Sprich die Wahrheit, aber gib danach sofort Fersengeld
Slowenische Volksweisheit
Die deutsche Bundeskanzlerin sagt viel, um dem Volk die richtige Einstellung zu vermitteln. Sie sagt, die Bundeskanzlerin habe die Lage im Griff. Sie sagt, sie möchte Flüchtlinge mit einem freundlichen Gesicht empfangen, man könnte die Grenzen der Bundesrepublik nicht überwachen und es gäbe keine Obergrenze beim Asylrecht. Kurz, die Kanzlerin lädt noch weitere Flüchtlige ein, sekundiert von Politikern wie Herrn Ramelow, die einen Flüchtlingssoli vom Volk fordern, nachdem der Finanzminister schon die Steuerüberschüsse des Volkes für die Flüchtlingskrise umgeleitet hat, statt damit Schulden zu bezahlen.
Angesichts solcher historisch einzigartiger Bereitschaft, die Migration hunderttausender, meist schlecht ausgebildeter junger Männer bis aus Sri Lanka auf Staatskosten mit einem freundlichen Gesicht zu finanzieren, kommen sie natürlich. Und müssen erfahren, dass die EU nun dem Autokraten der Türkei drei Milliarden bietet, damit er in Zukunft eben jene Flüchtlinge aufhält, für die bei uns manche einen Soli und andere privates Engagement fordern. Drei Milliarden für einen gefährlichen Zündler der Weltpolitik, der Journalisten wegsperren lässt und einen eigenen, schwelenden Bürgerkrieg mit den Kurden austrägt. Und gleichzeitig versucht die Kanzlerin die Flüchtlinge, die sie eingeladen hat, auf andere, ärmere europäische Länder zu verteilen, die finanziell auch zu den drei Milliarden für den Autokraten beitragen sollen. Wenn sie keine Flüchtlinge aufnehmen, droht die Kanzlerin, den Schengenstatus für die Bürger dieser Länder mit passfreier Einreise abzuschaffen. Damit wäre ein bürgerfreundliches Element der EU als Strafe für ausbleibende Unterwerfung gestrichen.
Wie das ohne die für die Flüchtlinge angeblich unmögliche Grenzüberwachung gehen soll, weiss niemand so genau, aber Hauptsache ist: Wir schaffen das. Wenn Feministinnen, die sonst überall Rape Culture sehen, freudig Nachrichten verbreiten, dass angebliche Vergewaltigungen durch Flüchtlinge erfunden wurden, wenn die Forderung, dem Opfer zu glauben, nicht mehr gilt, und wenn sie bei wirklich brutalen Fällen den Mund halten – dann ist es in so einem paradoxen Land auch möglich, die Grenze nicht zu überwachen und Osteuropäer dennoch zu Passkontrollen zu zwingen. Das auf dem Bild dort oben ist übrigens der Grenzübergang Spielfeld zwischen Slowenien und Österreich. Dieser Grenzübergang ist fast genauso paradox wie vergewaltigungsignorierende Feministinnen oder Kontrollen an unkontrollierbaren Grenzen. Denn als Viktor Orban in Ungarn einen Zaun gegen unkontrollierte Flüchtlingsströme bauen liess, rückte ihn der österreichische Regierungschef Faymann – Merkels treuer Transithelfer – in die Nähe des NS-Regimes. Jetzt wird hier in Österreich ebenfalls ein Zaun entstehen, um unkontrollierte Grenzübertritte zu verhindern. Der Grenzübergang auf der Landstrasse selbst ist für normale Europäer schon geschlossen, so werde ich es am kommenden Montag in der gedruckten FAZ berichten. Jetzt kommt auf fast 4 Kilometer Länge der Grenzzaun. Mitten in der EU, zwischen zwei Ländern des Schengenraums, die beide mit den Folgen der Berliner Politik des freundlichen Gesichts nicht mehr klarkommen: Hier hat man die Lage nicht mehr im Griff, also baut man Zäune.
