Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

50 Shades aus professioneller Sicht

„This ain’t the heartache that I thought I knew
This ain’t the party that I thought we’d do
You got your limit, baby I got mine“

St. Paul and the broken Bones, Call me

Es soll neuerdings Menschen geben, die im Kino masturbieren. Nicht im Pornokino, da erregt das denkbar wenig Aufsehen, sondern in irgendeinem ganz normalen Kino. In einem, in dem völlig legal und unhinterfragt 16-jährige sitzen, oder auch 13-jährige, die etwas älter aussehen, weil wir haben ja eine immerhin eine FSK, was sich in der Akzeptanz von Blut- und Hirnspritzern in für Teenager frei zugänglichem Filmmaterial zeigt, aber wehe, es spritzen andere Körperflüssigkeiten.

fisa (8)

Jedenfalls, nachdem ich mich schon nicht fürchte, ein Pornokino zu betreten, schreckt es mich auch nicht, mich in ein ganz gewöhnliches Kino zu setzen, und mir den Film anzusehen, der angeblich momentan reihenweise den Leuten die Sicherungen durchbrennen lässt. Üblicherweise hätte mich das nicht weiter interessiert, ich habe einen ganz anderen Geschmack und eine große Cineastin bin ich auch nicht, aber als Sexarbeitende zählt so etwas ja schon fast als Fortbildungsveranstaltung. Man muss wohl in meiner Branche damit rechnen, in nächster Zeit nach Kabelbindern und Klebeband gefragt zu werden, schenkt man dem Hype Glauben. Und um ehrlich zu sein, mir war die Zeit für das Buch zu schade, hier liegen noch Pitigrilli, Gerheim und beide Ausgaben des Kinsey-Reports, ich werde mich beherrschen können, 50 Shades of Grey dazu zu legen.

Insgesamt scheint das Werk ja großes Interesse zu finden, und es gibt Stimmen, die sich lobend äußern, weil die Beliebtheit der Geschichten um Mr. Grey und Mrs Steele sexuelle Devianz zum Thema macht, und es der Gesellschaft sicher gut tut, das mal etwas breiter und offener zu diskutieren. Grundsätzlich wäre ich nicht abgeneigt, dem zuzustimmen, aber ich habe gestern den Film gesehen und bin noch nicht fertig mit Kopfschütteln.

fisa (6)

Es wäre möglich gewesen, sich dem Thema behutsam und auf eine gedeihliche Art und Weise zu widmen. Mutig wäre es gewesen, einen Film zu machen, der die Dynamik einfängt, die gewisse Bedürfnisse gelegentlich entfalten, und dabei zeigt, dass Menschen mit auf den ersten Blick ungewöhnlichen sexuellen Vorlieben durchaus ganz wunderbar funktionierende und beglückende Beziehungen leben können. Einen Film, der die Leute ermutigt, sich mit ihren Neigungen und Wünschen offen auseinanderzusetzen, der gelingende Kommunikation, respektvollen Umgang zeigt und Lust macht, auf Entdeckungsreise mit der eigenen Sexualität zu gehen.

Schließlich ist es nicht von der Hand zu weisen, dass es einen Anteil an Menschen gibt, die das, was man landläufig als „Sadomasochistische Neigungen“ bezeichnet in sich tragen, und nach meiner bescheidenen Meinung und Erfahrung sind das jetzt nicht so verschwindend wenige. Und anscheinend vor allem so viele, dass man sie als potentielle Kundschaft für allerlei Sexspielzeug entdeckt hat, anders ist das aufdringliche Merchandising nicht zu erklären. Sogar die Krawatte, mit der Mr. Grey seine Teuerste fesselt, kann man käuflich erwerben, und die Zielgruppe bewertet sie bei Amazon mit nicht weniger als 5 Sternen. Es ist auch eine After-Spanking-Creme erhältlich, mit Arnika, Jojoba und Vitamin E, aber natürlich ohne Heparin, weil so etwas gehört dann in die Apotheke und nicht ins Spielzimmer und so fest zuschlagen, dass man die Verwendung einer Heparinsalbe in Betracht ziehen könnte, also bitte, das ist jetzt ja wirklich total krank.

Der Film schafft es, ganz implizit doch recht klare Vorgaben zu machen, was unter annehmbarem Sexualverhalten zu verstehen ist, und was nicht: Mr. Grey und Mrs Steele verhandeln schließlich en detail, wie weit die Unterwerfung zu gehen hat, theoretisch jedenfalls, und sie bekommt deswegen sogar zwei Safewords, eines für die harten Limits, und eines für die soften. Da wo ich herkomme, ist ein Nein ein Nein, und stop heisst stop, und zwar gleich aufs erste Mal, und ich muss ganz offen zugeben, dass ich diese Regelungen auch für sehr sinnvoll halte, selbst wenn das manche Menschen als rückständig betrachten.

