Wenn die Not am grössten ist, ist Gott am nächsten
sagt man bei uns in Bayern am Berg so, und das heisst auch, dass einem dann die besten Ideen zur eigenen Rettung kommen. So musste ich vorgestern beim Wegräumen meines 94. Rades an den italienischen Radrennfahrer Tullio Campagnolo denken. Den musste einer gern kolportierten Legende zufolge auf einem verschneiten Pass das Hinterrad drehen, aber seine kalten Hände versagten beim Versuch, die Flügelschrauben am Rad zu lösen. So musste er das Rennen aufgeben, aber es kam ihm in der Not die Idee zu einem einfach zu bedienenden Schnellspanner. Den baute er dann, und begründete mit dem Patent seine berühmte Firma Campagnolo, die noch heute für feinste Radkomponenten bekannt ist. An Rad Nummer 94 jedoch habe ich noch die alten Flügelschrauben, und daran habe ich mir beim Hochschleppen in den Speicher einen blauen Fleck gestossen.
Es war, das muss ich hier leider zugeben, nicht das einzige historische Rad, das ich in den Speicher verbrachte. So ein blauer Fleck kann schon mal passieren, wenn man zehn Räder eine enge Speichertreppe hinaufträgt, zwischen 2 und 4 Uhr am Morgen, wohl im Wissen, dass man den Mietern als Besitzer den Krach zumuten darf – isoliert betrachtet. In einem größeren Kontext ist das natürlich weniger erbaulich, denn das hastige Aufräumen hatte einen Grund in Form des A., der hier vorbeikommen wollte und es am nächsten Tag auch so spät tat, dass ich fast beinahe ganz fertig mit dem Aufräumen wurde. Speicher voll, Wohnung leer, so kann man andere Menschen immer empfangen, selbst wenn der A. genau weiß, dass es hier leider, zu meiner Schande, nicht immer so sauber aussieht. Er weiß auch, dass ich nicht immer so müde und so erschlagen bin. Aber wenigstens habe ich aufgeräumt.
Nachdem das hier vertraulich ist und ich darauf rechne, dass Sie das auf keinen Fall weiter erzählen, kann ich auch noch hinzufügen, dass es nicht anders wäre, würde der A. oder so ziemlich jeder Single in meinem Umfeld Besuch daheim empfangen. Früher hatte man die Vorzeigewohnung und die Rumpelkammer, heute hat man die Rumpelwohnung und Pfade, die zum Vorzeigezimmer führen. Man rutscht da so rein, das ist keine Absicht: Man verdient nicht schlecht, sieht hier ein Gemälde und da eine Silberkanne, bietet nur zum Spass mit und ist überrascht, wie billig man manches bekommt. Und dann hat man es und es steht rum. Kommt dann jemand, muss man es wegräumen. Man öffnet den Küchenschrank und merkt, dass da schon 20 andere Silberkannen eng gedrängt stehen und wäre nun froh um einen Ausweg.
Auswege lassen sich immer finden. Der einfachste Ausweg wäre es theoretisch, sich einen Partner zuzulegen, der für derartige Leidenschaften kein Verständnis hat. So ein Partner würde dann schnell anfangen, das Überflüssige zu Geld zu machen, wie jeder weiß, der schon mal bei Ebay Herrenräder erstand, und als Verkäufer genervte Terrorregimes vorfand, die ihre männlichen Untergebenen vor die Wahl gestellt hatten: Das Viertrad oder ich. Das ist hilfreich, aber dazu braucht man erst einmal ein begehbares Wohnzimmer und ein Schlafzimmer, das zumindest in der Nacht erträglich aussieht. Und hier wiederum beisst sich die Katze in den Schwanz, und ausserdem, wo soll man Nachts um 2 noch eine Partnerin herbekommen, die einem auf die Schnelle zehn Räder verkauft? Es ist also alles nicht so einfach, egal ob beim Radsport, den 244 Damenhandtaschen, allen Macbookgenerationen oder – für den Fall, dass Sie ein Berliner Hipster sind – den 2.479 Plastiktüten, die Sie im feuchten Sumpf unter ihrer Spüle horten. Und die 72 Fertigapfelkompottgläser unter dem Küchenschrank.
Genauso wenig ist es möglich, um diese Uhrzeit eine schlecht gelaunte Putzfrau zu bekommen, die einem Druck macht und gehörig anmault, als sei sie der Chef und Sie selbst ein missratener Sohn aus besserem Hause, der mit 200 Quadratmeter Gesamtwohnfläche, Einkommen, Dividende und Apanage nicht auskommt. So etwas wirkt, aber damit sie überhaupt reinigen kann, müsste man erst mal aufräumen und gerade läuft doch diese Ebayauktion aus, da kann man nicht einfach weg. Und deshalb steht man dann in der Nacht vor dem Küchenschrank und wundert sich über all das Zeug, das sich hier abgelagert hat, als hätte es eine Überschwemmung mit Silber gegeben. Oder mit Pradaschuhen. Oder Verpackungen vom Inder – ich hoffe, die Berliner unter Ihnen verstehen jetzt, was ich meine. A. meinte übrigens, ich sollte nicht immer so auf Berlinern herumhacken, aber denen kann man nicht mit Besteck kommen, das muss man können, die verletzen sich damit nur.
