Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Wie es Euch ohne BrustinspektorInnen gefällt.

Die Zeiten von erzwungener Scham und Sittenwächtern sind vorbei: Wenn heute der zweite Eheversuch unternommen wird, muss sich niemand mehr vor überkommenen Ideologien verstecken.

Finden wir eine Kompromisslösung – machen wir es so, wie ich es sage.
Sergei Pawlowitsch Koroljow

Es gibt nicht nur Ehen aus Unbesonnenheit oder Ehen, weil es gerade alle in Berlin machen: Ich komme noch aus einer Zeit, da sich keiner über Zwangsheiraten gewundert hat. Da war zum Beispiel dieses Krankenhaus auf dem Dorfe, wohin es meinen Klassenkameraden F. beim Zivildienst verschlagen hatte. Die Mutter des F. war die Tochter eines Mesmers, und in Schulzeiten hatte der F. ein von sexuellen Begierden geprägtes Frauenbild, das er zudem in einer reinen Jungenklasse nicht ausleben konnte. Aber dann kam er eben in das Krankenhaus, und dort gab es auch ein Schwesternwohnheim, zu dem Männern der Zutritt strengstens verboten war. Trotzdem feierten wir dort via Brandschutztür mit den jungen Schwestern schnell sehr heftig und bald auch die Hochzeit des F., denn er hatte im weiteren Verlauf des von selbst gemischten Nikolaschkas geprägten Festes quasi beim ersten Versuch gleich zur Arterhaltung beigetragen. Wir alle wussten, dass er jetzt keine Alternative mehr hat und das mit der Ehe würde machen müssen, denn damals war es halt so.

Bei F. hat diese absurde Ehe, entstanden durch eine alkoholisierte Paarung, an deren Ablauf sich keine Partei später präzise erinnern konnte, erstaunlich grandios gehalten, drei Kinder, Doppelverdiener als Ärzte, Haus, Hund, Katzen, was man will. Ich weiss, man stellt sich die Genese besserer Kreise anders vor, aber das war früher oft auch nicht anders, und dann hat man sich halt zusammengerissen, und die Sache durchgestanden. Erst in meiner Generation wurden Scheidungen, Rosenkriege und Zwangsversteigerungen der gemeinsamen Immobilien eine auch nicht immer schöne Realität. Zumal die Partner dann Mitte 30, Mitte 40 in einen ziemlich abgegrasten Markt der Begehrlichkeiten entlassen wurden. Und während früher der soziale Druck der Gesellschaft Ehen zwangsweise zusammenhielt, macht sich nun oft die Erkenntnis breit, dass es nach der Scheidung auch nicht so leicht ist, mit neuen Partnern neue Freiheiten zu geniessen. Hinderlich ist vieles; sei es nun das Aussehen und die absurde Angst der Frauen, über 30 unsichtbar und unattraktiv zu sein, sei es das Gefühl der Männer, dass die finanziellen Folgen so eines Konfliktes sehr unsexy machen. Und obendrein ist meistens auch gleich das nähere soziale Umfeld implodiert, was Beschaffungsbeschwerden zur Folge hat.

Das kommt in den besten Familien vor, auch im katholisch geprägten Bayern und anderen eher ländlich geprägten Regionen, in denen schneller Partnertausch und multioptionales Patchwork allein schon wegen der Ansprüche an Beziehungen nicht so leicht zu bewerkstelligen sind. Attraktivität definiert sich hier nun mal auch durch das Eigentum an Wohnfläche, die oft erst neu erworben werden muss. Man kann es Geschiedenen nicht verübeln, wenn sie nach Monaten und Jahren auf dem Zweitmarkt der Liebe nicht stetig neue Pleiten erleben möchten, sondern Sicherheit, Geborgenheit und langfristige Perspektiven mit Garten und Haushaltshilfe. Patchwork sieht man in Berlin, aber bei uns gibt es zum guten Neuanfang Klöster, in deren Nähe Hochzeiten gefeiert werden.

Das geht natürlich nicht zusammen, der Katholizismus ist bei Scheidung sehr unkommod, wie man hier sagt. Zweite Ehen landen hier in aller Regel nicht vor dem Altar. Wer nicht darauf verzichten möchte, braucht entweder einen Priester, der ein paar Augen zudrückt, und jemanden, der eine Kapelle hat, oder einen Dispens. Oder eben jenen Sinn für das Praktische, den man hier an jedem Wochenende betrachten kann. Denn auch, wenn kein Tölzer Knabe in einer Kirche singt und keine Orgel erschallt, so kann keiner Gaststätte neben einer Kirche mit Blick auf See oder Gebirge untersagt werden, eine grössere Gesellschaft mit 20 bis 100 Leuten aufzunehmen, die hübsch gekleidet sind. Was fehlt, sind lange Schleppe und Schleier, aber angesichts des Niedergangs der Männermode ist es gar nicht so schlimm, wenn Frauen da auch ein wenig entrüscht werden, die Röcke über das Knie rutschen, und niemand so tun muss, als wäre sie ein ahnungsloses, blütenweisses Huhn ohne Erfahrung im Umgang mit den körperlichen Reizen.