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Die Zuschauer lernen im Verlauf der Verhandlungen um den „Sklavenvertrag“ der Protagonisten, dass Genitalklemmen und jede Form von ganzhändiger Penetration rundweg abzulehnen, Stalking und Bevormundung aber als gleichzeitig sexy und fürsorglich zu betrachten und damit völlig akzeptabel sind, vor allem, wenn der Stalker wohlhabend und jungdynamisch ist und die Liebste mit dem eigenen Heli abholt. Auch manipulative Gesprächstechniken, teure Geschenke und Einflussnahme auf das komplette soziale Umfeld sind anscheinend probate Mittel, um an Beischlaf – pardon – konsensuelle Hingabe, zu kommen.

So lange die Bereitschaft zum Sex nicht durch die Zahlung eines Betrages X in bar erkauft wird, scheint fast jedes Mittel legitim und vom Zweck geheiligt, und natürlich kommt auch dieser Film nicht ohne ein billiges Hurenklischee aus: Mr. Greys Mutter war Prostituierte, und fraglos ist der Gute durch diesen Umstand emotional so fragwürdig konditioniert. Falls Sie den Film gestern gesehen haben, und hinter Ihnen bei dieser Szene jemand kurz aufgelacht hat, war das wahrscheinlich ich.

Der sexuelle Missbrauch, den er im Umfeld seiner wohlhabenden Adoptivfamilie erlebte, in die er aufgenommen und so von der Bürde der sich prostituierenden Mutter erlöst wurde, wird dagegen erstaunlicherweise als fast schon einvernehmlich und wohltuend, sozusagen als persönlichkeitsbildende Maßnahme dargestellt. Eine Freundin der Adoptivmutter hat ihn als Teenager in die Geheimnisse des Sadomasochismus eingeweiht, und die beiden verbindet seither eine merkwürdige Art von Freundschaft. Ich wundere mich ernstlich, hierzu noch keine Kritik vernommen zu haben. Ich dachte, es gebe zu diesen Fragen einen gesellschaftlichen Konsens, und ich wäre ehrlich überrascht, wenn dieser trotz des einträglichen Geschäfts mit diesem Film nicht verteidigt würde. Ich meine, hatten wir da nicht kürzlich hitzige Diskussionen und verschärfte Gesetze und einen Pranger und vielleicht auch noch die ein oder andere offene Frage?

fisa (1)

Es sitzen Menschen zuhause im dunklen Kämmerlein und fühlen sich krank, weil sie sich gerne mal den Hintern versohlen lassen möchten oder jemandem eine solche Behandlung angedeihen lassen, und im Kino läuft ein Film, der zeigt, dass BDSM-affine Menschen emotionale Wracks sind, die einander in völliger Kommunikationsunfähigkeit umkreisen und sich letztendlich unglücklich trennen. Letztlich schlägt Mr. Grey dann nämlich etwas zu fest zu und der Abschied im Aufzug lässt natürlich Raum für Hoffnungen auf eine Fortsetzung der Geschichte. The Show must go on, und so lange die Leute zu zahlen bereit sind, kann es so schlecht ja nicht sein.

Ich glaube nicht, dass Menschen durch die Verfügbarkeit billigen Sexspielzeugs im Fifty-Shades-Look besseren Sex haben. Ich glaube insgesamt nicht, dass dieser Film irgend etwas beiträgt zu Akzeptanz und Offenheit in Sachen Sexualität, er zementiert Vorurteile, und die Leute bezahlen das auch noch mit ihrem sauer erarbeiteten Geld. Allein die Werbung vorab lässt ja klar erkennen, an welche Zielgruppen der Film sich wendet. Vegetarische Wurst, Ikea und Potenzmittel. Man könnte lachen.

fisa (3)

Entsprechend weiß ich nicht, was an dem Film so bejubelnswert ist, denn ganz ehrlich: Ein tiefsinniges Drama habe ich gestern nicht gesehen, auch keine Charakterstudie oder Kunst auch nur im weitesten Sinn. Eher einen schlecht gemachten Softporno mit mäßigen Schauspielern und eine Hommage an die grenzenlose Konsumorientierung. Nichts, was dazu anregt, in einen Dialog, ob nun in der Partnerschaft oder der Gesellschaft zu kommen. Nur Werbung für überholte Rollenbilder, einfache Gedanken und den sich mehr oder weniger doch eigentlich von selbst verkaufenden Sex.

Es wäre schön gewesen, einen Film für Menschen zu machen, die das Spannungsfeld, das sich aus den Themen Sex und Macht in dieser Kombination ergibt, interessiert. Einen Film, der es möglich macht, sich auf die Erlebniswelt der Protagonisten einzulassen, einen der vielschichtige und lebendige Charaktere zeichnet, statt Klischees abzufeiern und Aufwertung durch Abgrenzung zu propagieren. Es ist aber leider kein behutsamer, kein aufklärerischer, kein mutiger Film geworden, sondern einer, der an Banalität und Verherrlichung des allgegenwärtigen Konsumdenkens unter dem Deckmäntelchen angeblicher Erotik nur schwer zu überbieten ist.