Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Wohnen ohne Millionen

Wo wohnen hier eigentlich die Nichtmillionäre?

Diese Frage höre ich oft. Da sitze ich also mit Freunden und Bekannten auf der Bank in unserem kleinen Yachtclub, geniesse den Ausblick, und in ihrem Kopf entsteht der Eindruck, dass das alles viel zu gut ist, um echt zu sein. Da muss es doch mit all dieser silbrigen Luft, dem Blick auf die Berge, dem kristallklaren Wasser und dem Kitzeln der Sonne auf der Haut einen Nachteil geben. Es gibt immer einen Nachteil. Der naheliegende Nachteil ist, dass der Tegernsee seit dem Dritten Reich den Spitznamen „Lago di Bonzo“ trägt und tatsächlich keine alltägliche Wohnlage ist. Mal eben zum See gehen können nur ein paar tausend – oft keiner echten Arbeit ausser dem Vermögensbesitz nachgehender – Menschen, und der Rest wohnt nicht hier. Das ist keine Absicht, das ist nun mal so, aber wenn man sich nicht daran gewöhnt hat, stellt man natürlich solche Fragen.

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Ich privat würde das alles ja einfach still geniessen, so wie ich es jetzt nach vier Wochen am See auch wirklich tue, und mich lieber mit den Enten und Schwänen beschäftigen, als mit denen, die keine Millionäre sind und nicht hier wohnen. Wobei es nicht stimmt, es gibt durchaus viele, deren Vermögen kleiner ist, und inzwischen haben wir hier auch Asylbewerber, mit denen ich mich ganz leicht und politisch unkorrekt aus der Frage herauswinden könnte. Ich könnte auch sagen, dass eine Million heute nicht mehr viel ist und eigentlich gar kein Kriterium, aber das erscheint dann doch etwas feige. Die harte Wahrheit ist, dass Nichtmillionäre auch sehr oft Nichttegernseer sind. Und für die gibt es natürlich auch Ecken im Oberland, die man kaum als privilegiert bezeichnen würde.

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Diese Wiesen hier etwa. Diese Wiesen liegen zwischen dem Tegernsee und dem Schliersee. Egal, wohin man schaut: Nur Wiesen. Es gibt eine sehr reizvolle Rennradrunde zwischen Tegernsee und Schliersee, die ist voll mit derartigen Wiesen, mit denen kann man bei uns die Kühe füttern: Aber das Ziel ist nun mal der See und niemand würde sagen, er fährt eine Runde Tegernsee-Hausham-Schliersee. Hausham nämlich ist der Ort, zu dem diese Wiese gehört, und wenn jemand unbedingt wissen will, wo man hier lebt, wenn man nicht begütert ist: Hausham ist die Antwort. Hausham ist das Ruhrgebiet des Oberlandes. Denn unter diesen Wiesen liegt Kohle, deren Abbau sich schon lange nicht mehr lohnt, und so sieht Hausham heute auch aus. Es gibt dort sogar blockartige Gebäude und eben keinen See, und die Immobilien sind so billig, dass es in Berlin angeblich Penthouses geben soll, die etwas teurer sind. Nachdem man aber auch hier eher kauft als mietet, spüren das die Ruhrgebietsbewohner gar nicht.

Und man muss schon mit Tegernseer Augen hinschauen, um die Unterschiede zu erkennen. Der Trachtenladen etwa hat kein Habsburg wie in Rottach, sondern nur Meindl-Lederjanker der Preisklasse unter 2000 Euro. Es ist nicht so wie in Gmund, wo auf 700 Einwohner ein exklusiver Inneneinrichter kommt. Es sind nur drei Kilometer zum Schliersee, und schon recken sich Fördertürme in den Himmel an der Stelle, wo auch grosse Supermärkte sind, und MichiApostrophS Copy- und Dartshop bietet seine Dienste an. Es gibt Döner. Es gibt eine Metzgerei namens Wurstkutschn. Hausham ist normal und immer noch eine gute Wohnlage, und deshalb wohnen hier die Nichtmillionäre gerne. Ich nehme an, auch Sie, liebe Leser, wollen jetzt lieber insgeheim ein Bild des Schliersees sehen, als MichiApostrophS Copy- und Dartshop, bitteschön:

