Kein Alkphol ist auch keine Lösung
Die Toten Hosen, Oxfam-Unterstützer
Das Entschuldigen gehört zum guten Ton und kann, wie man das bei uns lernt, gar nicht früh genug anfangen. “Entschuldige meine Liebe, dürfte ich Dich bitten…“, so beginnt gehobene Konversation, mit der vorausgeschickten, verbalen Verbeugung, die keine Erniedrigung ist, sondern ein Zeichen des richtigen Bewusstseins im Umgang mit anderen. Das funktioniert bestens gegenüber Gleichgestellten, die nicht minder Rücksicht auf die Befindlichkeiten nehmen und jede kleinste Inanspruchnahme ebenfalls mit einem angedeuteten Rückzug einleiten. Das ist wie früher der Knicks oder die Verneigung, reine Höflichkeit und hat eigentlich auch wenig zu bedeuten. Man macht das eben so, wenn der andere nicht von allein merkt, dass man gerne noch etwas Tee hätte, die Butter nur unter Verrenkungen zu erhaschen ist, oder das Konzert in vier Stunden beginnt und die Begleitung nun langsam anfangen sollte, sich mit der Kleiderwahl zu beschäftigen.
Leider wird das Verhalten von jenen, die nicht diesen Kreisen angehören, falsch aufgefasst. Natürlich fangen wir sehr früh an, um Entschuldigung zu bitten, aber das heisst nicht, dass unsereins gewillt ist, auch sehr schnell im Staub zu kriechen und in Kotau-Haltung um Vergebung zu winseln. Genau das aber wird erwartet, wenn etwa von der Unterschicht Privilegien angesprochen werden. Dabei muss es noch nicht einmal um uns selbst gehen, oft wird erwartet, dass sich unsereins distanziert und dieser sozial empörten Unterschicht den Polante macht – kurz, dass wir einerseits zerknirscht zugeben, ebenfalls Vorrechte zu haben, uns dann aber entsetzt abwenden von den gefühlten Unverschämtheiten, die der Unterschicht zugestossen sind. Froh ist man da um eine Ausrede wie etwa im Fall des Freudenhausbetreibers, der einen gekauften Adelstitel führt und jüngst verurteilt wurde – das ist dann keiner von uns, von dem muss man sich nicht absetzen, das war neureich und zeigt, liebe Unterschicht, wie es ausgeht, wenn man sich erhöht, ohne vorher gefragt zu haben.
Schwieriger wird das dagegen schon bei den Helikoptereltern, denen der Film „Frau Müller muss weg“ ein viel zu harmloses Denkmal setzt. Die oft wegen Klassismus beklagte Realität ist viel schlimmer und voll mit nutzlosen Kulturstudienerzeugnissen, die sich in Heiraten mit Funktionseliten stürzen und dann unbedingt hochbegabte Kinder wollen, die Klassen überspringen müssen und deshalb schon minderjährig so weit sind, dass ihre Geistesgeschenke öffentlich zur Aufführung gebracht. werden. müssen. Theaterintendanten, Chorleiter und Betreiber städtischer Galerien können ein Lied davon singen, wie schwierig die Integration solcher seelenloser Zuchtergebnisse mit reiner Abiturstoffstopfung in den Betrieb ist. Aber es hilft nichts, denn Papa kennt die Leitung des Fördervereins. Und Mama ist mit einer freien Hilfsschreiberin einer Zeitung befreundet, die sich zur “Redakteurin“ hochdichtet und dann auch einen netten Beitrag über den Ihvähnt schreibt, wie sie es sonst nur für die von Mama mitverantworteten Initiativen macht, die das sozialgerechte Leben in der Provinz von Garmisch bis zum Potsdamer Nobelvorort Marzahn heutzutage für das gute Gewissen einfordert. Mann will sich ja später nicht bei den Kindern für diese Welt entschuldigen müssen.
Da muss man erst mal eine gute Ausrede finden, wenn man für solche Konstellationen nicht mit verantwortlich sein will. Ich sage entschuldigend, dass das eben die neureichen Privatfreudenhausbetreiber des Kulturbetriebs sind. Keine von uns, aber man hat auch in meiner Zeit die Kinder ohne Privatschule, aber mit entsprechendem Druck ebenfalls in die Psychiatrie gebracht. Heute geht das alles zügiger, und ausserdem ist das ein guter Grund, die Missratenen später mit ihren Deformationen wirklich in Oxford oder Harvard zu verstecken. Trotzdem sind solche biodynamisch aufstiegswilligen Helikoptereltern enorm ärgerlich, denn es sind ja nicht alle so. Die Meinung der A. aus bestem Hause etwa, dass ihre Tochter, wenn sie für das Gymnasium zu dumm ist, einfach in die Realschule gesteckt wird, ist gar nicht hoch genug zu schätzen Freilich, die A. ist vermögend und musste selbst zu einem Studium gezwungen werden, das sie zutiefst hasste.
