Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Liebesgrüsse aus Washington und der Wanderdüne

Schön, aber leider nur erfunden: Das Christkind, das Schweizer Bankgeheimnis und die Privatsphäre sind nette Stammeslegenden der Westens. Wer in der Realität überleben will, sollte schleunigst lernen, mit dem Generalverdacht allmächtiger Strukturen umzugehen.

Es führt kein and´rer Weg nach Küssnacht
Friedrich Schiller, Wilhelm Tell

Viel hört man ja nicht mehr über all jene, die mit Hilfe Schweizer Daten-CDs als Steuersünder überführt wurden. Man hört vielleicht noch von den mehr als schattigen Umständen des Falles Hoeness, und es ist den Schweizern wichtig, dass die Welt davon Notiz nimmt, wenn sie einen Datenverkäufer einsperrt. Aber die restlichen Fälle werden ohne öffentliches Aufsehen abgewickelt. Das hat auch seinen guten Grund, denn als Steuersünder zur Rechenschaft gezogen zu werden, ist insgesamt weitaus weniger unangenehm, als mit dem gleichen Vergehen auch noch öffentlich vor aller Augen belastet zu werden. Mein Eindruck ist, dass die alten Zeiten, da Ertappte mehr als gewieft und vom Pech verfolgt denn als schädlich erachtet wurden, sich dem Ende zuneigen. Und das liegt sicher auch an der ungleichen Verteilung der Vermögen in Deutschland und in der Welt, denn der Apotheker, der diesem Hobby in der Schweiz vor 50 Jahren frönte, ist schwer zu vergleichen mit dem Konglomerat aus angeblichen Luxemburger Stiftungen, fragwürdigen CIA-Ermittlungen, Cum Ex Geschäften und problematischen Vermögensquellen wie Waffen- und Politikgeschäfte, bei denen es mutmasslich um mehr als nur die paar hundert Euro geht, über die man als Bundespräsident in Richtung der Ermittlungen stolpert.

Kurz, was früher eine überschaubare Nebentätigkeit in der Schweiz war, die sogar vor 10 Jahren noch halboffensiv in deutschen Luxuszeitschriften beworben wurde, ist heute Teil eines paranoiden Systems, dem man allgemein gern entgehen möchte. Die Schweizer Banken ersuchen, geplagt vom amerikanischen Staat und vom hohen Frankenkurs, ihre Kunden, das Geld doch bitte abzuholen und in Euro umzutauschen, wo sie dann nach der Wahl von Eurokrise und über europäische Umwege noch einmal extra besteuert werden. Die Art der diskreten Verfolgung in Deutschland lockt Einsichtige mit gar nicht so schlechter Behandlung, und wenn wir demnächst auf die ein oder andere Art beim militärischen Eingriff vulgo Krieg in Syrien zu helfen, darf sich die Regierung nicht nur über Ablenkung beim NSA-Skandal freuen, sondern auch über gut gefüllte Kassen bei der Extrabelastung, die nun mal solche weltpolitischen Exkursionen der Mächtigen mit sich bringen. Und dann braucht man wieder neue Waffen und die müssen bezahlt werden und dafür gibt es Provisionen und dann eben in Singapur statt der nahen Schweiz.

Somit könnte man das Thema eigentlich als kulturgeschichtlich beendet betrachten. Es war halt wie so oft, ein Land hat eine Vorzugsbehandlung versprochen, die es gewährte, solange es gut gelaufen ist. Alle profitierten davon und die Heimatländer der Geldbringenden waren davon nicht sonderlich gestört. Dann haben es alle etwas übertrieben, die Summen wurden grösser und die zugrunde liegenden Geschäfte anrüchiger, es kamen Bankenkrisen und neue Ermittlungsmethoden dazu, die Freiräume wurden kleiner, und am Ende sind es die Banken selbst, die tun, was für sie selbst und weniger für die Kunden am Besten ist: Garantien gibt es nur, wenn man sich im Zweifelsfall davor drücken kann. Das ist das Funktionsprinzip des Euro und dass man sich in der Schweiz anpasst, geht um so leichter, als die Betroffenen, die als Verlierer des Systems jetzt Selbstanzeige machen oder irgendwie versuchen, ihr Geld zu retten, schlecht laut protestieren können.

