Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Die Dosis macht das Nationalismusgift

Wer seine Heimat liebt, verwüstet sie nicht: Wenn in wenigen Wochen Horden deutscher Fussballfans in die Städte einfallen, könnten sie sich ein Beispiel an den vorbildlichen Südtirolern nehmen.

O blühe und leuchte Du Blume – Ein Zeichen der Treue Du bist!
Und künde, dass Glaube und Heimat das Höchste für uns ist.

Ich fahre gerade mit dem gläsernen Aufzug in den dritten Stock des Hotels, da geht es los: Trommeln, Blechbläser, Marschmusik, Radadamm, Radadamm, Radaradadadadamm. Der Aufzug hebt mich nach oben, der Blick weitet sich, und unter mir sehe ich den Pausenhof der Schule hinter dem Hotel. Da spielen sie und marschieren, aber sie singen es nicht, das Lied, das da so martialisch erklingt. Aber egal, ich kenne den Text.

Ein Kranz von Bergen stolz und hoch erhoben
umringt die Heimat mein Tiroler Land.
Die Gipfel strahlen hell in ihrem Glanze
und leuchten weit von steiler Felsenwand.

Die Tür des Aufzugs geht auf, und ich starre auf ein stilistisch passendes Geweih irgendeines in irgendwelchen Bergen niedergeschossenen Tieres an der Wand gegenüber.

Ich weiss nicht, wieso ich das Lied instinktiv erkenne, und es ist mir auch ein wenig peinlich. Ich bin hier nur ab und zu im Urlaub und kein Tiroler, vor allem kein Südtiroler, wo „Dem Land Tirol die Treue“ diesen hohen Stellenwert einer heimlichen Nationalhymne hat. Geht es doch in der zweiten Strophe darum, dass das Land nach dem ersten Weltkrieg auseinander gerissen wurde, und dann gibt es noch viele weitere apokryphe Strophen, in denen die Schützenherrlichkeit beschrieben wird, die Bereitschaft, das Leben für das Land zu opfern und in Treue zusammenzustehen. Das Lied ist noch nicht einmal besonders alt, und trotzdem in seinen illegitimen Hinzufügungen recht blutrünstig, was man allenfalls als Reaktion entschuldigen kann, wenn man einmal den Text der italienischen Nationalhymne mit ihrem Pathos der gewaltsamen, österreichermordenden Wiedervereinigung liest. Jedenfalls: Schrecklich.

Nun zieht jedoch der Südtiroler nicht jeden Tag mit der Schulkapelle, neben sich ein paar marschiernde, gebückte Herren älteren Semesters, durch die Städte und teilt singend mit, was man so alles mit einer Ladung Pulver, Salz und gehackten Sauborsten (in Bayern „Wildererschrot“ genannt) so alles anfangen kann, wenn es um die Errichtung eines geeinigten Tirols geht. Und nicht jeder Jungtiroler hat alle CDS der Band Frei.Wild., deren verschrobene Heimatromantik sich für die hier Geborenen doch etwas vielschichtiger darstellt, weshalb sie gern im fernen München studieren. Und auch die Zeiten, da Südtirol noch ein Tummelplatz für rechtsextreme Gewalttäter aus halb Europa war, sind lang vorbei. Radadamm, Radadamm, marschieren sie über den Schulhof der autonomen und äusserst wohlhabenden Region, und nur deshalb fällt mir in diesem Moment das natonale Brimborium wieder ein, diese besondere Form der Heimatverbundenheit, die man hier ganz normal lebt und bei der man sich wenig denkt. Oder auch gar nichts. Man kann es von aussen schlecht sagen.

Zum Beispiel die Geranien. Wenn man in Südtirol wohnt und es stehen Geranien am Fenster, dann giesst man sie eben. Das habe ich auch schon gemacht und – ich mein, ich war noch ein Kind – mir überhaupt nichts dabei gedacht. Der Hof, auf dem ich war, gehörte einer kreuzkatholischen Familie, die sich nach dem Stahlpakt von 1939 zwischen Hitler und Mussolini dazu entschieden hatte, in ihrem abgelegenen Tal, hoch über Brixen, im uralten Gemäuer ihres Hofes zu bleiben. Das waren sogenannte Dableiber, die auf den Pfarrer gehört hatten, und sich lieber dem Diktat der Italienisierung unterworfen hätten, als ihr Land zu verlassen. Die Geranie am Fenster – die brennende Lieb – war damals ein ideologisch aufgeladenes und viel besungenes Symbol, und blieb es auch: Weil nach dem Krieg natürlich keiner mehr für die Nazis optiert haben wollte und aus den geranienliebenden Dableibern die Südtiroler Volkspartei entstand, die hier noch lupenrein demokratischer herrschte, als die CSU in Bayern. Und diese brennende Lieb also habe ich gegossen und finde sie immer noch sehr schön.

