Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Mit gewollter Patina

Kein Kachelofen, keine Ehe: Wie man sich auf dem Land den harten Regeln von Zeit und Alterung anpasst, lernt man sicher nicht in den diversen Landzeitschriften.

Während ich faul wie ein Sack gottgesegneter Kartoffeln am Tegernsee sitze und mich so wenig wie möglich wegbewege, wohnt Isabella Hilger in einen kleinen, romantischen Dorf bei Rosenheim, wo die Geranien an den Fenstern blühen. Und fährt nach München in die Arbeit, weshalb sie beide Welten kennt und hier im Königlich Bella’schen Ofengericht darüber schreibt:

Jetzt muss ich, damit Sie nicht glauben, ich würde Märchen erzählen, eine Anekdote vorausschicken. Von der B., die, g’scheid wie sie war, eine Naturwissenschaft studiert hatte und eigentlich eine ordentliche Karriere in der Forschung wollte. Leider ist ihr kurz nach dem Diplom, in so einer leicht unsicheren Phase, der S. begegnet und der Rest ist Geschichte.

Es passierte was halt so passiert und am Ende bauten die B. und der frisch angetraute, baldige Kindsvater S. ein Haus in schöner Hanglage. In der Rohbauphase dann, die B. war schon sehr schwanger, meinte der S. er würde gern noch ein paar Details ändern, und die B. dachte sich nichts dabei. Bis sie gemerkt hat, dass er aus dem Kachelofen zuerst einen gemauerten Ofen und am Ende gar keinen Ofen machen wollte. So schnell können frische Ehen am Ende sein. Woraufhin die B. erstmals mit ihrem Vater, einem Jäger, gedroht hat. Also zusätzlich zum Rauswurf des S. Der mochte sich wegen des neuen Jobs im Maximilianeum viel einbilden, aber ein Kachelofen ist ein Kachelofen und mit einem Mannsbild, der das nicht verstand, wollte die B. eigentlich nicht verheiratet sein. Der S. war dann am Wochenende öfter bei den Eltern der B.. Das war zu seinem Besten. Es ist ein sehr hübscher Kachelofen geworden. Und daneben steht das alte Küchenbuffet von der B. ihrer Großtante. Grad extra.

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Jetzt mögen sie sagen, dass ein Kachelofen doch arg bieder ist ,und sie es verstehen, wenn junge Leute sowas nicht mehr einbauen wollen. Außerdem, der Feinstaub, die Ökologie, der Holzverbrauch. Jetzt frage ich Sie: Haben sie schonmal Dampfnudeln gegessen? Große, weiche, hervorragende Dampfnudeln mit einer feinen Kruste unten? Vermutlich kennen sie nur eine sehr standardisierte Variante davon, und da können sie nicht einmal was dafür. Weil, die besten Dampfnudeln überhaupt hat meine Großmutter gemacht. Auf einem Holzofen. Sie wissen schon, die alten Öfen auf denen gekocht wurde. In der Früh hat eine arme Seele eingeschürt, und denn Rest des Tages war die Küche der wärmste und wohlriechendste Ort im ganzen Haus.

Sie wissen nicht, wie…? Oh, das tut mir leid. Zugegeben, der Ofen auf dem meine Großmutter, die huldvolle Donna Dora, in fingerknöchelhoher Milch ihre Dampfnudeln ansetzte, war einer der letzten seiner Art. Bis Ende der Neunziger gab es diesen Ofen in der Hofküche und zwei Schritte daneben war die Durchreiche in die Stubn und unter der Durchreiche eine Schublade, in der das Jod war. Weil, Jod kam immer auf alles drauf. Wenn ich heute manchmal in dieser mittlerweile renovierten Küche stehe, vermisse ich den Geruch.

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Jedenfalls habe ich momentan, privat und beruflich arg viel mit Möbeln und Stilen und Begriffen wie Shabby Chic oder dem trendigen Landhausstil zu tun. Und ich habe mit IKEA bzw. Menschen zu tun, die sich erstmals mit Alternativen zu IKEA auseinandersetzen, weil sie die erste richtige eigene Wohnung einrichten und sich Gedanken machen, ob das Mac-Book und die Espressomaschine vielleicht auch eine Unterlage aus echtem Holz oder wenigstens Glas verdient haben. Außer in München natürlich. In München ziehen junge Menschen nicht vor dem dritten Job in eigene, selbstbezahle Wohnungen. Und auf dem Land bauen die Gleichaltrigen, die seit 10 Jahren bei der Sparkasse sind, ein Haus. Es geht also um “gewollte Gebrauchsspuren” auf Möbeln und Intarsien und Schränke mit Rosen drauf oder doch liebe die ans barocke angelehnte Variante mit Schnörkeln?

