A Pfund Drehg braachd da Mensch im Joah.
Meine Grossmutter
Ich bin eher wissenschaftskritisch.
Ich bin in einem Haus geboren, in dem 172 Jahre lang wissenschaftliche Bücher geschrieben, geprüft und zur Veröffentlichung frei gegeben wurden, von der Spätrenaissance bis zum Zeitalter der Aufklärung. Und was immer hier geschrieben wurde, bevor ich das publizistische Lügenruder übernahm, war in den katholischen Landesteilen verbindlich zu befolgen. Bei den lutheranischen Ketzern sah man das anders, aber die durften nicht einreisen. Und als sie in Form der Schweden unter Gustav Adolf doch einmal kamen, haben die Unsrigem dem Schweden das Pferd unter dem Hintern weggeschossen, und so zog er gedemütigt weiter nach Regensburg in die Oberpfalz, da passte er auch hin, und wurde bald gut katholisch niedergemetzelt. Man muss das nicht gut finden, aber so setzte man damals die Richtigkeit der eigenen wissenschaftlichen Standpunkte durch. Dieser Faktencheck durch den Umstand, dass Gott ihn auf dem Schlachtfeld sterben liess, galt damals in der Wissenschaftscommunity als vollkommen ausreichend und Gustav Adolf hat es auch nicht angezweifelt. Heute darf man mit Kritikern nicht mehr so umgehen, was Genderistinnen vielleicht nicht schätzen, aber für mich ist es Anlass, da ein wenig Vorsicht walten zu lassen.
Wissenschaft und Wahrheit sind nun mal immer abhängig von den Methoden, mit denen sie durchgesetzt werden, und mit Blick auf die menschliche Geschichte kann man sicher behaupten, dass die Methode von VW und den Abgasen ihrer Dieselautos klar zu den menschenfreundlichen Strategien zählt. Andere Wissenschaftler haben schöne Hochrechnungen, um zu erklären, wie tödlich Feinstaub und Stickstoffverbindungen statistisch sind – aber man muss VW zugute halten, dass sie eiuen äusserst klugen und eleganten Weg gefunden haben, ihre Wahrheit über all die Jahre glaubhaft zu machen. Nicht umsonst wurden die schönen Zahlen leichtgläubig abgedruckt, so wie man früher in meinem Haus keinen Zweifel an der Rechtmässigkeit des Ketzerschlachtens hatte. Die einen wissen, wie man das Auto an der richtigen Stelle richtig laufen lässt und die anderen, wie man die richtige Stelle in der Bibel richtig interpretiert. Prüfstand und Bibel sind nun mal feststehende Systeme, auf die man sich grundsätzlich verlassen kann.
Ausserdem sind sie ein schönes Beispiel für meine private Geschichtsphilosophie: Ich negiere nicht, dass der Mensch über all die Jahrtausende doch etwas voran gekommen ist. Aber ich behaupte, dass der Abstand zwischen der gelebten Realität und den theoretisch vorhandenen Möglichkeiten halbwegs eine Konstante ist. Das muss nicht immer schlimm sein, und ich nehme es auch keinem übel, wenn er den Computer eher für Pr0neaux denn zur Analyse der Werke von Alice Schwarzer verwendet. Aber man sieht beim Ketzer- und Schadstoffreduzieren durchaus, dass hier Wege beschritten wurden, die schon in der nahen Zukunft als nicht mehr hinnehmbar gelten: Das ist der Abstand vom Ideal. Die Umstände, kann man allenfalls entschuldigend sagen, haben es verlangt; da waren die Vorgaben des Papstes und die Normen der amerikanischen Umweltbehörde.
VW und die Jesuiten in meinem Haus meinten das sicher nicht böse und privat sind das sicher prima Kerle gewesen. Es gibt nun mal den Wunsch zu glauben, dass alles besser wird, und was früher das Paradies war, ist heute eben der sinkende Verbrauch des Autos, weil man das Kind kostengünstig und umweltschonend die drei Kilometer durch den Stau in die Schule bringen will, wie sich das heute gehört. Pia Fraus nennt man das in der Theologie, wenn man zu einem höheren Zwecke etwas unternimmt, was scheinbar dem moralischen Grundgerüst zu widersprechen droht: Wenn es nicht herauskommt, fühlen sich alle gut, sind überzeugt, genau das Angemessene zu tun und denken, dass in der Gesamtsicht das Treiben die beste alle möglichen Welten zeitigt. Sicher, VW hat der Umwelt ein paar Stickstoffoxide mehr als versprochen gegeben, aber eben auch ein Produkt geschaffen, das andere an das Gerechte und Richtige glauben liess. Ich finde, das sollten die deutsche Politik und unsere Medien auch mal wohlwollend betrachten und sich die Hysterie abgewöhnen.
