Vorbemerkung: Beim letzten Beitrag der Gastautorin Despina Castiglione ging es auch um die delikate Frage, ob Männer neben sexuellen Dienstleistungen auch Macht über Frauen erwerben, und ob nicht gerade diese Macht ihr eigentliches Interesse ist. Daher habe ich, Don Alphonso, sie gebeten, doch einmal etwas zu dieser Machtkonstellation im Speziellen und im Allgemeinen der zwischenmenschlichen Beziehungen zu schreiben. Bitteschön:
Mit der gesellschaftlichen Anerkennung meiner Arbeit ist es zwar noch nicht so weit her, aber wenn ich in ein freudestrahlendes Gesicht schaue, nachdem ich meinen Job gemacht habe, bin ich stolz. Ich erlaube mir an dieser Stelle, meinen Maßstab anzulegen, und mich in meiner Betrachtungsweise nicht dem Weltbild derer, die meinen, das Verbot oder die Ächtung der Darstellung oder Ausübung gewisser Sexpraktiken würde auch nur ein einziges Problem lösen, zu unterwerfen. Sexualität an sich ist eine reichlich komplizierte Angelegenheit. Das Spannungsfeld zwischen den eigenen Phantasien, Wünschen, Bedürfnissen und der „allgemeinen Moral“, die zwar jeder irgendwie im Gefühl hat, aber niemand wirklich greifen kann, bietet reichlich Stolpersteine und einen unerschöpflichen Vorrat an zweischneidigen Schwertern, an denen man sich egal, wie man sie anpackt, blutige Finger holen kann.
Addiert man noch die Frage des Gelderwerbs hinzu, so findet man sich nach dem Aderlass auch noch unversehens in einem moralischen Minenfeld wieder, und kann kaum einen Schritt mehr tun, ohne einen Sturm der Entrüstung auszulösen. Ich bin es gewohnt, in diesem Minenfeld zu arbeiten, deshalb will ich es wagen, davon zu berichten, wie sich die Sache in meinen Augen darstellt.
Wenn es um Macht und Sex geht, ist es mit der Ratio meist nicht mehr so weit her. Bei den Konservativen und Altvorderen wird die Toleranz überreizt, weil sie Angst vor sexueller und gesamtgesellschaftlicher Entgleisung und Anarchie haben. Und die neopietistischen Aufgeklärten empören sich, weil sie generell ein Problem mit der Macht des Patriarchats, dem Geld sowieso, und dem Kapitalismus, der Sex erst zur Ware gemacht hat, jawoll !!11!!!1!! erst recht haben. Als wäre es völlig unvorstellbar, dass schon manch kluge Frau des geldfreien Paläolithikums für manch überspannten Steinzeitmann gegen Überlassung einer hübschen Blattspitze mal schmutzig grinsend den Lendenschurz gelüpft hat.
Das vertrackte an der ganzen Sache ist aber leider, dass von den Niederungen der Praxis im Ehebett oder auf dem Strich bis zur abgehobensten Metadiskussion unter geschlechtsbezogen teilzölibatär lebenden Akademikerinnen sich einfach nicht in Abrede stellen lässt, dass beide Aspekte, Macht und Sex, eine –mal mehr, mal weniger glückliche Liaison- eingehen. Gelegentlich spielen Erwerbs- und Existenzsicherungsdruck auch noch fröhlich mit, da wird es dann so richtig unschön. Und zwar im Privaten, wie im Geschäft.
Die Huren sind deswegen als Diskussionsteilnehmer nicht sonderlich geschätzt, weil sie genau diesem Spannungsfeld ihre Existenz verdanken, und damit symbolisch für gewisse Widersprüchlichkeiten stehen, vor denen manch eine/r lieber die Augen verschließen möchte. Im Privaten kann man das ganze Elend nämlich so schön verdrängen, und wenn es wirklich ätzend wird, geht man zur Paartherapie, sucht sich endlich den Partner fürs Leben oder schleicht dann doch heimlich in irgend ein zwielichtiges Etablissement, in dem die Huren verständnisvoll lächelnd schon warten.
Ich meine, dass einem also in diesen Fragen die Moral nicht weiter hilft. Das Problem ist universell, als dass es sich durch ein so simples Konstrukt lösen ließe, und zeigt sich im privaten Bereich nur in einem anderen Gewand als beim Bezahlsex. Und um ehrlich zu sein, ich möchte nicht diejenige sein, die abzuschätzen hat, wo mehr schmutzige Wäsche zu waschen ist. Ich glaube, dass viel von dem, was wir ganz praktisch an Missständen in der Prostitution sehen, aus persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen gespeist wird. Macht, Abhängigkeit, Liebe, Geld. Keine gute Mischung, weder im Rotlicht, noch auf dem Standesamt.