Jedenfalls, ich glaube, es war, als ich das La Perle – oder war es das Woodrup oder das Colnago? – in den Speicher trug, als mir eingefallen ist, was man da tun könnte. Also nicht ich natürlich, ich will eigentlich nur eine vorzeigbare Wohnung, wenn Besuch kommt. Aber Sie haben vielleicht Zeit oder sind mit ihrem Job unzufrieden, und da kam mir auf der Stiege eine famose Geschäftsidee. Denn wenn eine gute Fee gesagt hätte: Gib mir 400 Euro und ich mache Deine Wohnung sauber – ich hätte das bezahlt. Das Schreckliche an derartigen Aktionen ist ja, dass man erst mal alles wegräumen muss, um überhaupt putzen zu können, und man würde, durchgeschwitzt und übernächtigt, wirklich viel zahlen. Auf der anderen Seite müsste das Zeug gar nicht dauerhaft weg – ganz im Gegenteil, wir kennen uns zu gut und wissen natürlich, dass wir prompt wieder rückfällig werden und denken: Oh, so viel Platz, dieses eine Barockgemälde da, das nächste Woche in Salzburg zur Versteigerung kommt, hat ebenso viel Platz wie die Nymphenburg-Plastik. Kurz, mit dem Wegräumen ist es nicht getan, nach 2 Monaten wäre alles so wie früher. Es gibt nur eines, was die weitere Versumpfung stoppen kann: Die totale Versumpfung.
Und das ist meine Geschäftsidee für Sie und alle besitzgeplagten Zeitgenossen. Wir rufen Sie an, Sie kommen mit einem Transporter und drei starken Männern, und werfen alles unsortiert hinein. Das geht Ruckzuck, danach putzen Sie schnell noch die Wohnung, überziehen die Betten frisch oder bekämpfen bei den Berlinern die Pilzzucht in den nicht abgespülten Tellern. Es reicht, wenn es so aussieht, als habe sich unsereins echt bemüht. Eine Spinnwebe können Sie auch hängen lassen, damit wir uns angemessen über unsere Schlamperei aufregen und entschuldigen können. Sobald der Besuch weg ist, kommen Sie wieder und kippen das ganze Zeug in die Wohnung, die dann wieder so gemütlich und verlottert wirkt, wie wir Männer uns nun mal gerne nach aussen darstellen. Ironisch natürlich. Das haben wir bei unseren Müttern gelernt, die jammern auch immer, wie verlottert ihre perfekt gepflegten Parkanlagen aussehen und dass der Gärtner seit einer Woche nicht mehr da war. Bei uns ist es wirklich schlimm, aber mit Ihrer freundlichen Hilfe merkt das niemand, und hält es für Koketterie.
Was Sie also erschaffen sollen, ist nicht wie Partner oder Putzfrau die beste aller möglichen sauberen Welten, sondern beide ideale Welten: Das saubere Heim, wenn man es braucht, und die übervolle Lotterbude, die einem mangels Platz die überflüssigen Käufe austreibt. Den Job könnten theoretisch sogar Berliner Hipster und Germanistinnen machen, die sonst nur Strickkurse bei den Saudis geben, und wenn da ein paar Schrammen entstehen, macht das gar nichts – das ist dann Patina. Unser Leben ist damit im Lot, auch wenn es nicht wirklich das Lot unserer Vorfahren ist. Aber die waren ja auch treu und .liessen sich nicht scheiden, während heute Traumhochzeiten und Sex mit Tennislehrer und Golfpartnerin Hand in Hand gehen.
“Real Estate Wealth Management” wäre da auch ein netter Firmenname, mehrdeutig und nicht indiskret, und es schadet nicht dem Ansehen, wenn so ein Lieferwagen in der Nacht vor dem Besuch eines neuen Partners vorfährt. Vielleicht klappt es ja, und dann sorgt das neue Regime schon dafür, dass es keine alten Zustände mehr gibt.
Obwohl. Vorletzte Woche kam ich unangemeldet bei der U. vorbei und… ich will ja nicht indiskret sein, aber ich denke, die Geschlechter haben sich angeglichen und sagen wir mal so, es ist ein weites Feld und eine Arbeit mit Beschäftigungsgarantie, solange die Herren Dolce und Gabbana werkeln. Denken Sie einfach an die kaufgeilen Reaktionen wegen der neuen iWatch und satteln sie um und machen Sie mir ein Vorzugsangebot – ich vermittle Sie dann weiter an fast alle einige Freunde.