Dass der Druck vergleichsweise hoch ist, habe ich selbst übrigens vor ein paar Wochen gemerkt. Generell hatte ich bei der Schweiz ja immer ein gutes Gefühl; vor ein paar Jahren etwa habe ich in St. Gallen eine ganz wundervolle Biedermeierkommode gefunden, die definitiv teurer aussah, als sie gewesen ist. Die habe ich dann, als ich einmal einen Kombi hatte, abgeholt. Vorne war ich und hinten dieses Monstrum von Kirschholz, das die Zöllner an der Grenze anschrie: Teuer! Wertvoll! Ich hatte nicht einmal die Rechnung dabei, um belegen zu können, dass der Preis unter dem Limit war, von dem ich gar nicht wusste, dass es existierte. Man hat mich einfach so durchgewunken. Im Jahr davor habe ich mal probiert, was passiert, wenn man bei Chiasso in die Schweiz einreist, und auf dem Beifahrersitz im offenen Cabrio einen Louis-Vuitton-Koffer liegen hat: Wo geht es hier zur nächsten UBS-Filiale, fragte ich den Zöllner, der mich schon durchgewunken hatte, und der antwortete, er spräche nur Italienisch oder Französisch. So war das früher. Das ist die Welt der Apotheker, die mit ihren Wanderdünen in die technicolorbunten Berge der 70er Jahre fahren.

Dieses Jahr war ich auf Besuch in St. Gallen, und vor mir wurde einer schwer durchsucht. Ob ich etwas zu verzollen hätte, fragte man mich, fern aller Durchwinkerei, und als ich sagte, ich hätte aus Italien ein Kilo Grana Padano 36 Mesi als Geschenk mitgebracht – man muss das verstehen, es gibt ja den Witz, man werde an der Schweizer Grenze brutalstmöglich eher wegen einem geschmuggelten Käse denn für eine Million hessisches Schwarzgeld verhaftet – musste ich tatsächlich rechts ran, damit man das überprüfen konnte. Und auf dem Rückweg wartete direkt hinter dem alten, aufgegebenen deutschen Zollhaus am Bodensee ein neuer, überhaupt nicht aufgegebener BMW in jener grünweissen Farbgebung, die schon früher nicht dem Wanderdünenapotheker gefallen hätte. Die Zeiten haben sich wirklich geändert. Eine ganze Welt stirbt aus, was, das muss man ja auch ehrlich sagen, eigentlich ein Segen für die Gesellschaft und in besonderer Weise für die deutschen Steuerberater ist.

Vielleicht also würde von jenen beschwingten Tagen zwischen Bodensee und Lugano wenig bleiben, was man jenseits der Rolex dereinst den Kindern geben könnte, da sich alle Sicherheiten als Trug erwiesen haben – gäbe es da nicht noch einen anderen Glauben, der mindestens so kaputt wie das Bankgeheimnis ist: Der Glaube, im freien Westen zu leben, der demokratisch und moralisch überlegen ist. Wie wir nun ja wissen, haben die Geheimdienste alles in ihrer angeeigneten Macht Stehende getan, um jede Kontrolle zu umgehen und sich zum faktischen Herrscher über Informationen aufzuschwingen. Mag sein, dass Vermögen heute nur noch arg beschnitten vererbt werden können, aber ein paar Lektionen aus der Wanderdüne können den Nachfahren immer noch helfen. Dass Informationen bislang nur im eigenen Kopf wirklich sicher sind. Dass es ein Fehler ist, den gleichen Weg zweimal zu befahren und Durchreise weniger auffällt. Anrufe macht man, wenn überhaupt nötig, am besten mit vorbezahlten, anonymen SIM-Karten und Telefonen aus dem befreundeten Ausland – wie man heute durch das Abschnorcheln der Metadaten weiss, war das keine schlechte Idee. Man bedenke, dass man keinem zu sehr vertrauen darf und etwas, das man nicht sagt, auch nicht weitergesagt werden kann. Dass man den Weg mit den geringsten Kontrollmöglichkeiten nehmen sollte. Der Generalverdacht, unter dem wir dank der Geheimdienstregimes in Amerika und England stehen, hat früher eine ganze Generation von Vermögenden auf ihren Reisen geprägt, weil sie damals schon unter Generalverdacht standen. Und das Wichtigste ist: So viel wie möglich persönlich machen. Unter vier Augen.

