Du bist mit ihm im Theater gewesen, ich hab Dir nur Fix und Foxi vorgelesen
Die Ärzte, Zu spät
Ich bin den Piraten, jener deutschen Internetpartei des permanenten Twitterstreits, recht dankbar, dass sich dort ein Johannes Ponader nicht nur im Vorstand hält, sondern es auch schafft, gute Leute zu vergraulen. Das macht mir die innere Begründung leicht, diese Partei auf gar keinen Fall zu wählen und damit vielleicht auch noch so einer Figur zu Amt, Würden und Einfluss auf die Politik zu verhelfen. Ich kann das glatt und sauber begründen: Solche Leute bitte nicht, zum Besten für das Land. Ohne Ponader jedoch würde ich diese Partei auch nicht wählen, allerdings aus einem nicht gerade altruistischen Grund: Sie suchen nämlich jetzt einen Antidiskriminierungsbeauftragten. Der soll gegen Antisemitismus, Sexismus, Homo- und Xenophobie und jede andere Form von Benachteiligung vorgehen. Mit dabei ist auch der Klassismus, also die Diskriminierung aufgrund von Klassenzugehörigkeit.
Das ist in etwa so, als würde man einem Hammer vorwerfen, dass man mit ihm Nägel in die Wand schlagen kann. Keine andere Art des Fehlverhaltens in der langen Piratenliste für schlechtes Benehmen ist gerechtfertigt, aber Klassen wären keine Klassen, wenn sie sich nicht erkennbar voneinander abgrenzen würden. Und das geht nun mal nicht dadurch, dass man alle anderen auch begeistert begrüsst und ihre Mateflaschen und Dönerpapiere auf dem Tisch sehen möchte. Ohne unterschiedliche Auffassungen, Verhaltensweisen, Normen und Besitz gibt es keine Klassen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass ein Mann wegen seines Geschlecht bessere Texte als eine Frau schreibt, aber jede Menge Gründe, warum bei uns eine legitime Geschichte so wie gerade eben bei einem guten Freund lautet: Naja, 1952 hat der Opa halt diese Aktien gekauft, das war damals viel Geld, ein Monatslohn eines normalen Arbeiters, aber das war der Opa ja nicht, jedenfalls, damals hat er seiner Frau noch keinen Zweitwagen gekauft, der kam erst ein Jahr später, als sie auch den Führerschein hatte, sondern Aktien und die haben wir jetzt im Altpapier wieder gefunden. Mei, das kann man schon mal vergessen, beim Erben kommt ja so viel zusammen.
Mein Freud musste diese Geschichte mit einem Koffer voller Papiere der alten deutschen Wirtschaft am Bankschalter erzählen, namentlich einer Angestellten, die auch mit 65, wenn sie ganz sparsam ist, nie so viel wie dieses Altpapier besitzen wird, und auch, wenn mein Freund sich mehr Mühe gegeben hätte, wäre eine Erklärung notwendig gewesen. Auf den Papieren steht ein Datum, über 60 Jahre sind sie alt, und ein Betrag, der damals schon enorm hoch war. Die Herkunft hat etwas mit alten Schachtlen mit Bildern und Briefen zu tun, aber zum Glück wirft man dort nichts weg. Wie man es dreht und wendet, bei uns ist es eine Anekdote. Bei den anderen ist es vielleicht ein Augenblick der Erkenntnis, dass keine Karriere je so etwas vermögen wird, das dem dicken Trottel da am Schalter, der ohnehin schon alles hat, jetzt auch noch zugefallen ist. Nicht durch Arbeit oder Leistung, sondern weil er ein paar alte Photos vom Uropa mit seinem privaten Doppeldecker suchte.
Es ist überhaupt nicht abwertend gemeint. Aber es kann als benachteiligend aufgefasst werden, und da sind wir beim zweiten fragwürdigen Aspekt beim Versuch, die Existenz von unterschiedlichen Klassen per se in eine Reihe mit nicht akzeptablen Verhaltensweisen zu stellen. Denn die moderne Betroffenheits- und Mimosenforschung geht unter dem Eindruck des Genderismus aus den skandinavischen Staaten davon aus, dass Diskriminierung nicht das ist, was der Täter als solche empfindet, sondern das, was bem Opfer so aufgefasst wird. Und nicht das Opfer muss erklären, warum es hier gequält wird; der Täter muss erkennen, was er falsch gemacht hat. Tut er das nicht, schallt ihm entgegen, dass wir in einer sehr schlechten Welt leben, in der Misshandlungen so normal sind, dass es den Tätern gar nicht mehr auffällt. Mit so einer Sicht der Dinge fällt es dann natürlich leicht, ein angenehmes Grundeinkommen ohne Arbeit zu fordern, Institute zur Erforschung von sozialer Ungleichheit, Förderprogramme, billige Mieten und Sanierungsverbote, und jede Menge Gleichstellungsstellen für jede Art von Ungleichheit. Am besten sollte man dem Reichtumsbericht der Regierung noch eine Postskriptionsliste anhängen, in der dann stünde: Besonders mies hat sich auch 2012 der Tegernseer Sozialstörblogger Don Alphonso benommen.