Die A. ging daran nicht zugrunde, sie hat nur ihre Schlüsse daraus gezogen. Ihre Tochter wird vielleicht kein erstklassiges Heiratsmaterial, aber ähnlich gewitzt, ausreichend versorgt und zufrieden wie die inzwischen, Entschuldigung, ambitionsfrei alleinerziehende Frau Mama. Damit wäre dieser Beitrag eigentlich abgeschlossen – aber es gibt ja auch noch das Weltwirtschaftsforum in Davos, und da hat sicher so eine Kulturfrau zu ihrem Funktionselitenmann gesagt, dass man das doch nicht veranstalten könnte, ohne entschuldigend an die ganzen Armen zu denken, die nicht wie die Elite in der Schweiz über der Weinkarte die Aussprache der Chateaus erraten können.
Deshalb sitzt da auch die Organisation Oxfam unter dem Motto “Save the children” unter all den wichtigen Leuten und teilt entsetzt mit, dass das oberste Prozent dieses Planeten bei 2,3 Millionen Euro beginnt, trotz Abwertung gegenüber dem Franken. Das sind laut Oxfam die Superreichen, die genauso viel besitzen wie die restlichen 99 Prozent. Mich würde mal interessieren, wo diese 99 Prozent sein sollen, bei uns am Tegernsee jedenfa Ich denke, das sind so die Momente, da erwartet man von unsereins eine Entschuldigung für das Raffen, Ausbeuten und Blutsaufen, das zu dieser enormen Ungleichheit führt. Man möchte uns beim Privilegien checken zuhören und wenn ich nun sage, dass ich dabei noch Platz für ein Barockgemälde gefunden habe, ist das nicht ganz die richtige Antwort. Früher musste man beim Aufessen noch an die armen Negerkinder denken – heute ist da eine globale Organisation, die weltweit schlechtes Gewissen verbreitet. Und ich habe auch keine Zweifel, dass all die Kulturmütter genau diese interkulturelle Awareness an den Nachwuchs weiter geben, denn mit den enormen Studiengebühren in Oxford, Geigenkursen, dem Zweit-Rangerover und einer teuren Mietwohnung in Lichtenberg oder Charlottenburg bleiben sie auch knapp unter der bescheidenen Grenze.
Aber andere nicht. Die Mutter der A. beispielsweise ist Witwe und kommt, ohne je auch nur einen Tag im Leben einer bezahlten Arbeit nachgegangen zu sein, federleicht über diese Grenze. Das geht ganz schnell bei uns, reiche Bauernfamilie, eine Villa im Westviertel und ein kleines Geschäftshaus, in dem ihr Mann seine Praxis hatte – schon ist sie eine dieser Schurkinnen, ungeachtet des Umstands, dass sie sich im Hospizverein engagiert. Die A. selbst hat das Haus ihrer Grosstante bekommen, von dem man nichts herunter beissen kann, und das aufgrund seines Alters unpraktisch und teuer im Unterhalt ist – aber auch damit ist sie schon auf dem halben Weg zum superreichen Prozent. Der Rest kam halt durch Erbschaften in der sich verkleinernden Sippschaft zusammen, das geht schnell und man merkt es kaum. Ein etwas zu grosses Haus, etwas Sicherheit für sie selbst und für ihre Tochter, eine liebenswerte, sozial engagierte Mutter – mehr ist das nicht bei den angeblichen “Superreichen“. Entschuldigung, aber dafür kann man sich doch nicht entschuldigen. Eine ordentliche soziale Grundsicherung, könnte man sagen. Nicht ganz arm. So arm jedenfalls, dass sie die Patentrezepte von Oxfam wie Vermögensbesteuerung und weniger Steuerflucht überhaupt nicht betreffen würden.
Aber selbst wenn – nichts garantiert uns, dass eine Plünderung bei der A. tatsächlich die Ungleichheit der Welt begrenzen würde. Denn weit vor dem traumatisierten Kindersoldaten im rohstoffreichen Kongo und der minderjährige Näherin in Bangladesch sitzt eine engagierte Kulturautorin an ihrem neuen Klapprechner und schreibt zwischen dem Onlineshopping einen Beitrag, wie wichtig doch Bildung und Kulturförderung besonders für die Hochbegabten sei, dass man da zu wenig tue, zumal man doch letzte Woche bei der Vernissage in der städtischen Galerie das Potenzial gesehen hat. Mehr Instrumente müssten an die Schulen, mehr interkulturelle Erlebnisse sollten geplant werden, und natürlich muss man auch besondere Awareness für die seelische Zartheit der Zukunft dieses unseres Landes empfinden. Deshalb wäre auch mehr Chinesischunterricht an den ausgewählten KiTas ganz famos, und leisten kann man sich das wohl, bei all den bösen, privilegierten, auszubeutenden Superreichen, die Oxfam aufgestöbert hat. Man muss nur den richtigen Schurken an die Gurgel, jenen, die etwas mehr haben als man selbst, in diesem kalten, ungerechten Land, in dem eine Mutter den Range Rover zum Kinderabholen an der Schule nicht steuerbegünstigt betreiben kann. Das ist ein unentschuldbarer Skandal, da muss man schleunigst was tun.
Dann schafft es das Kind auch zu den Young Global Leaders nach Davos.