Vom Luxuselend der protzigsten Praline der Welt zu einem ernsten Thema im Weinglas: Christoph Raffelt bereist die Pfalz und zeigt, welche Auswirkungen die Klimakatastrophe auf den Weinbau hat:
»Das daaf de nett, de alde Wutz« Helmut Kohl
Es mag verwundern, dass ich meine Weinreise heute in Grünstadt-Asselheim beginne, aber genau dort bin ich über eine ungewöhnliche Flasche Deutschen Rotweins gestolpert. Grünstadt-Asselheim ist jetzt nicht gerade der Nabel der Weinwelt und entsprechend wenig bekannt. Der Ort liegt in der Pfalz. Wer die Pfalz mit Wein verbindet, denkt dann meist an Rieslinge und Spät- oder Weißburgunder, Ortsnamen wie Gimmeldingen, Wachenheim, Forst, Deidesheim oder beispielsweise Birkweiler kommen einem vielleicht in den Sinn oder traditionelle Weingüter wie Dr. Bürklin-Wolf, Bassermann-Jordan oder Reichsrat von Buhl. Dass in dieser beschaulichen, durchaus bodenständigen Ecke parallel zum traditionellen Immergrün fast nebenbei ein Versuchslabor für Orchideengewächse entstanden ist, dürfte noch weitgehend unbekannt sein.
Genau deshalb jedoch lohnt es sich, einen Abstecher nach Grünstadt-Asselheim zu machen, um dort im Familienweingut der Metzgers vorbeizuschauen. Hier hat der junge Uli Metzger frischen Wind in das Weinangebot gebracht und sich neben den üblichen Sorten auch an einige weniger typische herangewagt. Uli Metzger hat im Zuge der Erneuerung das ganze Flaschendesign in die Moderne geholt und seinen Namen zum Programm gemacht. Ich bin dabei durchaus froh, dass er seine drei Weinlinien Flanke, Pastorenstück und Filet nicht in bereits verarbeitetem, abgehangenem Zustand auf’s Etikett gebracht hat, sondern jene Stücke am noch unberührten Rind verdeutlicht.
Eines seiner Filet-Stücke ist der Tempranillo und ich frage mich unwillkürlich: Was zum Teufel macht die spanische Paraderebsorte in einem Pfälzer Wingert? Reicht es nicht, dass halb Spanien mit dieser Sorte bestockt ist? Sollten wir uns hier nicht auf jene Rebsorten konzentrieren, die hier hingehören, die hier verwurzelt sind? Gibt es Bedarf an solchen Weinen? Sicher nicht. Man könnte behaupten, sie seinen so überflüssig wie ein Kropf. Und wenn dieser Tempranillo jetzt genauso schmecken würde wie jener, mit dem blauen Etikett, den ich zufällig vor einigen Tagen entdeckt habe und der, man muss es zugeben, ausgezeichnet zum Metzgerschen Filetstück passt, dann würde ich sagen, stimmt. Aber so ist es nicht. Der Pfälzer Tempranillo, der es mit dem Jahrgang 2008 auf Anhieb in die letzte Runde des deutschen Rotweinpreises geschafft hat, unterscheidet sich durchaus von seinen spanischen Kollegen, gleichzeitig aber bleibt er sortentypisch und eigenwillig und hat Substanz.
Der Tempranillo entsteht im Versuchsanbau, denn zunächst einmal sind solche Sorten nicht offiziell zugelassen. Sie erhalten ein Visum auf Zeit und nach ein paar Jahren mag es eine Zulassung geben, oder eben nicht. Dies wird davon anhängen, wie die entsprechenden Weine sich entwickeln – auch unter Berücksichtigung der allgemeinen Erderwärmung, die sich direkt auf den Weinbau auswirkt. Für viele Winzer ist es ein Fluch, denn die Alkoholgrade steigen und in wärmeren Jahren ist es an der Terrassenmosel oder am Mittelrhein kaum noch möglich, trockene Rieslinge zu machen. Andere dagegen experimentieren mit Sorten, die es hier früher nicht gab. Es war ihnen zu kalt. Tempranillo ist so ein Beispiel, und auch der Pinotage ist so eine Sorte.
