Herr, es ist nur Pappelholz, ganz weich.
Don Camillo
Seiner Heiligkeit Papst Franziskus hat es nun also gefallen, sich nicht ganz ablehnend zur körperlichen Züchtigung von Kinder durch Eltern zu äussern, und er tat dies in Rom. In Berlin hätte er vielleicht angesichts liberaler Erziehungemethoden auch bewerten müssen, wie das Schlagen der Kinder gegen ihre Eltern zu bejubeln ist; ein Verhalten also, für das man uns in meiner Kindheit in Bayern sauber zusammengefaltet hätte, das aber heute recht normal zu sein scheint, und unter dem Schlagwort „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ eher als Tugend denn als Verstoss gegen Anstand und Sitte aufgefasst wird. Natürlich mag es der Berliner nicht, wenn so ein römischer Papst die Weltbedeutung seiner Metropole nicht anerkennt und vergisst, liberale Methoden ausdrücklich zu loben, und auch nicht erwähnt, dass jede Unverschämtheit des Kindes ADHS ist und ADHS nur Ausdruck der nicht erkannten Hochbegabung, weshalb momentan die Kritik am Heiligen Vater nicht verstummen mag.
Natürlich könnte man sich im katholischen Bayern – und wie man vielleicht weiss, wohne ich in jenem Jesuitenseminar, das seinerzeit fast schon ein zweites, ketzerverbrennendes Rom war – einfach hinstellen und auf die unergründlichen Wege Gottes vertrauen, denen zufolge dreisten Heiden, lautstarken Ungläubigen und den Ketzern der lutherischen Lehre später im Jenseits für die Kritik eine Behandlung droht, die weitaus übler als die paar Watschn ist, die hier in Bayern als gelebtes Brauchtum des geselligen Beisammenseins gelten. Ein Volk, das früher zu Lichtmess traditionell Stechereien mit dem Hirschfänger abhielt – „Licht aus, Messer raus“ war ein oft vernommener Aufruf in die Gaststätten – hat nun einmal eine andere Auffassung zum Grenzwert, der Fürsorge von Gewalt trennt. „A Watschn“ ist wangenrötend nett, „A Fotzn“ ist an der hämatombildenden Grenze und „oane einebetonian“ richtet sich gegen den festen Sitz der Zähne und wird wirklich als feindlicher Akt gewertet. Man sieht also, dass angesichts des sprachlichen Feingefühls meiner Landsleute durchaus eine genauere Erläuterung des christlichen Erziehungsgewaltbegriffs durch den Papst von Nutzen ist.
Und man sollte bei allem Entsetzen vielleicht auch nicht vergessen, dass es hier Lehrern noch ein den Ochzga Joahn vom letzten Jahrhundert auf dem Lande passieren konnte, dass Eltern beim Elternabend erklärten, welche Art Schläge sie angemessen finden und welche davon man dem Lehrpersonal überlassen möchte. Schlimm waren diese Zeiten, aber mancher Lehrer, der sich heute mit dem Anwalt der Eltern herumschlagen muss, weil deren Bratzen keinen Übertritt an die Gymnasien bekommen, wird im direkten Vergleich fast etwas milde werden. Wie auch immer, die Zeiten ändern sich und es ist zu vermuten, dass die generelle Wertschätzung des Kindes auch weiterhin nicht berücksichtigen möchte, dass da auch nur die Zukunft der Zerstörung des Planeten heranwächst.
Das fängt schon im Kleinen an. Was ich immer wieder höre, ist der Ärger um die Gnaschigkeit des Nachwuchses. In der Jugend meiner Eltern kannte man das nicht, da war man froh, wenn man überhaupt etwas hatte. In meiner Jugend wurde zwar nach den Vorlieben gefragt, danach dann aber gegessen, was auf den Tisch kam. Heute dagegen wird verweigert, nicht aufgegessen und zurückgeschickt, dass man sich als nicht Betroffener nur wundern kann. Natürlich sollte das Herz für die Kindlein schlagen und bei den alten Leuten berücksichtigen, dass sie ihr Leben schon hatten. Aber letzthin war ich beim Kloster Reutberg zwischen einem alten Ehepaar, das die Portion nicht schaffte und sich den Rest einpacken liess. Und überforderten Eltern, deren Kinder das Essen erst kaputtspielten, hineinspuckten und dann aufstanden, um das Elend jenen zu überlassen, die dafür zu zahlen hatten. Ich bin der Meinung, dass die alten Herrschaften ruhig länger diese Welt bevölkern sollten und ich weiss auch, dass mich meine Eltern bei so einem Kinderverhalten – also, ich kann das nur vermuten, bei uns war klar, dass man sich so etwas nicht leisten kann. Da blieb man auch sitzen und entschuldigte sich, wenn man sich erhob.
