur dann, an der Côte de Beaune bekommt, es sind tendenziell eher würzigere Weine, Weine mit einem sehr eigenen Charakter, der sich im Laufe eines Abends stark entwickelt. Es sind Weine mit sehr viel Aussagekraft und welche, die im hochpreisigen Burgundervergleich nicht viel kosten.
Einer, der das Burgund durch seine lange Beratungstätigkeit in und auswendig kennt, ist Sylvain Pataille. Er baut Chardonnay und Pinot in einem immer kleiner werdenden, von der Stadt Dijon langsam okkupierten Gebiet an. Im weitgehend unbekannten Marsannay beweist er, wie auch Pico oder de Moor im Chablis, dass mit Hilfe alter Reben und einer bestimmten Vorgehensweise im Weinberg und im Keller mindestens besondere, wenn nicht sogar große Weine auch dort entstehen können, wo sonst keine großen Namen herkommen. Die großen Weine Patailles, die nur in homöophatischen Dosen verkauft werden, haben dann allerdings auch ihren Preis (der allerdings immer noch um ein vielfaches unter dem der bekannteren großen Burgunder liegt). Die Standardweine von ihm jedoch haben es schon in sich, brauchen aber, wie eigentlich jeder guter Burgunder, egal ob rot oder weiß, Zeit.
Eines der dynamischsten Gebiete im Burgund und entsprechend erwähnenswert ist das Macônnais und entsprechend liegen hier gleich drei Weingüter. Die Gebrüder Bret vermarkten ihren biologisch zertifizierten Betrieb als Bret Brothers und zeigen, welches Potential die Böden des Macôn für den Chardonnay besitzen. Sie sind, wenn man die Kritiken und Verkostungen der Revue du Vin de France liest allerdings kaum noch ein Geheimtipp. Diesem Geheimtipp kommen die Weine von Céline et Laurent Tripoz schon deutlich näher. Auf kargen, mit fossilen Sedimenten angereicherten Kalkstein entstehen in der Gemarkung Pouilly-Loché Weine, die vor allem durch ihre Salzigkeit und Ausgeglichenheit beeindrucken. Auch hier gilt: Es sind schon auf preislichem Einstiegniveau Charakterköpfe, wie man sie im Burgund einfach viel zu selten findet. Diese 150 Kilomter lange Kalksteinschneise, die sich von Dijon bis nach Lyon zieht, bleibt fast immer unter ihren Möglichkeiten, so das es immer wiederfrustrierend ist, selbst teuerste Burgunder zu probieren. Die Tripoz beweisen auf ihren wenigen Hektar, dass Anderes möglich ist.
Auch wenn ich in Deutschland bisher keinen Händler finden konnte, der die Weine von Alexandre Jouveaux vertreibt, will ich ihn trotzdem vorstellen, denn wer wirklich interessiert ist, kann sich die guten Tropfen auch aus Belgien kommen lassen. Alexandre Jouveaux hat das klassische Burgund längst hinter sich gelassen. Er zeigt es gleich auf zwei Arten. Erstens im ungewöhnlichen Design, was auch schon bei Pico oder de Moor auffällt und mit einem klassischen Burgund-Etikett nicht mehr viel zu tun hat, viel mehr aber noch in der Wahl der Qualitätsstufe des Weins. Alle seine Weine sind einfache Vin de France Weine, die unterste Stufe im Weingesetz. Er tut dies nach eigener Aussage, weil er zu faul ist, den ganzen Papierkram zu erledigen, die für höhere Qualitätsstufen von Nöten wäre. Ich vermute, es ist eher ein Affront gegen die klassischen Richtlinien, kann er doch beim Vin de France so ziemlich machen was er will.
Jouveaux ist definitiv ein Querkopf. Er war einst einer der führenden Modefotografen in Paris, hat Chanel fotografiert und andere und hat das alles irgendwann hingeworfen, um eine Lehre als Weinbauer zu machen und sich ein paar Hektar zu kaufen. Er tat dies in einer Ecke, die damals bezahlbar war, weil sie keinen Ruf hat, im Macônnais. Wie die anderen, vorher genannten auch, tat er diametral das Gegenteil von dem, was fast alle anderen Winzer im Burgund tun. Er hat die Erträge gesenkt, er verzichtet auf Herbizide und Pestizide, er liest seine Trauben von Hand, er setzt Tees und andere natürliche Präparate ein, um die Pflanzen zu schützen. Im Keller vergärt alles spontan, er gibt ein winzige Dosis Schwefel zur Stabilisierung hinzu und das war es. Keine Filtration, keine Schönung etc. Wenn ich mir das Ergebnis der Arbeit all dieser angesprochenen Winzer anschaue, weiß ich, bzw. schmecke ich, dass das der richtige Weg ist. Selten habe ich gerade in den Chardonnay mehr Charakter geschmeckt. Das gilt vor allem für die Weine des Herrn Jouveaux, der gerade einmal 6.000 Flaschen im Jahr produziert und auf keiner Weinmesse oder sonst irgendwo auftaucht. Sie bleiben unterhalb des Radars der allgemeinen Aufmerksamkeit und dürften doch zum Interessantesten gehören, was ich im Burgund bisher kennengelernt habe. Dabei entsprechen sein Weine genauso wenig dem klassischen Burgund-Cliché wie die anderen angesprochenen Weine. was allein schon daran liegt, dass sie nicht vor Holz strotzen. Mit Holz kann man viel kaschieren, hier wird nichts kaschiert. Entsprechend wirkt die hohe Säure, die den Weinen ein langes Leben verspricht, in jungen Jahren wie eine offene Wunde. Die Weine brauchen also Zeit, doch wenn man sie ihnen gibt, belohnen sie einen mit einer enormen Frische und Mineralität, sie bleiben immer auf des Messers Schneide und wirken doch harmonisch und strotzen vor Persönlichkeit. So machen Chardonnay und Pinot dann wieder Spaß, und es wird deutlich, welches Potential dieses Gebiet eigentlich hat.
Schlussendlich habe ich hier eher Trouvaillen gefunden statt Trüffel, doch etwas anderes hatte ich eh nicht im Sinn, denn Trüffel sucht man besser im Piemont, oder, wenn man in Frankreich sucht, zu Fuße des Mont Ventoux. Und wer im Burgund nach etwas anderem Ausschau hält als nach Wein, sollte sich mit dem dortigen Käse befassen; denn es kann sein, dass man durch Orte fährt, die Langres heißen, oder Chaource oder Epoisses.