Dabei ist diese Kreuzung aus Pinot und Cinsault noch ungewöhnlicher als der Tempranillo vom Uli Metzger. Südafrikas Nationalrebe Pinotage in der Pfalz – auch das braucht eigentlich kein Mensch. Obwohl sich Stefan Bietighöfer & Stefan Dorst darüber im Prinzip einig sind, haben sie es trotzdem gemacht. Aus Interesse. Und, weil sie es konnten. Herausgekommen ist ein Wein, der ein wenig in der Schwebe liegt, irgendwo zwischen Stellenbosch und Neustadt. Was ich mag: Er hat nicht diese häufig penetranten Würz-Röstaromen, die mir so viel südafrikanische Pinotages verleiden und die den Wein so schwer machen, dass ich ihn dann kaum trinken mag. Bietighöfers Pinotage hat bei aller Kraft, die dieser Sorte wohl eigen ist, gleichzeitig eine angenehm duftige, fruchtige, fast florale Note, wirkt leicht pfeffrig und erinnert mich fast an Pinot Noir. Ist der Wein des ersten Jahrgangs 2010 noch ein wenig grün und unstrukturiert, merkt man beim 2011er schon deutlich mehr Substanz – und Potential.
Potential ist da gerade ein gutes Stichwort. Wenn man sich in Ruhe umschaut in der Pfalz, findet man nämlich noch weitere solch ungewöhnlicher Gewächse – und zusätzlich einige Weingüter, die man nie auf dem Plan hatte. Zu Unrecht, wie sich dann herausstellt, denn hier entstehen gute Weine, abseits der ausgetretenen Pfade. Dazu gehören beispielsweise das Weingut Brenneisen-Koch in Ellerstadt und Bergdolt-Reiff & Nett in Duttweiler. Erstere erzeugen einen reinsortigen, eigentlich im Piemont beheimateten Nebbiolo. Bei letzterem hat sich der Tiroler Lagrein eingefunden. Diese Ur-Südtiroler Rebsorte erfährt auch in Italien momentan eine Renaissance, glücklicherweise, wie ich finde, denn die relativ gerbstoffarme Sorte hat sehr viel eigenen Charakter, ist auch in diesem Fall ganz sortentypisch pflaumig-kirschig, es finden sich im Geschmack Gewürze wie Lorbeer oder Nelke, dazu Schokolade und Kaffee. Einzig der meist hohe Alkohol trübt manchmal etwas meine Stimmung. Nicht aber bei diesem Exemplar aus der Pfalz. Beim Lagrein “Im Kolbenstein” hält sich das Volumen glücklicherweise angenehm in Grenzen, zudem passt er mit seinem Duft nach Gewürzen und Orangen ausgezeichnet in die Jahreszeit.
Eine Cuvée ganz eigener Art wählte das ungleich bekanntere Weingut Philip Kuhn für seinen Luitmar. Für diesen Kraftprotz, der 20 Monate in kleinen Holzfässern lag, wurde neben Cabernet Sauvignon und den österreichischen Sorten Blaufränkisch und St. Laurent auch die italienische Sangiovese verarbeitet. Dieser Wein ist ein ziemliches Monument und eine Cuvée von einer Intensität und Präzision, wie man sie in Deutschland selten findet. Dafür ist der aktuelle Jahrgang allerdings auch noch ziemlich verschlossen und benötigt noch mindestens so viel Zeit wie der Syrah des Nachbarweinguts im Ort.
Auch wenn Syrah kein ganz neues Thema mehr ist und die Sorte im Versuchsanbau bereit seit Beginn der 90er angebaut wird, ist sie doch ein schönes Beispiel, um zu zeigen, wie gut sich eine fremde Sorte etablieren kann. Auch wenn es nicht einfach ist. Hanspeter Ziereisen, Syrah-Winzer der ersten Stunde im Markgräfler Land, meint, wenn er gewusst hätte, das Syrah noch zickiger sei als Pinot Noir, hätte er ihn nicht gepflanzt.
Das Weingut Knipser, eines der bedeutenden Güter der Pfalz, vinifiziert zwei Weine aus dieser von der Nordrhône stammenden Sorte. Schon der Syrah trocken 2009 ist eine Offenbarung. Es ist ein Wein, der mitten aus der Pfalz stammt und doch so gar nicht deutsch wirkt – und ich meine das durchaus positiv. Er wirkt nicht deutsch, weil ihm die vordergründige Fruchtigkeit, die ich hier so oft nicht mag, völlig abgeht. Andererseits hat der Syrah überhaupt nichts mit den Übersee-Kollegen namens Shiraz zu tun. Während dort häufig eine gewisse Marmeladigkeit auf Grund von Überreife und fehlender Säure vorherrscht, ist hier direkt klar, dass es sich um einen Syrah aus kühlem Gebiet handelt, der am ehesten mit den Gewächsen der Nordrhône vergleichbar ist. Die deutliche Note von weißem Pfeffer, von feinen Würz- und Lederaromen, unterlegt von feinen Johannisbeernoten, vor allem aber die Mineralität und Balance, machen ihn zu einem ganz ausgezeichneten Wein, wie ich ihn in Deutschland noch selten getrunken habe – solche Weine sind für den hiesigen Weinbau eine große Bereicherung.