Zur siegreichen Beendigung des Krieges soll und kann jeder Deutsche beitragen. Er kann es, wenn er mithilft, die Finanzkraft des Reiches zu stärken.
Aufruf zur Goldablieferung, 5. März 1915
Stellen wir uns vor, ein paar Münchner Immobilienspekulanten – jeder kennt sie, schmierige, unsympathische Typen, die ohne einen Schuss Blut von Mietern keinen Espresso trinken und deren Frauen sehr blond sind, und Porsche Cayenne fahren – hätten sich abgesprochen, die Preise für Wohnraum in der schönen Stadt an der Isar künstlich hoch zu halten. In Unterfranken wird einem der Wohnraum nachgeworfen, in Berlin sind ungepflegte Nudelhipster noch immer nicht nach Leipzig weggentrifiziert worden, und im Ruhrgebiet könnte man auch wieder Wölfe ansiedeln, nur München soll genau so bleiben, wie es ist. Und deshalb kaufen sie jede Wohnung auf, deren Preis nicht ihren Vorstellungen entspricht, verknappen das Angebot und halten somit den Markt künstlich in jener Erhitzung, die momentan tatsächlich allgemein beklagt wird.
Und dann kommt aber ein Grossinvestor daher und droht, in Münchens Umland grenzenlos billige, billigste Wohnungen in grosser Zahl auf den Markt zu werfen, nachgerade Wohnungen fast zu verschenken. Daraufhin gibt das Konsortium, dem die Sinnlosigkeit seines Treibens klar wird, die Preise wieder frei, und der bislang künstlich gestützte Preis der Immobilien fällt ins Bodenlose. Es gehört wenig Phantasie dazu, sich dann die hämischen Jubelmeldungen der Presse vorzustellen:
DIE IMMOBILIENBLASE IST GEPLATZT – WEISHEIT DER MÄRKTE TRIUMPHIERT
Und darunter würde viel Spott auf all diejenigen ausgegossen werden, die dumm genug waren, bei diesem Spiel mitzumachen und zu glauben, dass das Konsortium auf immer und ewig die hohen Immobilienpreise garantieren würden. Chefvolkswirte würden Gastbeiträge schreiben und sagen, sie hätten das schon immer gesagt und so eine Marktverzerrung sei riskant, die Strafe für die Anleger vollstens berechtigt, während die braven Bankkunden, die ihre Aktienfonds gekauft hätten, nun im Himmel der Glückseligkeit wären. Das würde reissend Absatz finden bei allen, die nicht Immobilien gekauft haben. Denn auf niemandem tritt man erfreuter herum, niemand auf dem Erdenrund ist nun mal verhasster als der langfristige Wohnraumvermieter in guten Lagen, der über Miet- und Preiszuwachs lachen konnte, während die anderen dafür bezahlen mussten. Die Blase ist endlich geplatzt, Gott sei es gedankt. Und es konnte doch wirklich jeder sehen. Darauf eine Torte.
Dazu müssten die Wohnungpreise sicher auch keine 20 Prozent abstürzen, wie es dem Euro letzte Woche gegenüber dem Schweizer Franken in einem Szenario wie oben beschrieben passiert ist: De facto war die Schweizer Nationalbank nämlich so ein Konsortium, das den viel zu hohen Wechselkurs des Euro festschrieb, und die EZB der fremde Investor, der nun droht, den Markt mit Euro zu schwemmen. Jahrelang haben die Schweizer Euro und Euroanleihen aufgekauft und damit auch eben jene Spekulanten gefüttert, die sich nun böse verbrannt haben, weil sie ihre Kurswetten mit fremdfinanzierten Hebeln betrieben. Viele Monde lanf versprach die Konstellation hohe Gewinne bei geringen Risiken. Wenn jetzt die Deutsche Bank 150 Millionen Euro bzw paritätische Franken Verlust machen sollte, dann haben nun jene traditionsbewussten Kontograubündner und Schliesfachgenfer den Gewinn, die auch weiterhin an den Ruf des Franken als Fluchtwährung geglaubt haben. Dass dabei ähnliche Weichwährungen wie polnische Zloty und britische Peseten mit unter die Räder der Weisheit der Märkte kamen, ist nicht weniger als folgerichtig. Kurz:
DIE EUROBLASE IST GEPLATZT – aber so drastisch will das keiner sagen.
