Bring out your silver tankard, likewise you kissing spear
We’ll come no more a-wassailing until another year
Manche nennen es eine Vermögenssteuer, die Sparern auf Zypern abgenommen werden sollte. Andere heben den Umstand hervor, dass sie dafür Anteile der maroden Banken bekämen, was eher einer Art Zwangsanleihe entspricht. Die Verantwortlichen in Brüssel und Berlin sprechen von gerechtem Lastenausgleich, Betroffenen selbst natürlich von Raub und Betrug und die Parteien in Zypern davon, dass sie so einem Gesetz nicht zustimmen. Ein Währungsschnitt ist es nicht, die Währung bleibt ja, aber ein Vermögensschnitt durchaus. Was es aber ganz sicher ist: Ein unfassbares Debakel. Denn egal wie es ausgeht: Das Vertrauen in die EU und die vielen Zusagen, das Geld sei sicher, dürfte massiv gelitten haben. Man sieht ja in Zypern, wie schnell das geht: Am Freitag noch freundliche Worte, und am Sonntag ist das Geld weg, und die Banken bleiben geschlossen. Und sobald sie wieder öffnen… nun ja, wir werden es erleben. Vielleicht argentinische Zustände, weniger Geld und gleichzeitig limitierte Abhebungen? So sieht es also aus, wenn die Eurokrise – stand es nicht so in der Zeitung? – vorbei ist.
So ein Staatsniedergang hat natürlich wie immer gravierende Folgen, auch bei mir. Mit Dubai überschwemmten die Silberkannen meine Geschirrschränke, mit Zypern habe ich meine Wände gefüllt: Es ist nämlich so, dass der internationale Kunstmarkt immer einen Moment aussetzt., wenn mal wieder ein Staat am Rande des Abgrunds ist. Als der Staat Dubai die Schulden seiner exzessiven Bauwirtschaft nicht mehr tragen konnte, habe ich eine weitere Silberkanne gebraucht und es halt so gemacht, wie ich es immer mache: Für die drei interessanten Kannen ein unverschämtes Niedrigangebot abgegeben, in der Hoffnung, eventuell mit viel Glück eine zu bekommen. Dann ging ich Radfahren, vier Stunden die Welt vergessend, und derweil liefen die Nachrichtendrähte heiß: Dubai am Rande des Abgrunds! Milliarden weg! Banken implodieren! Wir weden alle sterben! Wer in solchen Momenten gerade im Netz ist, denkt vermutlich nicht mehr an die Abgabe für Gebote auf Silberkannen jenseits des Materialwertes. Als ich dann wieder daheim war, besass ich drei Kannen und ein Problem so wie das in Dubai: Kein Platz mehr. Und ich kann doch keine Palmeninsel nur für die Silberkannen bauen.
Diesen Sonntag war es genauso; da hatte jemand eine halbnackte, französische Schäferin aus der Zeit um 1750 angeboten. Rein rational betrachtet könnte man jetzt sagen: Diese Brüste sind formschön und prall seit 260 Jahren, und sie werden es auch noch sein, wenn sich zeigt, dass das Depot nicht formschön und der Anlageberater anderweitig prall ist – und kaufen. Gerade in einer Woche, in der überdeutlich gezeigt wird, was Geld ist: Ein auf Papier gedrucktes oder als Datensatz gespeichertes politisches Versprechen. Eine Zusage, an die jeder glaubt, solange alle daran glauben, und wenn das nicht mehr so ist, sind halt die Banken zu und auf dem Kontoauszug steht eine erheblich kleinere Zahl. Wer aber denkt, dass diese junge Dame mit den schönen Brüsten nun um so mehr Verehrer anzog, die lieber hier ihr Geld angelegt sehen möchten, denn in politische Versprechen, der sah sich getäuscht. Irgendwas ist in den Menschen drin, die sogar in solchen offensichtlichen Momenten des Verrats denken: Oh mein Gott, sie streichen mir mein Geld zusammen – ich darf jetzt nichts mehr verschwenden, sondern muss sparen; idealerweise also das Geld auf dem Konto lassen. Nun ja, und jetzt sitze ich hier und frage mich: Kann ich neben meine züchtige, junge Biedermeierdame auch noch so eine halbnackte Schäferin hängen? Oder brauche ich als Ausgleich daneben noch eine Nackte und steht eine zum Verkauf, wenn Italiens Banken stürzen?
Ansonsten aber kann ich mich – und mit mir alle Standesgenossen – zurücklehnen und sagen: Wir hatten recht. Seit jeher und etlichen Währungsreformen ist man bei uns der Auffassung, dass einem der Staat in periodischen Abständen mal viel und mal alles nimmt, und das Dasein zwischen Finanzamt und Krise immer nur die Frage stellt, wieviel heute schon weggenommen wird, damit morgen noch etwas zum Ausplündern bleibt. Unvergessen die Erbschaftssteuer: Eingeführt 1913 mit dem Ziel, die Aufstellung neuer Truppen zu finanzieren, blieb uns das Übel nicht nur in Freidenszeiten erhalten, sondern wurde auch noch stetig verschärft, bis nur noch der Oma ihr Haus steuerfrei blieb – was auch schon wieder gelogen ist, wenn man bedenkt, was Omas Villa in St. Quirin heute kostet. Aber wir haben es ja schon immer gewusst, und was Zypern heute droht, ist nichts als die blanke, knappe Wahrheit hinter Versprechen wie Solidaritätszuschlag und dafür dann blühende Landschaften. De nemma uns ois.