Meiner Kundschaft ist ausnahmslos bewusst, dass sie nach den Maßstäben der gefühlten „allgemeinen Moral“ verwerflich handelt, wenn sie meine Dienste in Anspruch nimmt. Und sie tut es deswegen, sie tut es trotzdem, und sie tut es mit Genuss. Anders ist auch nicht erklärbar, warum erwachsene und meist einigermaßen erfolgreiche Männer hunderte von Euro hinblättern für etwas, das sie im Grunde auch diskret alleine zuhause können. Ob sie nun moralisch einwandfrei die Ehefrau zu beglücken versuchen, oder sich, moralisch schon eher fragwürdig, zu einem Internetporno ihrer Wahl selbst befriedigen, beides ist in jedem Fall kostengünstiger, als ein Termin mit mir. Und risikoärmer sind die meisten Ersatzhandlungen auch. Verheiratete Kundschaft riskiert ja oft Kopf und Kragen plus Haus und Hof und jedwedes gesellschaftliches Ansehen, wenn sie sich zu mir ins Boudoir schleicht. Es muss also um mehr gehen, als um den körperlichen Höhepunkt.
Um was geht es also, wenn die Herren der Schöpfung bei mir anklopfen? Meine bescheidene Erfahrung zeigt, dass der Antrieb, mein Angebot in Anspruch zu nehmen, zwar auf dem körperlichen Bedürfnis nach sexueller Interaktion beruht, aber auch, dass dieses Bedürfnis in den allermeisten Fällen weit elaborierter daher kommt, als „Ficken, hä?!“ Natürlich, es gibt diese Anfragen, und natürlich, es gibt Idioten. Aber so, wie jeder Freiberufler, der es sich halbwegs leisten kann, nicht mit Idioten zusammenarbeitet, handhabe ich das eben auch. Ich habe sozusagen die Macht, einen Kerl einfach abzulehnen, wenn mir der Ton nicht passt. Ich blockiere bei respektlosen Zeitgenossen schon mal die Nummer und weise den entsprechenden Emailadressen das Merkmal Spam zu. Da versuche ich nicht mal mehr, freundlich zu sein.
Es kann, und ich glaube, in der Richtung sind die Beweggründe der Männer, die mich anrufen zu suchen, so erleichternd sein, sich aus dem Spiel um persönliche Abhängigkeiten mal heraus zu nehmen, und Sex einfach mal als eine Spielwiese zu betrachten, auf der alles, was Konsens ist und gefällt, einfach mal erlaubt ist.
Stellen Sie sich vor, wie gelassen Sie sich in ihrer Sexualität bewegen könnten, wenn sie keine Angst vor moralischer Entrüstung ihres Gegenübers haben müssten. Oder davor, sich der Lächerlichkeit preiszugeben.
Meine Kundschaft vertraut mir, dass ich all das intime, ehrenrührige, menschliche, das ich erfahre nicht preisgebe, dass ich es annehmen und gedeihlich damit umgehen kann. Dafür werde ich angemessen entlohnt und in aller Regel äußerst respektvoll behandelt. Man verspielt es sich ungern mit mir, weil ich ein Verständnis zu bieten habe, das es woanders nicht so ohne weiteres zu geben scheint. Von daher sehe ich mich schon in einer gewissen Machtposition.
Ich muss mich meiner Kundschaft nicht andienen, freundliche Zuwendung mit sexueller Komponente verkauft sich wie geschnitten Brot. Lehne ich einen Idioten ab, kommen drei, die sich zu benehmen wissen, nach. Das ist eine wichtige Erkenntnis, um selbstbestimmt arbeiten zu können: Ich muss nicht jeden Affront mitmachen.
Das hat etwas damit zu tun, in der Überzeugung zu handeln, dass der eigenen Leistung eine gewisse Wertschätzung entgegengebracht werden muss. Deswegen finde ich auch das mickrige und durchaus verbesserungswürdige Prostitutionsgesetz, und die Diskussion, die wir darüber haben, so wichtig. Ich wünsche mir eine Gesetzgebung, die alle Menschen, inklusive den Sexarbeitenden dazu ermächtigt, sich gegen Ausbeutung, Missbrauch und Missachtung zu wehren. Nicht mehr, und nicht weniger. Deshalb hätte ich gerne ein Bekenntnis von Seiten der Gesellschaft, von Seiten des Gesetzgebers: „Ja, Sexarbeitende haben wie alle anderen Menschen in unserem Land auch ein Recht auf körperliche und emotionale Unversehrtheit und sind vollwertige Mitglieder des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens.“
Es ist eine wichtige Nachricht, sowohl an die Kunden als auch an die Sexarbeitenden, dass sich der Gesetzgeber dahingehend positioniert, dass die Entgelte für sexuelle Dienstleistungen auch eingeklagt werden können. Es ermächtigt die Huren, einem Kunden, der die Wertschätzung im Gewand der Zahlung vermissen lässt, einen Mahnbescheid nachhause zu schicken. Und das, mit Verlaub, ist durchaus ein wichtiges Argument und sorgt für ein Machtgleichgewicht, auf dessen Basis sich Anbieterin und Kunde auf Augenhöhe und im Konsens begegnen können. Denn natürlich ist die Dienstleisterin um so schwächer, je dringender sie das Geld braucht.
