Bauen, Brauen, Sauen.
Lion Feuchtwanger, Erfolg.
Ich müsste, sage ich meiner Gesellschaft, noch einen Moment in die Bank und eine Kleinigkeit überweisen.
Soso, meint die Gesellschaft und wartet indiskret darauf, dass ich mich dazu näher einlasse. Es könnte ausnahmsweise einmal sein, dass ich eine sinnvolle Transaktion tätige, seien es Aktien oder Verlobungsringe oder Kinderwägen oder mit was auch immer einen die nachwachsende Generation mit ihren konservativen Lebensvorstellungen unter Druck zu setzen beliebt, und das ändert auch bei uns etwas die Erwartungshaltung. Hemmungslose Lust und Egomanie des Singledaseins entsprechen nicht mehr dem Zeitgeschmack, wie auch die fülligen Körper des Barocks, um die es beim Verwendungszweck geht: Ich bezahle nämlich sieben halbnackte Frauen. In Öl auf Leinwand. Aus dem Hochbarock. Ein Händler hatte bei all dem nackten Fleisch nicht verstanden, dass es sich bei dem Motiv um die Auffindung Moses handelt. In jener Epoche hat man diese Szene so verwendet, wie man heute in meinen Kreisen Abendkleider bei Silvesterkonzerten benutzt: Zum genaueren, sozial akzeptablen Studium von Frauenkörpern nämlich. Den kleinen, im Nil schwimmenden Moses sieht man vor lauter praller Haut nicht. Hätte der Händler die Szene entschlüsselt und hätte er bei Google nach dem Motiv gesucht, wäre er vielleicht auf eine Auktion gestossen, bei der das Original aus der Hand eines gewisse Pietro Liberi – ein Spezialist für lüsternes Fleisch in Moral vortäuschender Verpackung – so viel wie eine kleine Wohnung in München gekostet hat, und dann hätte er auch eine entsprechend schlechter gemachte Kopie aus dem Umkreis nicht so wurschtig in der stillen Zeit verramscht.
Aber so ist es nun mal im finanziellen Bodensatz der besseren Kreise: Relative Armut kann, gepaart mit etwas Sachkenntnis, auch den ein oder anderen Zahnarzt übertreffen. Entsprechend bedenkenlos gehe ich zum Überweisungsautomaten, an dem schon eine leere Wodkaflasche von den weiteren Freuden des Abends bei anderen Menschen kündet. Ich will das hier auf keinen Fall verurteilen, ich bin auch noch ganz betrunken vom schweren Parfum der Begleiterin, und dagegen, auf den Liter berechnet und verglichen, ist Wodka spottbillig und macht vermutlich auch nicht weniger süchtig. Wodka spricht andere Sinne an, aber das macht er fraglos gut und funkelt für die Konsumenten nicht weniger verführerisch als der alte Diamant auf recht anregender Haut, und jene, die ihn konsumierten, werden sicher auch heute Nacht ihr Vergnügen finden.
Nochmals andere werden mit Schwarzpulver gefüllte Gegenstände anzünden und wie man weiss, vergessen, diese zu werfen. Oder sie gegen andere werfen. Das macht die Haut dann auch prall und das weiss auch jeder, und trotzdem gilt die Ballerei als sozial akzeptabel. So akzeptabel, dass man sie ins Krankenhaus bringt und auf Kosten der Allgemeinheit hegt und pflegt und wieder herstellt, selbst wenn sie eine Flasche Wodka getrunken und sich ihre Verletzungen mit einem illegalen Polenböller zugefügt haben. Es sind diese Abende, die die ganze Spannbreite unserer formal klassenlosen und solidarischen Gesellschaft vorführen: Die einen dürfen ins Konzert und die anderen in die Notaufnahme, und jeder bekommt, was er braucht. Wollen Sie eine Quittung, fragt mich der Automat, und weil mich mein Verhalten keine Finger, sondern nur Geld kostet, drücke ich auf Ja.
Draussen fröstelt die Begleitung und starrt hinüber auf die andere Strassenseite, wo während meines Konflikts mit BIC und IBAN ein überlanges Automobil vorgefahren ist, und ein halbes Dutzend junger Leute ausgespuckt hat. Sie sagt nichts dazu und muss es auch nicht, denn es ist offensichtlich, dass dieses Automobil mitsamt Fahrer kein Eigentum, sondern nur gemietet ist. Da gibt es also junge Leute, die an so einem Abend nicht umhin können, eine derartige Blechbüchse zu bestellen, darin Alkohol zu trinken und sich durch die nur mittelimposante Skyline meiner kleinen, dummen Heimatstadt an der Donau chauffieren zu lassen. Morgen mögen sie dann vielleicht wieder überlegen, wie man die Altersvorsorge sichert, aber diese Nacht ist anders und sie leben nur einmal, selbst wenn ich dem Blick meiner Begleiterin entnehme, dass ihr das dieses Leben entschieden zu lang ist. Die Insassen trinken aus Flaschen und sind zudem nicht ganz dezent, was ihre Lautstärke angeht. Das wirft nun einmal, auch in dieser Nacht, Fragen nach dem Erfolg ihrer Erziehung auf.