Nun kann man natürlich viel lamentieren und auch auf gewisse Entwicklumgen hinweisen, wie etwa das wirtschaftliche Ungleichgewicht in Europa, das auch in Zukunft für Spannungen im Gefüge und marode Banken sorgen wird. Und, wenn die Krise auch weiterhin so vorbei ist, wie es angeblich der Fall ist, kann man auch fragen, wie Europa und die europäische Währung das durchhalten sollen. Die einzig praktikable Antwort: Zypern halt. Irgendwie muss man Leistung und Probleme von Volkswirtschaften wieder ausgleichen, und die Verarmung oder Entreicherung weiter Teile Europas würde das Gleichgewicht schon wieder herstellen – zumal dann sicher auch die deutsche Wirtschaft ein wenig gebremst werden würde. Aber das sind letztlich nur Nullsummenspiele für den einheitlichen Euroraum, bei dem man sich generell fragen müsste, ob man wirklich noch haben möchte. Der Herr Grillo in Italien lässt grüssen. Zumal, wenn Euro auch immer 10% weniger Euro bedeuten kann, je nach Laune von Politikern und Sachverständigen, die man gar nicht gewählt hat.
Und hier kann ich nur aus meiner beschränkten Sicht sagen, dass fraglos das Umdenken kommt. Auf den Reflex „jetzt um Gottes Willen nur nichts ausgeben“ folgt nämlich schnell die Überlegung, wie lange der Parmesan noch halten mag, auf wie viele Jahre der Wein reicht, und wie viele Semmelknödel und Nudeln im Gefrierfach sind, und wenn sich dort genug findet, setzt automatisch wieder die Flucht in Sachwerte ein. Mit dem Ergebnis, dass Gold immer noch teuer ist, auch wenn sich die Aktien wieder dem Rekordniveau annähern. Oder mit steigenden Immobilienpreisen ausgerechnet in London, wo die Krise weiter ihr Unwesen treibt: Dortselbst kann man heute auch keine günstigen Silberkannen mehr ersteigern. Die Zeitspanne der Gelegenheiten ist kurz, und dann flüchtet alles, als ob die Ankunft von Herrn Schäuble in Brüssel die Zombieapokalypse wäre, in alles, was auch nur halbwegs wie eine Alternative aussieht.
Und das muss gar nicht mal schlecht sein. Ich denke da nicht nur an den unangenehmen Makler, den ich vor zwei Monaten unaufgefordert an der Leitung mit dem Versprechen hatte, mir viel, viel Geld für meine Absurd kleine Münchner Wohnung zu verschaffen, und der sich jetzt vermutlich ärgert, nicht noch höhere Versprechungen abgegeben zu haben – ab sofort muss man eigentlich das europäische Bankenschnittrisiko nämlich in die Immobilien einrechnen. Ich denke da vor allem an ein Ende dieser wirklich elenden und lustfeindlichen Geldanhäufungsdoktrin, das diesem Land und seiner Oberschicht etwas mehr Gelassenheit verleihen könnte. Denn irgendwoher werden Staat und Banken es auch in Zukunft nehmen. Und zu diesem Zweck hat man jetzt schon mal ausprobiert, wie es ist, einem ganzen Volk die Zielscheibe auf den Rücken zu pinseln. So einen Berliner Geringverdiener kann man praktisch nicht mehr ausnehmen, nur ins Elend stürzen, aber das hat hohe Folgekosten. Aber wenn Schäuble klug ist und dorthin geht, wo das Geld ist, sollte man das Geld vielleicht nicht dort lassen. Weil für uns niemand demonstrierend auf die Strasse gehen und Ministerien blockieren wird, und wir sind definitiv zu wenige und vielfach auch zu alt und obendrein, ich mein, wer zum Teufel fährt in dieser Jahreszeit schon nach Berlin?
Es wird keinen Haircut auf schönes Parkett geben, oder auf Teppiche, oder Kronleuchter, oder mehr Bücher oder bessere Plätze in der Oper. Richtig ärgerlich ist ein Zusammenstreichen des Vermögens nur, wenn alles auf der Bank, und nichts daheim ist. Es werden sicher auch mal wieder bessere Zeiten für Sparen und Anlegen kommen, aber momentan sieht mir das wie vorbeugende Beihilfe zur Zwangsmithaftung aus. Die nehmen uns alles, was sie kriegen können. Aber die Bilder lassen sie hängen, und von Silber verstehen sie nichts.
HINWEIS:
Wie immer gibt es angesichts der bestehenden Probleme bei der Administration und der Darstellung der Debatte auch ein spezielles Blog für die Kommentare, in dem Freizuschalten und Debattieren mir erheblich mehr Freude bereitet.