Wussten Sie eigentlich, dass der Vertrag über sexuelle Dienstleistungen nicht wegen Schlechtleistung angefochten werden kann? Es gibt kein Recht auf sexuelle Befriedigung durch mich oder meine Kolleginnen. Ich habe die Entscheidungshoheit darüber, ob ich noch ein Viertelstündchen dranhänge, um die Sache zu einem guten Abschluss zu bringen. Ich muss nicht. Ich kann. Das ist ein wichtiger Unterschied. Nach meiner Meinung sollte das mit dem „Können, nicht Müssen“ für jeden sexuellen Kontakt gelten. Wenn ich mir vergegenwärtige, was ich selbst schon an emotionalen Erpressungsversuchen von sexuell ausgehungerten Privatkontakten erlebt habe, und dazu addiere, was ich hie und da so aus Beziehungen in meinem Umfeld mitbekomme… ja, da kann sich das Konzept der Freiwilligkeit von und Eigenverantwortung für das eigene sexuelle Wohlbefinden ruhig noch etwas flächendeckender durchsetzen.
Ich glaube, wer von Sexualität redet, egal in welchem Kontext, kommt um den Punkt nicht herum, dass es für eine gedeihliche Sexualität Wertschätzung braucht. Sex ohne Wertschätzung wird zum Machtinstrument, und da wird es dann sehr schnell kritisch. Da sind wir dann schnell bei Begriffen wie dem „Kampf der Geschlechter“, mit denen zwar einzelne auch heute noch gut Kasse machen, aber in der Sache bringt so eine Debatte doch niemanden weiter. Ich will jetzt nicht zu sehr aus dem Nähkästchen plaudern, aber in Beziehungen, in denen Sexualität als Machtinstrument gebraucht wird, wird der Kampf der Geschlechter gerne mal zum privaten Kleinkrieg, und ich persönlich habe da noch keine Gewinner gesehen.
Was die Frage nach der Wertschätzung im Kontext von entgeltlicher Sexualität so knifflig macht, ist in meinen Augen der Umstand, dass in diesem Feld alle Beteiligten zwischen emotionaler Abgrenzung zur Wahrung der eigenen Integrität und Unabhängigkeit einerseits, und der zwangsläufig mit dieser sehr speziellen Dienstleistung einhergehenden Nähe und Abhängigkeit andererseits balancieren müssen. Das ist schwierig, und darüber wird zu wenig gesprochen. Weil man dann auch von Beziehungen sprechen muss, von Exklusivitätsansprüchen, und weil man dann in den Graben schauen muss, der sich zwischen Utopie und Realität auftut. Weil man dann anerkennen muss, dass Sexualität ein Punkt ist, in dem viele Persönlichkeitsaspekte zusammenfallen, und dass das nicht konfliktfrei zu lösen ist. Das macht Sexualität so störanfällig, so wunderschön, und so unglaublich vielschichtig. Und ihre Verdrängung, ob im privaten oder gesellschaftlichen Miteinander, ist sehr ungesund. Deshalb verbieten sich hier Machtkämpfe. Das Problem liegt nicht in der Macht als solcher, es gibt immer irgend jemanden, der am längeren Hebel sitzt.
Das Problem liegt im Missbrauch von Macht, da entsteht Leid, und mir ganz persönlich würde es sehr gefallen, wenn sich die Damen und Herren Deutungsmachtinhaber mal ein bisschen am Riemen rissen, und aufhörten, ihre Macht zu missbrauchen, um Leuten vorzuschreiben, wie sie ihr Sexualleben im Rahmen des gesetzlich Erlaubten auszugestalten haben. Für mich hat es nichts mit Verantwortung zu tun, etwas schlicht zu verbieten oder zu ächten, nur weil es einem selbst nicht gefällt, sei es jetzt außerehelicher Geschlechtsverkehr gegen Entgelt oder Facesitting und weibliche Ejakulation im Internet. Das ist Deutungsmachtgehabe einer Moralelite, mit der ich nichts zu tun haben will