Das neue Verhalten ist dann tatsächlich der entwürdigende Moment des Umgangs mit der Schöpfung. Viele weniger heilige Väter schauen dann verzweifelt und fragen sich, warum sie Bratzen etwas biologisch Gutes bestellen wollen, wenn die nur den Dreck der Fastfoodketten und Süssigkeitenmultis in sich hineinstopfen, aber die Rohrnudel nur anstochern, die Haut auf der Vanillesosse beklagen und dann nach dem iPad krähen. Da könnte einem im vorgewaltausübenden Umfeld schon mal die Hand ausrutschen oder zufälligerweise ein Watschenbaum umfallen. Schliesslich ist so ein Verhalten auch noch teuer, und so kommt man tatsächlich vielleicht nicht mehr von Federn auf Stroh, aber auch nicht zur eigenfinanzierten Immobilie im Voralpenland. Ich finde, es gibt schon Momente, da könnte man darüber reden, wie man dafür sorgt, dass die Würde der Eltern nicht so abgefotzt wird.
Ich bin bekanntlich wohlgeraten und mein Benehmen wird allgemein gerühmt, und das Erfreuliche ist, dass zu diesem Ziel einen Mittelweg zwischen der Faust des Heiligen Vaters und dem modernen, hilflosen Versager mit sanfter Biofrau und den Nurdasbestefürdiekindern gibt – nämlich das, was meine Eltern mit dem Rotzlöffel gemacht haben, der ich gewesen bin. Ich hatte natürlich auch so meine Marotten und deshalb haben wir Bergurlaub gemacht. Auf einem Bergbauernhof, beim Louis. Und der Louis hat in seiner grossen, schwarzen Küche für alle gekocht. Mit drei Gängen, aber halt nur jeweils ein Essen am Samstag. Man mag vielleicht denken, dass eine grössere Auswahl fein gewesen wäre, und so wurde man am Sonntag auch belohnt. Was am Vortag übrig blieb, wurde nochmal verkocht. Und was dann verweigert wurde, wurde am Montag wieder aufgetragen. Freitag wurde meist nicht frisch gekocht, da wurde alles zusammengekocht, was im Laufe der Woche übrig blieb. Das war früher im schönen Südtirol so und auch in Bayern, da hat man nichts verkommen lassen und am Ende ein Gröstl gemacht.
Einmal, ich erinnere mich noch genau, weil ich dachte, ich würde sterben, war am Samstag etwas übrig geblieben, das dann im Freitaggröstl war und danach war ich sehr krank, aber ich habe überlebt und sogar dem Lausbub, der ich war, war einsichtig, dass es nur einen Weg gibt, dem Gröstl zu entkommen: Indem ich vorher alles wegputzte. Man muss dazu wissen, der Hof vom Louis lag am Berg und da konnte man zwar Preiselbeeren zupfen, aber nicht zu einem Supermarkt. Man bekam auch genug. Und ich habe zwangsweise aus Angst vor dem Gröstl alles probiert und dort zum ersten Mal den heute heissgeliebten Kaiserschmarrn gegessen, den ich bis zu diesem Zeitpunkt ohne Probieren abgelehnt hatte, weil ich lieber Pfannkuchen und Marmelade wollte. Das Verhalten haben mir die Salmonellen im Gröstl ausgetrieben, und keiner musste mich deshalb würdevoll schlagen. So eine Salmonelle kam wohl öfters vor, da hat ausser dem Erkrankten keiner ein Gschiess sich keiner Gedanken drum gemacht und ein paar Tage später bekam ich schon wieder Eis in Brixen. Ein Guter hält es aus und einen Schlechten muss man auf diese Art und Weise dann nicht im Bergwald aussetzen.
Gut. Gröstl mag ich bis heute nicht. Aber auf ewig wird die Frage im Raum stehen, wie man den richtigen Weg bei der Aufzucht beschreitet, so uns denn nicht der Russe ins Haus fällt und den Krieg beschert, von dem bei uns immer die Rede war, wenn man sich zu sehr anstellte. „Es müsste mal wieder ein gscheider Krieg kommen, dann wirst Du …“ war auch so eine in Bayern übliche Drohung, bei der sich keiner etwas dachte, und die heute vermutlich wieder sprachfeinfühlige Antidiskriminierungsmütter in Trab setzen würde, auf dass kein Kinderohr ein Trauma bekommen sollte. Das will ich natürlich auch nicht, und würde deshalb die Salmonelle einfach als gottgegebes, homöopathisches Naturprodukt werten wollen. Die Schöpfung weiss schon, was sie tut, man mus ihr nur Wirkungsmöglichkeiten geben – dann geht es auch ohne Schläge, Rizinus und Kapitulation vor der Unmoral der Kinder.