Weil es vermutlich wirklich so ist. Natürlich könnte ich mir mehr Mühe geben und mich ganz klein machen und Tag für Tag erzählen, dass es auch bei uns viel Trübsal und Leiden gibt – wissen Sie überhaupt, wie traurig eine Katze schaut, wenn ihr ehemals riesiger Garten eine unbegehbare Schneehölle ist, das kann sich so eine im warmen Block wohnende Katze gar nicht vorstellen – aber beim Klassismus ist das sinnlos, denn schon lange vor Erfindung des Worts war das Urteil klar: Die einen haben. Und die anderen haben nicht. Man kann hier nicht, wie bei der Xenophobie, sagen, dass alle Menschen gleich sind, oder wie beim Hass auf Menschen mit neuen sexuellen Orientierungen, dass es doch egal ist, wer mit wem schläft. Bei den Piraten äussert sich der Kampf gegen Klassismus in der Ablehnung einer „Geldelite“ und „Zeitelite“, sie sammeln für ärmere sozial benachteiligte Mitglieder, damit die auch auf die Parteitage und dort ihnen genehme Mitglieder wählen können. Sie haben nicht ganz unrecht: es gibt diese Eliten, und es ist eine phantastische Sache, dazu zu gehören.
Das kann man als totalen Klassismus auffassen und verurteilen, allein deshalb, weil natürlich kein anderer Zugang hat. Trotzdem sehe ich für den neuen Zweig der Mimosenforschung ein kleines Problem: Es ist nicht sonderlich angenehm, sich des Vorwurfs zu befleissigen. Jemanden als Rassisten und Sexisten zu bezeichnen, ist nicht nur leicht, es zeigt auch, dass der Empörte ein Menschenfreund ist, wenn er einen deshalb vom Erdboden tilgen möchte. Jeder kann den Vorwurf erheben, er sagt nur das Beste über seinen Schöpfer aus, und lässt ansonsten keine Schlüsse zu. Aber beim Klassismus muss man in die Details gehen, etwa so: Du denkst, Deine Barockportraits wären besser als meine Wandtattoos. Du glaubst, Du könntest auf mich herabschauen, weil ich keinen venezianischen, sondern nur einen russischen Kronleuchter habe (russischer Kronleuchter nannte man in meiner Berliner Zeit eine nackte Glühbirne an der Decke). Du zahlst jeden Samstag so viel auf dem Wochenmarkt, dass ich mir davon jeden Tag 5 Döner mit Cola kaufen könnte.
Mit dem Klassismusvorwurf dreht man nicht nur dem Anderen das Messer der Moral in den Eingeweiden der Überheblichkeit herum, man stochert damit auch in den eigenen Unzulänglichkeiten der Existenz. Und weil der andere natürlich auch etwas Besseres zu tun hat, als einem jeden Tag zu sagen, wie peinlich er Wandtattoos findet, in seiner eigenen Klasse lieber über Caravaggio redet und gar nicht versteht, wie er anderen damit weh tut, muss man ihm das auch sagen, die eigene Klasse verteidigen und herausstellen. Feministinnen antworten auf Sexismus mit pauschalen Vorwürfen gegen heterosexuelle, weisse Männer, eine Antirassistin möchte einen Polizeipräsidenten anzünden, das alles kann man sagen und es wirkt noch irgendwie aufmüpfig, radikal und moralisch bedeutsam. Aber wenn mir entgegenschallt, das alles wäre eine Frechheit und jemand wie der besagte Herr Ponader könnte auch von 1000 Euro im Monat in Berlin gut leben: Da klappt irgendetwas nicht mit der moralischen Überhöhung, da kommt kein Prestige, da stimmt das Branding nicht, das ist auch nicht lässig oder radikal, da wird sich die Mimosenforschung noch etwas anstrengen müssen, und wir können ja schauen, ob sie den Klassismusbekämpfer sexier getalten kann, bevor die Mietpreissteigerung in Berlin aus diesen 1000 Euro den Weg in die Obdachlosigkeit freimacht.
Ups. Das war jetzt, glaub ich, übler Klassismus. Darf ich Ihnen noch ein Törtchen anbieten?
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