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Aber. Obwohl Hausham nicht reich ist und keinen See hat und deutlich weniger Millionäre, die an den öffentlichen Wegen zu ihren Villen ein Schild mit der Aufschrift „Privatstrasse“ anbringen, ist es nicht vergleichbar mit dem Szenario, das ich letzte Woche Malte Weldings Buch entnommen habe: Dass nämlich Eltern mit Kindern von Staat und Gesellschaft alleine gelassen werden. Es gibt in Hausham die Lebenshilfe, und wenn Eltern den Eindruck haben, dass die Entwicklung ihrer Kinder nicht optimal verläuft, hilft die. Kostenlos. Man muss den Nachwuchs nur vorbei bringen, dann macht die Lebenshilfe das, und zwar mit einem Angebot, das sich sehen lassen kann. Von Nichttegernsee-Aussen betrachtet würde man sagen, dass es da einen hübschen Ort namens Hausham gebt, in dem in einem modernen, schönen Gebäude zwischen Tegernsee und Schliersee kostenlos das Beste für die Kleinsten und Schutzbedürftigsten getan wird.

Und damit die Eltern auf dem Weg dorthin – die Frühförderung ist durchaus idyllisch gelegen – schnell und leicht finden, werden in Hausham Strassenschilder dafür aufgestellt. Da denkt jemand in der Verwaltung mit und sagt sich: Die Eltern sind vermutlich aufgeregt und verunsichert, schreien ihre Chauffeure vielleicht an, und die lassen wir nicht lange mit dem Kind nervös durch den Ort kurbeln – wir stellen Schilder auf. Oder falls sozial schwächere Eltern mit dem Bus kommen: Die müssen nicht lang laufen. Die sehen sofort, wohin sie ihre Schritte führen müssen.

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Weil das aber das Ruhrgebiet des Oberlandes ist, gibt es auch Saubuam, hunzvareggde, die im Berliner Stil etwas an das Schild kleben. Und dann kommt die Gemeinde und lässt das wieder freikratzen.

Es ist genau dieses Detail, warum ich hier gern lebe. Nicht, weil es auch im hiesigen Ruhrgebiet schön ist, auch die Ärmeren vom Reiz der Landschaft profitieren, selbst wenn sie gerne am Abend Dartsendungen im TV betrachten und Döner essen, es eine Lebenshilfe gibt, deren Angebot kostenlos und weitere Dienste inklusiv sind, und weil dann noch die Gemeinde daherkommt und sagt, da helfen wir und machen ein Schild. Sondern weil im Falle eines Beklebens jemand kommt und das Schild wieder säubert, damit Eltern die Frühförderung finden. Ich finde das überhaupt nicht spiessig, sondern dankenswert. Das berührt mein Herz. Ja, es ist nur Hausham und dahinter sind die Fördertürme, hier wohnen ganz normale Menschen mit ganz normalen Problemen, die ihren Leberkäs in der Wurstkutschn kaufen statt ihren Kaviar am Yachtclub – aber dieses Schild, es bleibt sauber und hilft denen, die es brauchen. Und die, die es beklebt haben, bekamen eine Kette um den Hals und in Österreich, hinter der Valepp, da haben wir sie in einer Feierstunde in einer Schlucht als Bärenleckerli angehängt.

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Es ist ein winziges Detail. Man nimmt das normalerweise einfach so hin, ich komme hier laufend vorbei, bei meiner Seenrunde, bei der Spitzingseeausfahrt und bei meiner Tour über die Neureuth und die Gindelalm, die oben zu sehen ist. Das Schild stand hier schon immer, dass es beklebt und gleich wieder gereinigt wurde, ist dagegen neu. Manche wundern sich, warum unsere eigenen Armen ihr relativ benachteiligtes Schicksal so ertragen und nicht gegen die rebellieren, denen sie das Essen zubereiten, die Medikamente verkaufen, als Alte pflegen oder den Müll wegräumen. Das Schild und der Umgang damit ist die Antwort. Selbst im armen Hausham, dessen Söhne auswandern müssen, um andernorts Regisseure werden zu können, in einem Ort ohne jeden See und im Schatten der Berge

wird dieses scheinbar belanglose Schild aufgestellt und gesäubert.

So leben hier die Armen. Jetzt wissen Sie es, und das nächste Mal reden wir dann wieder über die echten Probleme des Dasein, wie etwa, dass die kleinen Tüten beim Konditor Wagner an ihre Grenzen kommen, wenn man mehr als dreihundert Gramm Pralinen einfüllen lässt. Das ist nämlich wirklich so.