Inmitten einer sagenhaft schönen Tourismusregion. Die südliche Steiermark ist so etwas wie die Toskana Österreichs, eine Hügelkette am Südrand des Landes nach der weiten Ebene, die kein Hindernis zwischen der Grenze und dem 40 km entfernten Graz darstellt. Egal ob auf der slowenischen oder österreichischen Seite: Diese Region bildet eine geographische Einheit, und wer auf der Weinstrasse Richtung Westen fährt, rollt über ein Asphaltband, das rechts zu Österreich und links zu Slowenien gehört. Die Grenze verläuft direkt auf der Strasse. Frühere Grenzzaunpläne hatten sehr wohl vor, zig Kilometer seitlich von Spielfeld die Grenze wieder zu befestigen. So, wie es während des kalten Krieges war. Dann hat man einen Zaun in einer Region, die in den letzten Jahrzehnten wieder zusammen gefunden hat. Natürlich ist in Slowenien manches etwas ärmlicher und nicht so herausgeputzt. Aber nichts ist so hässlich wie der Zaun, mit dem die österreichische Regierung im Inneren Handlungsfähigkeit zeigen will, während Deutschland das Grundproblem der Migration weiter fördert. Die einen wollen Zwangsabgaben für Flüchtlinge, die anderen greifen zur Zwangsmassnahme.
Noch ist es hier offen. Ich habe 272 PS unter der Haube und heute nichts Besseres vor, also jage ich die hübschen Weinberge hinauf, suche mir die kleinen Strassen, die über die Grenze führen, und probiere aus, was passiert, wenn ich westlich von Spielfeld das tue, wozu mich mein EU-Pass berechtigt: In voller Freizügigkeit Grenzen übertreten. Ich fange weit im Westen an, rausche nach Slowenien hinein und wieder hinaus, fahre Bögen um Hunde und Katzen, die nicht einsehen, von der Strasse zu weichen, und fahre sehr anständig, wenn ich auf österreichischer Seite Polizei und Truppen sehe. Die sind dort präsent – kein Wunder nach den Anschlägen von Paris und der Erkenntnis, dass manche Attentäter als Flüchtlinge getarnt unterwegs waren. Trotzdem ist das noch ein freier Kontinent, könnte man meinen. Noch hält mich keiner auf. Bis zur letzten Strasse auf dem Hügel westlich von Spielfeld. Ich rolle ich um eine Kurve – und da stehen sie.
Slowenische Grenzwächter mit einem geländegänigen Fahrzeug haben die Strasse abgeriegelt, wie damals im kalten Krieg. Sie wollen meinen Ausweis sehen. Der eine vergleicht Bild und Gesicht und kommt zum Schluss, dass meine Schleuder vermutlich etwas zu extravagant und beengt ist, um als Schleuserauto zu dienen. Der andere hat einen Block und notiert darauf vermutlich Nummernschild und Zeitpunkt meines Grenzübertritts.Da geht sie hin, die grenzenlose Freiheit im Schengenraum. Es wäre interessant zu wissen, was passiert, wenn ich jetzt nochmal eine Runde fahre und in 20 Minuten dort wieder auftauche. Dabei ist die Kontrolle bedeutungslos: Die anderen Grenzübergänge im Westen sind alle offen. Und es führen viele Wege über die Weinberge zum Hügelkamm. Man kann auch einfach zu Fuss gehen. Es gibt genug Pfade.
Statt dessen fahre ich weiter, mache ein Bild einer Hügelkuppe auf der zwei leuchtorange Westen der österreichischen Polizei herausstechen, und rolle hinunter ins Tal zum Weingut Polz. Die Familie Polz arbeitet hier seit der k.u.k.-Monarchie, und hat den Hof seit dem Zusammenbruch des Östblocks fein herausgeputzt. Es gibt ein eigenes, modernes Gebäude für den Weinverkauf, und ich nehme zwei Flaschen als Andenken mit. Die Familie Polz ist auch der Hauptbetroffene der Zaunpläne, und will sich dagegen wehren. Nicht nur, weil der Zaun den Zugang zu den Weinbergen erschweren würde. Sondern auch, weil Tourismus und bewachte Grenzanlagen nicht zusammenpassen. Seit über hundert Jahren machen die Mitglieder der Familie hier Wein. Die Flüchtlinge, die nur der Zufall in die Region verschlagen hat, bedauert die – wirklich freundliche – Verkäuferin.
