Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Zweitfrau-Präsente, Zuhälter-Geldanlagen und andere populäre Irrtümer über Reiche

Monogamie ist auch schlecht für die Beurteilung des Marktwerts.

Weil, es ist doch so: Monogame Paare sitzen jahrelang zusammen, verbreiten diese spezielle „Komm uns nicht zu nah“-Stimmung gegenüber jedem, der sich Sache flexibler betrachtet, und sagen sich ständig, dass sie den Wert auf dem freien Markt gar nicht kennen müssen. Sie haben doch das Wertvollste, sich selbst. Und wenn es dann auseinander geht, werden Double- und Triple-Dates gemacht, so dass an einem Abend an zwei oder drei unterschiedlichen Stellen eruiert werden kann, wie denn nun Personen des präferierten Geschlechts auf die neuen Chancen und Möglichkeiten reagieren. Das weit ausgeschnittene Top hatte ich jedenfalls noch nie an der C. gesehen, als ich sie in Nymphenburg abholte, und auch sonst gab sie sich alle Mühe, nicht wie eine geknickte Ex zu wirken, die gerade nach vier Jahren die grosse, nicht ganz ewige Liebe verloren hatte. Sie wirkte mehr wie eine junge höhere Tochter, die etwas erleben wollte. Das Erleben sollte bei den späteren Dates im Glockenbachviertel eine alkoholische Komponente bekommen, und deshalb gab es bei mir die italienische Fundamentierung.

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Und zwar an der Kreuzung zwischen Erhard- und Fraunhoferstrasse beim beliebten Italiener , der sich in einer der letzten innerstädtischen Baulücken zu den Strassen hin eingemauert und das Restaurant nach oben hin zum blauen Himmel über München offen gelassen hatte. An der Stelle liegt zwar gleich die Isar, aber davor brauste der Verkehr, und zwar so laut, dass man in normaler Lautstärke Süssholz raspeln konnte, ohne dass es einen Tisch weiter verstanden wurde. Die C. jedenfalls evaluierte, wie wohl noch nie zuvor eine streng religiöse Akademikertochter aus Niederbayern evaluiert hat, trank mehr Wein, als sie vertrug und nahm das angenehme Gefühl mit, das erstbeste Date mit ein paar Blicken weich wie Marzipan machen zu können. Das gebietet die neue Höflichkeit unserer sexuell stets getriebenen Moderne, ich habe mich da wie ein keuscher Valmont verhalten und sie dem nächsten übergeben, der sich wie alle anderen vergeblich Hoffnungen machte, denn wie es nun mal so ist: Manche wollen einfach nur den Marktwert wissen, und nicht verkaufen.

Aber ich habe deshalb durchaus erfreuliche Erinnerungen an diesen Italiener, den es längst nicht mehr gibt – an seiner Stelle entstehen jetzt, verkehrsumbrandet und passantenumspült, die Glockenbach Suiten. Früher nannte man so etwas übrigens schnöde „Wohnanlage“, und als meine Familie sich hier vor einem Viertel Jahrhundert zum ersten Mal einkaufte, war „Glockenbach“ auch noch kein guter Name. Das nördlich davon gelegene Gärtnerplatzviertel klang besser, aber der südlich der Fraunhoferstrasse liegende Glockenbach war gesellschaftlich nur begrenzt vorzeigbar. Niemand, der etwas auf sich hielt, kaufte den Kindern etwas südlich dieser Demarkationslinie. Heute ist es wohlklingend, heute macht man damit gute Geschäfte und weil manche das nicht mögen, gibt es lautere Proteste als meine stillen Erinnerungen an diesen Sommerabend: So werden gegen die Suiten Aufkleber angebracht, was im zivilen München fast schon eine Revolution, ja sogar eine Ordnungswidrigkeit sein kann.

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Und auf diesen Aufklebern wird nun vermerkt, wen man in diesen Suiten – beginnend mit zwei Zimmern und dem Vernehmen nach mit 7700 Euro pro Quadratmeter – vermutet. Also ich würde ja sagen, dass ich vielleicht die C. darin erwarten würde, denn für ihre heutige Beschäftigung und ihre Lebensumstände und zusammen mit dem, was ihre Eltern finanziell zuschiessen könnten, wäre das Objekt im Rahmen der Möglichkeiten – wenn man Verkehr und ein Leben auf dem Präsentierteller hinter Glaswänden zur Strasse mag. Der Aufklebergestalter jedoch verbindet damit all seine Ablehnung der sog. Reichen und schreibt nieder, wen er darin vermutet. Ich finde das wirklich traurig, weil hier Vorurteile gepflegt werden. Er irrt sich. Man kann das alles nicht unter einen Hut stecken und sagen, so sind sie, die Privilegierten. Gehen wir es einmal durch:

Reichen-Schauhaus: Reiche lassen die Öffentlichkeit in diesem Umfeld nur die stuckbeladenen Fassaden der Gründerzeitbauten anschauen. Und die Vorhänge hinter den Fenstern, damit man dahinter Flügeltüren und Stuck und Kronleuchter nicht sieht. Von hier bis zum Lehel. Reich und Neubau passen nicht.