So stand ich vor kurzem umzingelt von Beistelltischen, hörte mir etwas über den aparten Look von gealtertem Teakholz an und war zunehmend gelangweilt. Dann sagte der Expertenmensch, dass Metalltische ja nicht so schön blieben und man sich das gut überlegen sollte. Ich biss mir auf die Zunge, und dachte an meinen Jugendstil-Beistelltisch aus Messing. Den hatte ich mit 16 auf einem verwandten Dachboden entdeckt und mir einverleibt. Er hat Dellen und Risse in der Abstellfläche und war durchgehend Rotbraun vor lauter Oxydation. Ich habe ihn gesäubert und poliert und jetzt ist die Verwandtschaft etwas zerknirscht darüber, dass man mir den Tisch einfach so überlies.

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Ähnlich hab ich es mit zwei Mitgifttruhen und einem Schaukelstuhl gemacht, und auf das Kuchenbuffet der Großcousine A. habe ich durchaus ein Auge. All diese Dinge haben echte Gebrauchsspuren und Patina. Geschichte. In dem Raum mit den neuen Beistelltischen war auch ein Stapel dieser fröhlichen Marketinghefterl, die das Land irgendwo im Titel tragen und voller Apfelkuchenrezepte sind. Dort wird oft und viel der gemütliche Stil auf dem Land angepriesen. Wo man jahreszeitlich dekoriert und Marmelade selbst macht. Vorausgesetzt man hat Zeit dazu. Aber die Wunschklientel dieser Magazine hat nichts als Zeit und Geld. Um sich beispielsweise im Chalet-Chic mit Deko-Schlitten einzurichten. Tatsächlich wirken diese Zusammenstellung in Ruhpolding genauso fremdartig wie in Düsseldorf, aber in Düsseldorf ist man buzzy und hat keine Zeit sondern maximal Personal für Dekorationsorgien.

Das ist nämlich die Sache mit dem Land. Die Zeit. Und die Ruhe, aber die kommt meistens automatisch mit der Zeit. Dabei idealisieren viele diese teils gewollte, teils unausweichliche Langsamkeit genauso, wie sie sie fürchten. Was tut man nur damit? Während der Apfelbaum wächst und die Möbel mit der Zeit echte Gebrauchsspuren bekommen, was tut der Mensch da, wenn er nicht Holz für den Ofen hakt oder auf Beistelltischen etwas dekoriert? Ohne Multiplex und Festival und in schwierigen Gegenden ohne Highspeed-DSL – ist das der Ursprung dieser sagenumwobenen Hobbys?

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Zeit haben ist manchmal sehr anstrengend. Und zäh, weil man plötzlich Raum zum Nachdenken hat und der Mensch begreift, wie viel das Land aus den Filmen mit Hansi Hinterseher und Schöner Wohnen mit der Realität zu tun hat.

Man begreift, dass der Landhausstil keine Stirichtung ist, weil das Land keine Gegend und keine Epoche, sondern ein Zustand ist. Künstlich gealterte Möbel und gewollte Gebrauchsspuren sind weder Patina noch Geschichte. Ohne Geschichten kein Mythos, ohne Mythos keine Sehnsucht und ohne Sehnsucht keine fröhlichen Marktinghefterl voller Brot- und Marmeladenrezepte. Und wenn Leute sagen, sie ziehen aufs Land, wegen der Ruhe – dann meinen sie damit die Zeit, die sie zum sein zurück haben wollen. Nur zum sein und denken und manchmal begreifen. Damit etwas entsteht.

Wie Großmütter, die ihre Dampfnudeln und Auszongne über etliche Versuche perfektionieren. Und eine Kaffeetafel auf der frische Schmoiznudeln serviert werden. Die geben Energie zum Lästern. Darüber, dass die B. (wieder schwanger) sich ein Katzerl zugelegt hat. Wie egal ihr das ist, dass der S. eine Allergie hat, weil er auch so tut als wüßte sie nicht, dass seine Assistentin nicht nur 23 ist sondern auch noch Kulturpädagogikoderso studiert hat. Da sitze ich dann daneben, nehme mir noch eine Schmoiznudel und denke mir meinen Teil. Oder auch nicht.

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Manchmal tue ich einfach gar nichts, ich bin einfach nur. Aber hier auf dem Land ist das okay. Es gibt einen Unterschied zwischen arbeiten und nicht-arbeiten und wer gearbeitet hat, unterliegt keinerlei Verpflichtung die Nicht-Arbeitszeit mit irgendwelchen Tätitgkeiten vollzupacken. Hier ist Zeit vergehen lassen eine tolerierte bis anerkannte Tätigkeit.