Aber das freundliche Gesicht der Kanzlerin und der Soli des Herrn Ramelow sind nun die Faktoren, die entscheiden, wie viele kommen und wo sie durchgeschleust werden, und wo man sie ausbremst, zurückdrängt und abhält. Im Zweifelsfall findet das hier statt, direkt oberhalb des schönen, gepflegten Weinguts. Die Familie wird, als wären sie Anwohner der Berliner Mauer in den sechziger Jahren, zum Spielball der Weltpolitik und des Umstandes, dass die Folgelasten der deutschen Politik auf andere abgewälzt werden. Natürlich gibt es keinen deutschen Befehl, einen Zaun zu bauen. Aber irgendwie muss die kriselnde grosse Koalition in Wien dem Wähler beweisen, dass man noch in der Lage ist, autonom zu handeln. Die rechtsradikale FPÖ bestreitet das und fordert Abschottung gegen Flüchtlinge. Die Regierung laviert sich mit einem faulen Kompromiss durch baut jetzt den Zaun innerhalb des Schengenraums, aber angeblich nur, um die Flüchtlinge richtig zu lenken. Alle sind sie zwischen dem Flüchtlingsamboss des türkischen Herrschers Erdogan und dem freundlichen Hammergesicht der deutschen Kanzlerin Merkel. Man kann von einer Politik, die vollgestopfte Notunterkünfte für Integration hält und Autokraten mit Milliarden schmiert, nicht erwarten, dass sie sich um einen Weinbauern im Nachbarland und sein Schicksal kümmert. Schliesslich soll die Welt doch das freundliche Gesicht zu Kenntnis nehmen, und die vielen, die glauben, dass wir das schaffen.
Das sind diejenigen, die auf Redakteursstühlen in Hamburg und Berlin das Grundrecht aus Asyl zu einem Supergrundrecht machen, dem sich alles andere unterzuordnen habe, die freie, kritische Meinung der Menschen, die Gesetze, die dafür ausgesetzt und gebrochen werden, die Staatsfinanzen und eben auch dieses herrliche Fleckchen Erde, das nach sieben Jahrzehnten der gewaltsamen Trennung und erbitterten Feindschaft zusammenwuchs, und nun wieder durch einen Zaun getrennt werden soll. Weil das deutsche Primat der eigenen Moral sich, pardon, einen Dreck um die Folgen schert, egal ob Leute vor dem Lageso frieren, Balkanstaaten erbittert streiten, oder die politische Stabilität des Kontinents vor die Hunde geht. Es fängt damit an, dass mein Kennzeichen verdächtig ist und notiert wird, nur weil ich als freier Bürger den falschen Grenzübergang benutze. Es wird weiter gehen, wenn man hier einen Grenzzaun baut. Und falls es doch nicht so weit kommt, liegt das nicht an Frau Merkel oder Herrn Erdogan oder ihren Panegyrikern in den Medien, die Abermillionen Festhalte- und Rücknahmeprämien für Autokraten in Pakistan, Eritrea, Afghanistan und anderen Herkunftsländer der Migranten für schlaue Politik halten, während bei uns mit Willkommenskultur geworben wird. Es liegt, wenn der Zaun überhaupt verhindert werden kann, an Menschen wie der Familie Polz, die angekündigt haben, sich mit allen juristischen Mitteln gegen die Abschottung auf ihrem Grund zu wehren.
Denn dieser Zaun würde nur einen kleinen Teilaspekt einer deutschen Staatskrise betreffen, ein Placebo für das staatliche Versagen, das längst den ganzen Kontinent angesteckt hat, von den überfüllten Kähnen jenseits der libyschen Hoheitsgewässer bis zu den letzten schwedischen Notlagern nördlich des Polarkreises. Diese Krise ist deutsch. Niemand sonst in Europa will diese Politik, die behauptet, die Vorgänge in Aleppo gingen uns etwas an, und völlig ignoriert, was sie mit der Völkerwanderung auf dem eigenen Kontinent vom Zaun im Weingut bis zum Durchmarsch der Nationalisten in Frankreich, Polen und auf dem Balkan anrichtet. Letztes Wochenende wurde nur ich kontrolliert.
Mit etwas Pech ergeht es uns nächstes Jahr allen so, an allen Grenzen und Zäunen von Nationalstaaten, die sich misstrauen, hassen und genau so rücksichtslos und egoistisch agieren, wie es die deutsche Nationalmoral tut, für die die Freizügigkeit zum Druckmittel im politischen Erpressungsgeschäft herabgesunken ist. Woanders mag dieser kleine Zaun nur eine kurze Pressenotiz sein. Aber hier, auf den Hügeln der Steiermark ist er eine weitere Metastase der deutschen Wesenskrankheit, die Europa umbringt.