Zuhälter-Geldanlage: Ich gehe davon aus, dass Zuhälter angesichts der rechtlichen Problematik ihres Treibens wohl eher nicht so dumm sind, ihr Geld in Deutschland so anzulegen, dass man es nicht in einem Koffer ausser Landes bringen kann.

High-Level-Absteige: Es ist vollkommen richtig, dass die besseren Kreise mitunter selten bewohnte Objekte besitzen, um nach einem Opernabend nicht mehr nach Hause in die Provinz fahren zu müssen. Sehr oft sind das die alten Studentenwohnungen der Kinder. Immer ist das in ruhigen Ecken. Ganz sicher ist das nicht in dieser Remmi-Demmi-Region an der Isar, wo sich im Sommer der Plebs bis in den frühen Morgen am Späti gegenüber Schlachten um Zigaretten und Bier liefert.

Edel-Postadresse: Um Gottes Willen. Wer älter als 40 ist, weiss doch, dass der Glockenbach erst mühsam von seinen alten Bewohnern ertrotzt und Borzn für Borzn erkämpft werden musste. Das ist junges Wohnen. Schöne Postadressen für altes Geld heissen Tutzing, Grünwald, Tölz, Garmisch, Prien oder, wenn es wegen der Firma sein soll, Gmund am Tegernsee oder eine andere landschaftlich reizvolle Oase mit vernachlässigbarem Hebesatz der Gewerbesteuer. Da hätte der Gestalter mal besser vorher bei seinem Vermögensverwalter recherchieren sollen.

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Grünverdrängung: Das stimmt in gewisser Weise, das hört man öfters, Villenviertel etwa brauchen enorm viel Platz, gerade wegen der Urwälder, die man in den Gärten anlegt. Blocks für die Allgemeinheit dagegen werden natürlich nur in Wüsteneien errichtet, wo noch nie ein Baum stand, und alle sind voll mit ökologisch bewussten Landschaftsfreunden, die stolz ihre modischen Jutetaschen spazieren tragen.

Viertel-Flairhunzumg: Das sind sicher total nette, normale Menschen, die hier kommen, mit ganz alltäglichen Kreditfinanzierungssorgen und ganz ehrlich, am Viktualienmarkt ist schon lange ein Bioladen, in dem die Sau im Schaufenster eine Perlenkette trägt. So ist das hier.

Neurotiker-Reservat: Nur, wenn die Immobilienpreise wieder fallen. Und natürlich, siehe Bioladen mit perlenkettentragender Sau, haben auch Vermögende so ihre Spleens. Aber auch nicht mehr als andere und vor allem: Die können sie sich auch leisten und liegen damit nicht der Allgemeinheit auf der Tasche. Sollte doch mal jemand durchdrehen, kennt doch jeder einen Arzt, der das diskret in die Hand nimmt, ganz ohne staatliche geschlossene Abteilungen.

Zweitfrau-Präsent: Mal ehrlich, das kommt davon, wenn die Freundin Jutetsche statt Prada trägt. Wer den Krieg mit der Erstfrau hinter sich hat und das Restvermögen nutzt, die Zweitfrau für einen deutlich sechsstelligen Betrag zwischen zwei viel befahrenen Strassen zu lagern, und mit solchen Glaswänden – der braucht bald eine genügsame Drittfrau. Gereifte Damen mit Stil und Erfahrung werden sich stets im Lehel oder in Bogenhausen umschauen.

V.I.P.-Plattenbau: Das hängst davon ab, wie man V.I.P. definiert; ich vermute, der Hersteller des Aufklebers kennt da vor allem die Besetzung von Dschungelshow und Promidinner, aber da kenne ich mich nicht so aus.

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Das ist für mich einfach ein weiterer Kasten und die Erbauer tun das, was alle tun: Sie holen aus dem Projekt heraus, was auf dem Markt möglich ist. Wer jetzt erst anfängt, sich auf dieses Spiel einzulassen, hat seit 2007 einiges verpasst und so viel falsch gemacht, dass ich unter dieser Gruppe keinesfalls die Reichen vermuten würde. Darauf lassen sich jene ein, die günstige Kredite nutzen und das Geld nicht bar im Koffer haben. Mann kann auch gegen diese Leute sein, sich gegen ihren Zuzug wehren und das Verschwinden des Italieners anprangern. Es gibt genug Erben, die der Oma ihr Häuschen in Niederbayern zu Geld machen und dann hier investieren. Aber dann soll man das auch bitte so beleidigen: Kreditnehmer-Schauhaus, Niederbayern-Geldanlage, Middle-Management-Absteige. Das fände ich angemessen und würde es hier auch lobend, weil den Kern der Sache treffend, erwähnen.

Ich verlange nun wirklich nicht viel: Nur meine Privilegien, die Akzeptanz der natürlichen Klassengrenzen, keine Verwechslung mit Niederbayern oder Berlinern und einen Italiener, bei dem ich nette Dinge zu frisch Geschiedenen sagen kann.