Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Winseln für die Weltrevolution

Säubern wie im Kommunismus: Wenn Progressiven die Freunde wegen Familie, Beruf und Lebensqualität abhanden kommen, verstehen sie keinen Spass. Und auch nichts vom echten Leben.

Roter Wedding, grüsst Euch, Genossen, haltet die Fäuste bereit
Ernst Busch

Weil es bequemer ist, Dummchen!

Das kann man natürlich nicht sagen, denn “Dummchen” ist einerseits für manche sexistisch und andererseits für andere “ableistisch”, sprich, es macht sich über kognitive Defizite lustig. Aber dennoch ist es immer die richtige Antwort, wenn man mit der Frage konfrontiert wird, wieso man nichts tut, was wichtig wäre, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen: In runtergekommenen Städten mit Fördermitteln die Kunst befreundeter Kunststudenten zeigen, zum Beispiel, oder mehr für die Teilhabe anderer zu tun, oder nicht so konservativ zu sein und mehr im Leben zu wagen, in der Beziehung oder im Beruf. Sowas liest man immer wieder mal, stets auf’s Neue fühlen sich Progressive berufen, solche Forderungen zu stellen, als wäre es die spanische Inquisition. Ich persönlich finde das etwas unhöflich, schliesslich verlange ich von denen nicht, dass sie sich an meinen Tisch am Tegernsee setzen und den Umgang mit der bislang unbekannten Gabel erlernen, und nur ganz selten, dass sie endlich einer ordentlichen Beschäftigung nachgehen und nicht mehr ihre Ideologie künstlerisch-interventionistisch vermitteln sollen.

Nehmen wir nur mal das Dauerthema “Mütter” und “Väter”. Da wird ja allenthalben beklagt, dass, sobald die Kinder kommen, junge Familien wieder in klassische Modelle der Rolleneinteilung zurückfallen: Sie kümmert sich um die Erziehung und er baut das Nest mittels einer gut bezahlten Arbeit. Das stimmt natürlich: Das echte Erwerbsleben hat nur wenig mit Protestmatetrinken am Oranienplatz zu tun, und mit dem Schreiben von Besinnungsaufsätzen über die strukturelle Benachteiligung in unserer Gesellschaft. Familienleben, das habe ich testweise selbst erleben dürfen, erdet, nimmt einen in Anspruch und öffnet die Augen für andere Notwendigkeiten, die einem ausgewiesenen Hallodri wie mir sonst gar nicht in den Sinn kommen. Zum Beispiel ist ein stets gut gefülltes Konto für die meisten Väter, die ich kenne, schlagartig von höchster Wichtigkeit, weshalb Deadlines eingehalten werden, und Abrechnungen mit einem Mal nichts mehr sind, was man jahrelang vor sich her schiebt. So eine Kontokarte, die der Automat schluckt, wird mit einem unzufriedenen Balg nämlich keine lustige Anekdote, sondern ein enormes Drama. Mit einem vollen Konto, Dummchen, ist das Leben einfach bequemer.

Und natürlich mag es manchen ein Verlust erscheinen, wenn sie sich nicht mehr dem Sieg über das Patriarchat oder der Überwindung von Privateigentum widmen können. Denn dieser Konflikt war angenehm. Niemand erwartet ernsthaft, dass der Sieg morgen gewonnen wird – und so sind all die lustigen Projekte, Aktionen und Gruppierungen nicht dazu verdammt, in Erfolgskriterien zu denken. Es ist ein weiter Weg zur Weltrevolution, da kann man schon mal einen Nachmittag im Görli was zum Rauchen kaufen. Oder man vier Wochen Pilze in der Spüle züchten. Und nebenbei die Internationale Solidarität mit ausländischer Kulinarik vom Drehspiess fördern, und über Polyamorie reden. Wer aber für die Familiengründung Unterstützung von den Eltern will – gemeinhin in Form einer eigenen Immobilie ohne Risiko der Entmietung –muss anständig kochen, aufräumen und die Sache mit den diversen Geschlechtspartnern in den Griff bekommen. Einem Dummchen mag das nicht bequem erscheinen, aber es ist eindeutig bequemer als der Besuch vom Gerichtsvollzieher. Und wie man in so einem Fall vor Frau und Kind dasteht. Das treibt die Väter.

Übrigens, es ist auch nicht gerade unbequem, in einem offenen Mercedes zu sitzen, mit den Freundinnen zu telefonieren und zu warten, bis das Kind aus der Schule kommt. 23 Liter auf 100 Kilometer sind innerstädtisch zwar nicht wirklich das, was man als “nachhaltig” bezeichnen kann, aber einen besseren Katalysator gibt es nicht und keine von denen, die das unter meinem Haus, gegenüber der Schule tun, ist bislang über diese Ungerechtigkeit in Tränen zerflossen. Technisch gesehen ist es hier auch nicht möglich, ein Kind auf einem alten, grünen Klapprad über das Kopfsteinpflaster zu radeln, so wie das vielleicht noch ganz lustig war, als in Berlin noch halbwegs studiert wurde. Bedenken mag es geben, aber sie sind mit dem Gedanken “Hauptsache das Kind hat es gut und eine entspannte, glückliche Mutter” leicht zu beseitigen. Kind bedingt arbeitenden Mann bedingt Karriere bedingt Konto bedingt eine freiberufliche Alibinebentätigkeit der Mutter und so kann man sich auch 3,5 Liter Hubraum steuerlich leisten.