Dabei besteht eigentlich kein Grund zur Annahme, dass wir das bei derartigen Turbulenzen genau so drastisch sehen würden, beträfe es China, Indien oder Südamerika. Zumal, wenn man sich vor Augen führt, welche phantastischen Versprechungen den Euro begleiteten. Hebt man nur etwas den Blick von den Tabellen, führt man sich das grosse Bild vor Augen, dass die kleine Schweizer Nationalbank das alles mit einer einzigen Entscheidung anrichten kann, stellen sich natürlich höchst unangenehme Fragen. Und auch kurzfristig bleibt niemand verschont – der drastische Kursverlust des Euro frisst natürlich im internationalen Vergleich die Gewinne derer, deren deutsche Immobilien in Euro teurer wurden. Nur will das keiner wirklich sehen, und am den Gestaden des Tegernsees geht das Leben am richtigen Ende der Solidargemeinschaft mit Torte ungebrochen weiter, als wäre nichts passiert.
Das liegt vermutlich nicht nur an den Schweizer Konten und am erwartbaren Umstand, dass dieser Crash auch im kommenden Jahr zusammen mit den günstigen Krediten für rapide steigende Immobilienwerte der hiesigen Besitzer sorgen wird. Der eigentliche Grund ist, dass man bei uns stets versucht ist, Blasen zu meiden und ordentlich zu wirtschaften. Blasen sind etwas für Neureiche, Zocker und Ahnungslose, aber nach vier, fünf oder acht Generationen kennt man das, man hat genug Pleiten gesehen und agiert vorsichtig. Antizyklisch. Man überlegt, was man tut, man wägt ab, das war noch immer die beste Idee, und kauft lieber zehn mal zu wenig als einmal zu viel. Das ist natürlich tugendsam und bewährt. Es sorgt aber auch dafür, dass man vor lauter kleinen Blasen die gigantische Blase des Geldes nicht sieht, die auf Knopfdruck in der EZB geschaffen wird, um einen Kontinent wirtschaftlich beisammen zu halten, der mit Deutschland einen Gewinner und daneben ganz viele Verlierer kennt.
Ausserdem, das lehrt die Erfahrung, steht man nicht an der Spitze dieses Systems, um sich als Verlierer zu fühlen – die Neigung zu Ignoranz und Selbsttäuschung ist gross, und alle, die schon etwas länger reich sind, könnten da ihre Urgrosseltern fragen, warum sie damals bis zuletzt die Kriegsanleihen des Ersten Weltkriegs gezeichnet haben. “Weil es damals wenig Alternativen gab“, würden die Urgrosseltern sagen und darauf verweisen, dass man als Patriot nachgerade dazu gezwungen war, sei es aus Pflichtgefühl oder wegen der Beschränkung anderer Anlageformen. Das gibt es heute natürlich nicht mehr im wirtschaftsliberal-freiheitlichen Europa, dafür drohen Negativzinsen, volatile Aktienmärkte und völlig überteuerte Immobilien in Bestlage. Zyniker würden sagen, der einzige Ausgang aus der umfassenden Euroblase wären andere Blasen. Vielleicht wird hier deshalb so sehnsuchtsvoll auf die Neueröffnung des Schlosscafes gewartet – was man selbst verprasst hat, kann kein Staat mehr verprassen.
Tun – kann man eh nichts. Vielleicht muss man es einfach relativ sehen, und die Medien sind ja so freundlich, uns das traurige Schicksal jener Polen vorzuführen, die unter den Carry Trades ihrer Hausfinanzierung leiden. Man betrachte bitte auch die Jugendarbeitslosigkeit in Italien, die geplünderten Rentenkassen der Iren, und den grassierenden Wahnsinn der Griechen und Spanier, die es wagen könnten, demokratisch jemanden zu wählen, der nicht das Knie vor Berlin beugen will. Das ist erst schlimm. Da haben wir es gut. Da kann man sich schon schmerzbefreit an der schleichenden Finanzierung all der abnormen Schulden beteiligen, die immer noch da sind und nie weg waren, aber eben auch unsichtbar wie die leidige Euroblase.
Aber Leuten beim Kakerlakenessen zuschauen, das ist plakativ, und damit beschäftigt man sich gerne.