Ich habe in Südtirol auch gar kein Problem, wenn da viele Geweihe von der Treffsicherheit eines Hausbesitzers erzählen – das kommt allerdings bei genauer Betrachtung daher, dass in Tirol Waffenfreiheit herrschte und gleichzeitig der Zwang, das Land als Scharfschütze zu verteidigen, was man wohl gerne an Hirschen und Gemsen geübt hat, deren Relikte auch in meinem Hotel hängen. Soldaten sind Jäger. Und natürlich mag ich auch die kunstvollen Schmiedeeisen mit ihren Symbolen für die Häuser, und weil der Marsch längst verklungen ist, und ich an die hübschen Geranien gedacht habe, muss ich mir auch deren Sinn erst wieder bewusst machen: Das ist nicht nur zur Zierde an den Häusern. Oder gar wegen der Touristen. Das ist hier, weil das hiesige Familienbild eher traditionell ist, und das dazu gehörende Haus mit Namen so etwas wie die Keimzelle der Heimat, die hier kein Staat ist, sondern ein vor fast 100 Jahren von der politischen Landkarte verschwundenes Gebilde.

Trotzdem wissen sie hier, auf welche Melodie sie hier vom Sterben für Glaube, Heimat und Vaterland singen können. Es ist schwer, das in Deutschland jenseits der letzten gentil organisierten Refugien wirklich zu verstehen, weil vieles davon, auf unseren Normalpatriotismus umgerechnet, befremdlich wirken würde. Natürlich sagt man hier in Nachrufen mal, dieser und jener Politiker sei ein deutscher Patriot gewesen, der viel für die Heimat und das Gemeinwohl getan hätte, aber deshalb marschiert noch lang keiner alle paar Tage mit Trommeln und Tröte und Flagge durch die Städte und besingt die Schönheit der Nation und das rote Leuchten der Neonanzeigen im Bahnhofsviertel vor dem Hintergrund der besonders grandiosen Volkshaftigkeit seiner Person.

Also, meistens zumindest.

Es sei denn, es sind besondere sportvermarkterische Aktivitäten zu vermelden, wie in ein paar Tagen.

Da wird das ganze Arsenal der heimatverbundenen Aktivitäten in Deutschland nämlich auf einen Schlag auch ausgepackt, ganz ohne Generalprobe oder gar Übungen auf dem Pausenhof, oder Rücksicht auf Takt oder Melodie. Da holen die Deutschen von Beginn bis zum Ausscheiden ihrer Mannschaft nämlich alles nach, worauf sie zwei Jahre verzichtet haben, mit Public-Viewing-Einstellung auf die mitgschaftlhubernde Landeshauptmännin und ihre Lieblingsschützen, und auf alles, was sonst noch aus dem eigentlich netten Gefühl einer Heimatverbundenheit Südtiroler Art eine Leistung von Meistern aus Deutschland machen kann. Wer den Fehler begeht, sein Rad im Weg der Fans zu belassen, wird auch deren Eisenbiegekunst bewundern können, und ich weiss genau, wo ich in jenen Sommernächten sein werde, da sie Radadamm Radadamm marschieren. Am Fenster meines Hauses in der Altstadt. Mit dem Telefon, nicht aber einer Flinte mit Salz und gehackten Sauborsten in Griffweite. Das ist hier bei uns nämlich nicht üblich, auch nicht, wenn der Rest des Volkes für ein paar Wochen alle anderen Abkommen mit Krachern und Randale aufkündigt.

Es ist halt immer eine Frage, wie man diese Heimatliebe auslebt, kontrolliert mit der Giesskanne über der Geranie, im Trachtenjanker auf dem Berg, oder besoffen und verunstaltet auf der Fanmeile mit drei Promille, ab denen das Ganze Sinn zu machen beginnt. Es ist sinnlos, sich darüber aufzuregen, für ein paar Wochen werde ich der Einfachheit halber Schaufel und Besen im Gang belassen und schauen, dass die paar Meter Bürgersteig meiner Heimat so sauber sind, dass kein Hund und kein Schulkind sich am nächsten Morgen etwas eintritt. Denn was man liebt, das behandelt man pfleglich, so pfleglich wie die Südtiroler ihre Heimat, und dann ist es auch nicht so schlimm, wenn da ein Geweih hängt, und das Schulorchester öffentlich probt.

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