Dafür ist der Rest erheblich üppiger, und gleichzeitig entspannter. Während bei Erstheiraten ständig über Kinderwägen gestolpert wird, weiss sich der Nachwuchs bei Zweitehen sogar schon zu benehmen. Das Umfeld hat in diesem Alter erheblich mehr Geld, und so sieht das nicht nach dem Treffen der ausgewachsenen Kommunionsanzüge aus. Die Peinlichkeit der Junggesell_Innenabschiede unterbleibt auch, schliesslich ist man keine 22 mehr. Eigentlich sind diese Zweitfeiern in ihrer Eleganz und ruhigen Abgeklärtheit stilistisch viel näher an dem, was sich die Kirche unter Hochzeit vorstellt, als jene pompösen Orgien der Stretchlimousinen und „Summer of 69“-Kapellen, bei denen alle mitgrölen, dass es mich daheim an der Donau aus dem Bett wirft. Dort wohne ich nämlich neben dem katholischen Kolpinghaus, da werden die ersten Ehen gefeiert und keiner bemerkt die Ironie, dass es bei jenem Lied von Brian Adams um das Zerbrechen der Liebe und Jugendträume an Ehe und Alltag geht.

Grad mit Fleiss, so mein Eindruck, macht sich der zweite Hochzeitsmarkt also Gedanken darüber, wie man sich von den gängigen Klischee der Geschiedenen und damit Gescheiterten absetzt. Mir scheint, dass hier öffentlich der Anspruch auf einen Platz in der Gesellschaft dokumentiert wird. Sehr her, sagen die cremefarbenen, engen Kleider, ich bin vielleicht 40, aber im Gegensatz zu der aufgedonnerten Sahnetorte da drüben in der Kirche stilsicher. Liebe Umwelt, das können wir uns alles leisten, sagen die Geschenke. Ja, der erste Versuch war vielleicht nicht so toll, aber wir nehmen das alles nicht mehr so ernst und lassen uns keine Vorschriften machen. Wir sind hier, wir sind laut, ganz egal ob ihr uns traut. Ob die Kirche eine Kulisse bietet oder nicht, entscheiden wir selbst. Wir sind schön, sexy und gut gelaunt und ihr dürft gerne neidvoll herüberschauen. Wer von hier kommt und weiss, wie vor 20 Jahren die Geschiedenen noch die Parias waren, die besser in eine andere Stadt ziehen sollten, der ahnt, dass sich gerade viel tut.

Ich als verkommener Lumpazius Vagabundus und Frater Leichtfuss vom Orden der mindermoralischen Brüder nehme das locker und proste – nachdem ich den Bauch eingezogen habe – der Braut auch zu, aber für unsere Ideologie ist es natürlich weiterhin nicht einfach. Unsere Ideologie ist nun mal, dass man mit Kindern eine Ehe durchzustehen hat, das haben die Eltern so vorgelebt, und das wollten die meisten auch. Es hat halt nicht funktioniert. Und nun muss man überlegen, was die beste Lösung ist. Mein Ratschlag wäre eine Reform des Kirchenrechts, indem man mal schaut, was der Jude Jesus so gemeint haben sollte – da käme nämlich raus, dass das Judentum Scheidungen sehr locker nimmt. Bei Lichte betrachtet wären Geschiedene und ihre Hochzeiten ein phantastisches Geschäftsmodell, so einen Dispens könnte man mit einer üppigen Bearbeitungsgebühr verbinden, und spezielle Heiratspakete mitverkaufen, wenn man als Kirche schon das Monopol auf die einzig wahren Barockkirchen hat. Tut man das nicht, rollt die Realität einfach über die Dogmen und Ideologien hinweg, kapert die Biergärten neben den Kirchen, fühlt sich als lässlicher Sünder prima und sieht dabei auch noch verdammt gut aus. Die Sonne nämlich scheint für alle, die nicht verblendet sind.

Und das betrifft nicht nur das bayerische Oberland, das am Wochenende das Thema und die Bilder lieferte, sondern jeden anderen Versuch, Menschen Schuld, Versagen und Probleme einzureden. Momentan, während ich das hier schreibe, wird gerade mit einer anderen Ideologie abgerechnet. So, wie die Kirche nicht mehr zu den Beziehungswünschen der Menschen passt, passt auch der dogmatische Feminismus nicht mehr zum Leben vieler Frauen. Bei womenagainstfeminism wird abgerechnet mit dem sog. Netzfeminismus und dem, was er Menschen vorschreiben will. Oftmals liest sich der Protest, als ginge es um eine Abrechnung mit einer Sekte, die allen diktiert, wie sie ihr Leben, ihren Sex, ihr Aussehen und ihre Beziehungen linientreu zu organisieren hätten – und natürlich, wer als Hure zu verachten und auszugrenzen ist. Davon ist man hier bei uns gerade erst abgekommen, hier können Geschiedene schön und glücklich sein, und es allen zeigen. Ob die dann gleich wieder unter die neue Knechtschaft von meckernden Brustwarzeninspektorinnen mit dem Humor von Rosa Klebb kommen möchten, wage ich zu bezweifeln.

Ein Hoch auf das Paar und das ideologiefreie 21. Jahrhundert. Schee san’s.

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