Gut, vielleicht ist es auch nur der Kombi, den der Mann als Werksangehöriger hier bekommt. Und vielleicht ist es auch nicht immer bequem, sondern einfach nur bequemer als die Alternativen. Eine Bekannte zum Beispiel hat hier vor ein paar Jahren sehr unvorsichtigerweise einmal gesagt, dass ihre Tochter, sollte sie das Abitur nicht schaffen, dann halt auf die Realschule geht. Das würde sie heute sicher nicht wiederholen, das war leichtsinnig, denn natürlich schnappte jeder erst nach Luft und dann setzten auch Liberale und Freunde des sozialen Ausgleichs alles daran, diese lässige Haltung zu ändern. Man kann es sich mit 20 in Berlin nicht leisten, das Refugeecamp und dessen Hygiene zu kritisieren, und mit 35 kann man es nicht hinnehmen, wenn die Kita nicht täglich 5 Liter Desinfektionsmittel verbraucht. Dafür sorgt – die armen Flüchtlinge! die armen Kinder! – schon das Umfeld. Bequemerweise passt man sich halt an.

Das betrifft auch die Ernährung. Ich kann Ihnen hier viel über meine privaten Standards erzählen, und wer mich besucht, bekommt nur vegetarisches Essen. Ich koche nicht mit Fleisch und ich kaufe keinen Industriemüll. Ausser Negerküsse Schokoküsse, wenn Kinder das wollen. Und Salami aus Bioproduktion von einem Hof, den ich kenne, und vorgepackte Samali, wenn das Kind quengelt, weil die ihm besser schmeckt. Will sagen: Natürlich ist es möglich, meine rigide und von Aufklärung geprägte Haltung durchzusetzen, aber um einen hohen Preis. Es ist schon bei Erwachsenen nicht immer ganz einfach, mit Kindern wird es noch schwieriger. Regenwälder, Bio, Fair Trade, das ist alles wichtig. Aber die Vermittlung ist auch ein Langzeitprojekt, erkläre ich dann immer gerne radikalen Veganern, wenn ich erklären muss, wieso ich für Gäste südtiroler Speck im Kühlschrank habe. Es ist einfach angenehmer, wenn man nicht Extremist ist.

Verfassungsschützer kennen solche Verschiebungen auch von der schwindenden autonomen Szene, aus der sich alte Kämpfer zurückziehen – sofern sie noch leben. Wenn die aus ihrer Jugend von ihren Streichen erzählen, klingt das natürlich lustig, weisst Du noch, damals im Kessel und der Sammelstelle. Ich weiss aus eigenem Erlebnis, dass weder Tränengas noch Einkesselung im Bayern der 80er und 90er Jahre lustig waren, der “Spass” der Anekdoten ist bei den meisten eher Verarbeitung eines Traumas. Es gibt welche, die wirklich diese Extreme wollen und dauerhaft leben – die gehen daran kaputt. Die sind kein schöner Anblick, die führen einem vor die Augen, wo man endet, wenn man solche Ideologien, Interventionen, antibürgerlichen Lebensmodelle wirklich durchzieht. Das geht, solange man nur für sich allein verantwortlich ist und seine Bedürfnisse innerhalb einer bestimmten Gruppe befriedigt. Das geht bis ins hohe Alter, wenn nur der richtige Extremismus mit den richtigen Mitteln zusammenkommt – meine eindeutig antisoziale Peergroup am Tegernsee ist so ein Beispiel einer völlig abgehobenen und den Gemeinschaftssinn ablehnenden Ideologie, die nichts mit der Realität dieses Landes zu tun hat.

Aber in einer Welt, in der man sich von Projekt zu Projekt, von Abrechnung zur nächsten Billigmiete durchlavieren muss, mit hohem Risiko und ohne Planungshorizont jenseits des nächsten Einkaufs beim Supermarkt, zahlt der Aktivist und nicht die Gesellschaft den Preis. In den letzten Tagen war viel vom Lager der Flüchtlinge auf dem Oranienplatz in Berlin die Rede, das die meisten der Besetzer gegen den Widerstand linker “Unterstützer” jetzt räumten: Diese Flüchtlinge haben nach anderthalb Jahren im Lager, eineinhalb Jahren Lebenszeit als Propagandavehikel der Antifa verstanden, dass es so für sie individuell nicht weiter geht. Die Linken hätten sie gern dort behalten, wegen der Flüchtlingspolitik, wegen der Ausbeutung der Dritten Welt und anderen Anliegen, die vielleicht gar nicht so falsch sind – aber die meisten Flüchtlinge wollten diesen Protest nicht mehr leben.

Die anderthalb Jahre davor hat die Antifa gefordert, wir sollten alle diese Flüchtlinge anschauen und von ihnen lernen, wie es auf der Welt zugeht. Jetzt steht die Antifa alleine da, weigert sich, die neue Lektion der Flüchtlinge zu verstehen und spricht von Verrat. Wie all die Progressiven, denen die Umfelder abhanden kommen. Sie hätten gern dieses angenehme, selbst bestätigende Umfeld wieder zurück, weil dann alles wieder stimmt und der Feminismus, der Veganismus, die Polyamorie, die Interventionen, die linke Politik und die Randale am 1. Mai weiter gehen können. Und keine Sekunde wird es ihnen so scheinen, als würden sie mit ihren Ideologien auch nur ein extra flauschiges Umfeld für Dummchen fordern, das sie nicht zwingt, einmal die Augen zu öffnen und zu überlegen, warum diese Ideologien für die meisten irgendwann unattraktiv und unbequem werden.

HINWEIS:

Falls es Ihnen nicht zu unbequem ist – es gibt zu diesem Beitrag auch einen Eintrag im Kommentarblog.