Und so bewegen sich heute die Mitarbeiter des Guardian fort, so würde ich persönlich auf Facebook verzichten, so kann man sich Datensticks mit vorinstalliertem TOR kaufen, denn generell wird es ohnehin schwer, etwas ohne Kontrolle zu tun. Überall an den Autobahnen bauen sie Überwachungskameras ein, Flugdaten werden gemeldet, und wenn man mit der Scheckkarte ein Bahnticket kauft, dann wissen so einige, was man wann plant. Autovermietung, Buchungen, Hotelreservierungen, Reiserouten, was immer früher nur mit Menschen vor Ort und viel Aufwand kontrollierbar war, und was den Staat eigentlich auch nichts angeht, das alles wird jetzt in Echtzeit verarbeitet und ins Netz gepustet. Es ist gar nicht mehr so leicht, weite Strecken zu reisen, ohne eine Vielzahl von digitalen Spuren zu hinterlassen, sei es, weil wir aufgenommen werden, sei es, weil wir selbst mit den Geräten und Verkehrsmitteln senden. Die Wanderdüne schluckte bar bezahltes Benzin, Kameras waren selten und die Aufzeichnung teuer, Peilsender im Auto gab es nicht.

Das hochentwickelte, weitgehend mechanische Zeitalter hatte schon auch seine Vorteile, allein, es kommt nicht mehr zurück, und Privatsphäre ist nichts mehr, was der Staat garantiert, egal was in der Verfassung steht. Verwerflich mag der Apotheker gehandelt haben, wenn er das Geld in die Schweiz brachte, aber nicht verwerflich ist es, von ihm zu lernen, dass man sich um seine Daten selbst kümmern sollte, und sie besser nicht anderen überlässt, die sich früher oder später doch anderen Mächtigen beugen. Google, Banken, Telekommunikationsuternehmen, sie alle rücken die Daten raus, wenn man es ihnen befiehlt oder bezahlt, und es liegt auch in der Natur der Sache, dass man das erst merkt, wenn es negative Konsequenzen hat.

Testweise – der Nutzwert dieses Blogs ist mir neben dem Apfelstrudel heilig! – werde ich deshalb in den nächsten Tagen datensparsam nach Meran reisen. Über Landstrasse und wenig befahrene Alpenpässe, auf einem nicht registrierten Rad, mit Bargeld und einer alten Tasche von Billingham auf dem Gepäckträger. Mit einer Kamera ohne GPS-Modul und Bildern, deren EXIF-Dateien gelöscht sind. Ich werde naturgemäss noch langsamer als die Wanderdüne sein, aber am Ende werde ich – und die Leserschaft – wissen, ob es heute noch möglich ist, als mittelalter Mann fern der Überwachung Grenzen und Pässe zu überwinden. Wer mich verfolgen will, wird mir schon in einem grossen, schwarzen Auto hinterherfahren müssen, langsam bergauf und sehr schnell bergab. Oder hier im Blog lesen, oder auf Twitter dem Hashtag #transalp13 folgen. Wir gehen Datenhinterziehen. Solange das noch möglich ist.

HINWEIS:

Es führt zwar kein anderer Weg nach Küssnacht, aber zum Kommentieren gibt es durchaus andere Wege, wie etwa das Kommentarblog, das momentan auch nicht unter einem üblen Spamaufkommen leidet.