Aber es ist auch nicht anders als beim Polenböller oder beim Wodka oder bei der Endreinigung des Gefährts oder beim Wegwerfen von nur einmal, für diesen einen Zweck erworbenen Glitzerkleidern in Boutiquen, die „Hollywood“ heissen: Nur weil es uns nicht gefällt, ist es noch lange nicht inakzeptabel. Es wäre natürlich interessant, einmal die Preise zu vergleichen. Kostet ihr Alkohol mehr als unsere Konzertkarten? Sind die billigen Fetzen angesichts der begrenzten Verwendbarkeit nicht teurer als Abendkleider, die im regen Konzert- und Opernbetrieb jede Woche benötigt werden? Und sind meine sieben barocken Damen in Anschaffung und Unterhalt während meines restlichen Lebens nicht günstiger als der Versuch, auch nur eine einzige Frau in so einem Gefährt in einer bis dato zum Glück nur von Wodka geschwängerten Nacht zu verführen? Und wie verrechnet man die Videos, die davon später im Netz kursieren, in Hinblick auf kurzzeitigen Eindruck im Freundeskreis und langfristiges Sozialprestige des Clans? Die armen Eltern. Wer könnte das wohl sein und kennen wir deren Freunde, um sie zu warnen?
Das sind nun einmal unsere gesammelten Vorurteile und Regeln, gegen die hier und besonders an solchen Tagen gern und heftig verstossen wird. Das ist nicht neu, schon Breughel malte seine tanzenden und trinkenden Bauern nur, um den höher gestellten Herrschaften im Sinne von Sozialporno vorzuführen, was man da unten tat. Was ich aber wirklich erstaunlich finde, und was sich seitdem zumindest in den vermögenden Regionen geändert hat: Das Fehlverhalten ist richtig teuer. Es ist aus unserer Sicht nicht nur so, dass man das nicht tut, sondern dass man es sich zusätzlich zum gewohnten Leben gar nicht leisten würde. Bei uns gibt es gewisse Grundbedürfnisse, die befriedigt werden, und den Wunsch nach einem massvoll, aber beständig wachsenden Vermögen. Wollte man wirklich nun auch noch zu denen in Konkurrenz treten, und zwar nicht nur auf deren von MTV und Fernsehserien vorgegebenen Niveau, das ab und zu mit Mietkomparsierie nachgespielt wird, sondern richtig – wird das ausgesprochen teuer.
Niemand weiss das übrigens besser als diejenigen in meinem Umfeld, die hochzeitstaugliche Anwesen, Güter und Schlösser besitzen und finanzieren müssen: Sollte nämlich auf der Sitzbank in diesem Gefährt wirklich etwas schief gehen und wäre dann eine Hochzeit fällig, kommen diese Leute zu ihnen, und wollen für den schönsten Tag im erst mal nüchternen Leben den vollen Service und Anschein der Gediegenheit, ohne zu ahnen, was so ein originalgetreuer Verputz nach Vorbildern der Renaissance oder ein Denkmalschutzfenster heutzutage kostet. Trotzdem, an diesem Tag möchten sie dann nicht mehr Wodka aus der Flasche trinken, sondern die besten Gläser und das feinste Porzellan und sieben Gänge, damit sie dazwischen Selfies und Videos machen können. Natürlich bekommen sie trotzdem nur Pressglas und Blechbesteck. Aber da ahnt man den sozialen Druck, der entstünde, würden sie wirklich ihren sozialen Aufstieg auf unseren Wegen und nach unseren Regeln angehen: Dann müssten wir mit ihnen konkurrieren. Und eigentlich möchte ich mich still ohne weitere Konkurrenz über meinen Liberi freuen, und dass sich diese Leute weiterhin in ihren seltsamen Gefährten selbst wegsperren.
Es nimmt einfach den Druck aus unserem Dasein, und schon jetzt ist es nicht leicht, gute Opernkarten zu bekommen. Ich war letzte Woche in der Pinakothek, sie war ohnehin schon zu voll, und nur mit Mühe bekamen wir einen Platz im Cafe Klenze. Ich möchte mich im Antiquariat nicht um die Jesuitenliteratur des Rokoko prügeln, und wenn ich verschlafe und meine bevorzugten Händler auf dem Antikmarkt erst beim einpacken erreiche, sollen sie mir nichts von jungen Leuten erzählen, die auf die Stretchprollkutsche verzichteten und lieber die barocken Messingleuchter kauften. Eigentlich, so sind wir dann überein gekommen, ist es doch nett, wenn der Kapitalismus auf dem schmalen Weg zur Elite ein paar mit zu knappen Kleidern und Wodkaflaschen gepflasterte Autobahnabfahrten Richtung Konsumhölle einrichtet, die immer hell beleuchtet ist und stets das Neueste bereit hält.
Draussen sprengen sie sich jetzt die Finger mit Schwarzpulver ab. Jedes Schüsschen ein Todesküsschen, jedes Stösschen ein Neuröschen.
Ach so, frohen Neues, alles Gute für das kommende Jahr und immer eine Handbreit Edelmetall unter dem Bug des sinkenden Euro-.Kahnes.