Weil, es ist nämlich so: Diese frommen Lügen sind gar nicht so selten. Nehmen wir als Beispiel nur einmal die Flüchtlinge. Wir erfahren Tag für Tag, dass die Behörden in Bayern nunmehr, mit den Grenzkontrollen, nur wenige tausend Flüchtlinge registrieren. Die Zahlen, bis auf den Flüchtling genau, teilt die Bundespolizei auf Geheiss der Politik den Medien mit. Gleichzeitig wissen wir aber, dass im Schnitt sechs- bis zehntausend Flüchtlinge jeden Tag in Kroatien oder auf den griechischen Inseln Grenzen überschreiten. Die Zahlen sind entlang der Route nun schon seit Wochen relativ konstant. Dann kommen sie in Österreich an und in Deutschland fehlt die Hälfte. Als guter Bayer traue ich unseren ehemaligen Leibeigenen in der Ostmark natürlich jede Schandtat zu. Aber für die Diskrepanz zwischen dem Flüchtlingsausstoss des Vorderen Orients und den sehr viel niedrigeren gemessenen Werten bei uns gibt es einen VW-artigen Grund: Die in Bayern registrierten Flüchtlinge sind die, die man registriert hat. Und die anderen registriert man nicht, sondern schickt sie weirer, damit man sie woanders registriert – wo dann ein paar besorgte Bürger noch deutlich kränkere Anfälle als Allergiker bei zu vielen Stickstoffverbindungen bekommen. Egal: So bekommen die Medien schöne Zahlen und wie man sie abdruckt, ohne zu fragen, weiss man in diesem Berufe. Kaum jemand sieht sich wegen dieser Werte – und den erst mal verschwiegenen Folgen – bemüßigt zu fordern, dass man Frau Merkel und ihr Kabinett nun winterkörnern sollte.
Man sieht also: Pia Fraus ist keine Angelegenheit der Autohersteller und der Folgenabschätzer der Atomindustrie, sondern ein universal mit dem Brustton der moralischen Überzeugung geübtes Mittel, Zuversicht und die einzig richtige Einstellung zu verbreiten. Über die positiven Effekte klären uns zudem Migrationsforscher auf, denn natürlich sind wir heute weiter: Theologie alleine reicht nicht, wir brauchen stets interdisziplinäre Ansätze aus Soziologie, Wirtschaftswissenschaften und Modellberechnungen. Nur so lässt sich dann auch scheinbar Widersprüchliches erklären: Warum all der Kraftstoff vor Schulen von Müttern verbrannt wird, die genau wissen, dass ihr SUV im Stau dreimal so viel wie den Normverbrauch säuft, an Dreck wieder ausstößt und sie ansonsten überzeugt sind, dass der Weg ihrer Lieben in die Hölle über gefährliche Lactose, Zucker und Glutein verlaufen würde. Auch das ist, vernehme ich, wissenschaftlich längst bewiesen. Man stelle sich nur vor, das Kind würde mit dem Rad fahren und vielleicht etwas Ungesundes kaufen: Da ist dann ein sauberer, schadstoffarmer Diesel mit niedrigem Verbraucht schlichtweg eine zwingende Notwendigkeit. Die Tauglichkeit hat sich VW wissenschaftlich bestätigen lassen. Es passt alles so schön zusammen. Wieso muss man diese heile Welt mit der Realität zerstören?
Wir hatten hier genau den richtigen und dem Menschen angemessenen Abstand zu dem, was der menschlichen Zivilisation möglich gewesen wäre: Es war eine gute Kombination aus Technik, Wissenschaft, Pia Fraus und als Altruismus getarnte Egomanie. Nun jedoch werden Techniker gezwungen, die Grenzen des Machbaren wieder ein wenig weiter zu verschieben, andere werden daran versagen, sich neue Tricks ausdenken und Scharen von PR-Mitarbeitern in Bewegung setzen, damit das alles nicht so auffällt. Viele werden sich über einen angeblichen Betrug empören, der lediglich der Mechanismus zur Einhaltung des Sicherheitsabstandes zur idealen Gesellschaft ist. Ich möchte das ganz ehrlich sagen: So ideal, dass man dorthin wegen der Abgaswerte nicht mehr mit einem stinkenden Bugatti knattern könnte – muss es für mich gar nicht sein.
Ich bitte auch zu bedenken: Wenn man einmal mit der zur Schau gestellten Tugend anfängt, ist es schwer, das wieder zu bremsen. Wie das ausgeht, sah man in den Gottesstaaten von Savonarola und der Taliban sowie in den sozialen Medien des Internets, die für Gender, IS und Veganismus werben. Da geht es dann nicht mehr um den frommen Betrug, sondern um die einzig richtige Wahrheit. Wenn es nach mir ginge, würde ich den VW-Konzern einfach dazu verdonnern, eine sinnvolle, leichte, flinke, billige, schicke und energiesparende Alternative für die letzten zwei bis fünf Kilometer zu entwickeln. Und zwar genau von den Leuten, die diese Software modifiziert haben, um die Amerikaner hereinzulegen.
Auf solche Ideen im Umgang mit dem System muss man nämlich erst mal kommen. Mit solchen Leuten kann man sicher keinen Gottesstaat betreiben, aber ihr Schneid, die Brillanz, die wilddiebhafte List: Das braucht die deutsche Industrie, wenn sie auf dem höchst lukrativen Markt der frommen Lügen weiterhin bestehen will.