Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Lehren aus dem Festungsbau und dem Beschuss von Schweden

Das Eisen muss geschmiedet werden, weil es glüht
Schiller, Piccolomini

Gelungene historische Vergleiche im Journalismus gehen so: Bildung → Nachdenken → Vergleichen → deutliche Unterschiede erkennen → darauf verzichten → Philosoph bleiben.

Deshalb bin ich trotz Studium sehr vorsichtig und mache das nur, wenn ich meiner Sache absolut sicher bin. Denn immer wieder erlebe ich, wie werte Kollegen bedauerlicherweise mit so einem historischen Schindluder in Messer laufen, die sich bisweilen auch in meiner Hand befinden. So etwa all die Leute, die in den letzten Monaten bei Zeit, Prantlhausener Zeitung und SPON meinten, es sei gefährlich, wenn sich Europa in eine Festung zurück zöge, weil noch jede Festung gefallen sei.

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Genauso könnte man sagen, dass jedes Türschloss irgendwann geknackt werden kann, und man deshalb die Tür für die unübersichtliche Welt da draussen offen stehen lassen soll. Es wäre mir dennoch neu, dass die Kollegen dergestalt verfahren. Trotzdem behauptet gerade wieder Hobbyhistoriker Roland Nelles von Spiegel Online:

Wer das nicht glaubt, dem sei ein Blick in die Geschichtsbücher empfohlen: Jahrhundertlang haben Herrscher geglaubt, durch den Bau von Festungen ihre Macht, ihr Leben absichern zu können. Am Ende wurden diese Festungen immer eingenommen – oder ihre Bewohner sind verhungert.

“Dem sei ein Blick empfohlen…” Solche Phrasen amüsieren noch mehr, wenn sie falsch sind.

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Meine Geschichtsbücher – als Einstieg kann ich immer noch „Burgenkunde“ von Otto Piper empfehlen – vertreten eine andere Meinung. Natürlich fallen Festungen irgendwann. Die meisten Festungen, deren Ruinen man sieht, sind letztlich jedoch nicht durch Eroberung gefallen, sondern entsprachen technisch einfach nicht mehr den Anforderungen der Zeit, und wurden dem Verfall preisgegeben. Oder man entwickelte sie fort: Die Festungsanlagen der Stadt, in der ich wohne, wurden stetig erweitert, und waren im entscheidenden Ernstfall der deutschen Geschichte auf dem neuesten Stand Das war 1632, als der Schwede drohte, das ganze Land ketzerisch lutheranisch und damit frei von Kunst, Kultur und gutem Essen zu machen. Das hat man ihm hier gründlich versalzen, und die Bewohner mussten nicht hinter den Mauern verhungern.

Allerdings hat man bei Ausgrabungen vor den Toren der Stadt durchaus Massengräber aus jener Epoche gefunden, als Gustav Adolf hier vergeblich Einlass suchte. Vor den Mauern wurden Menschen massakriert, dahinter war man vergleichsweise sicher. Die nächsten Orte wurden geplündert und ausgeraubt – wir dagegen haben dem Schweden das Pferd unter dem Hintern weg geschossen, es ausgestopft und zeigen es hier noch heute den Schulkindern. Damit sie wissen, was sie tun müssen, wenn Schweden oder andere Nordvölker meinen, sich hier aufführen zu müssen. Der Schwede verlor hier so viel Zeit und verbündete Lutheraner, dass die Katholischen sich rüsten und ihn in der Folge dann endgültig wegräumen konnten: Das kommt davon, wenn man keine Festung hat und sich auf dem Feld prügeln muss. Wer damals auf Mauern setzte, überlebte. Wer keine hatte, war dem Wirken feindlicher Kräfte schutzlos ausgeliefert. Die Schweden hatten hier keine Mauern. Sie sahen sich aus diesem Rohr mit Sonderabgaben begrüsst und nicht, wie es Schäuble gerade andenkt, aus dem Benzinkonsum.

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Menschenfreunde mögen nun – berechtigterweise – einwenden, dass so eine willkommenskulturlose Brutalität eine viel zu unterkomplexe Antwort auf eine globale, komplexe Herausforderung der Gegenwart ist. Ich möchte dagegen halten, dass die mitteleuropäischen Religionskriege mindestens so komplex wie die heutigen Konflikte im Nahen Osten waren. Das war auch jedem hier bewusst, weshalb man sich erst gar nicht mit der Hoffnung abgab, Fluchtursachen in fernen Ländern bekämpfen zu können, sondern Kanonen goss und die Tore verrammelte. Eine gesamteuropäische Lösung fand man mit dem Westfälischen Frieden, und zettelte danach munter Erbfolgekriege an, oder wandte sich den Türken zu. Der Festungsbau blieb in Mode.

Denn es kommt im Festungsbau nur darauf an, mit der Zeit Schritt zu halten. Dann sorgt so ein Gemäuer schon durch seine reine Existenz dafür, dass Nachbarn und herbeiziehende Invasoren die Lust verlieren: Wer nicht kam, suchte sich andere Alternativen. Belagerungen sind enorm teuer und zeitraubend. Es ist zwar individuell tragisch, aber statistisch irrelevant, ob die Athener in Syrakus, die Schweden bei mir oder die Türken vor Wien starben. Moderne Menschen in diesem Land, die auf sexuelle Belästigungen durch Migranten mit dem höflichen Aufhängen von Hinweisschildern in anderen Sprachen reagieren, wird es beim Gedanken an derartig brutale und menschenverachtende Überlegungen schütteln: Aber so war es damals – und bitte, es ist ein SPON-Vergleich gewesen, ich hinterfrage ihn nur. Festungen funktionieren meist allein schon durch ihre pure Existenz. Und aus dieser Erfahrung heraus hat der Mensch vom Neolithikum bis zur Entwicklung weit reichender Kanonen und Aeroplane vor allem auf dicke und hohe Mauern gesetzt. Fehlt es den anderen an Aeroplanen und Hohlgranaten, wirken Mauern heute noch.

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Es kann natürlich wie beim römischen Limes einmal sein, dass die Grenzverteidigung versagt. Es kann auch passieren, dass ein überforderter Staat diese Aufgabe an Foederaten abgibt – was die Deutschen momentan mit dem Tribut an Sultan Erdogan versuchten, haben es die Römer bei uns am Limes mit böhmischen Stämmen auch schon probiert. Das endete letztlich damit, dass Rom im Norden Ruhe hatte und aus dem Osten überrannt und geplündert wurde. Aus den hiesigen Foederatengruppen erwuchsen nach ein paar Generationen Mord, Verwüstung und Totschlag die hartschädeligen Bayern, die letztlich auch dem Schweden und der lutheranischen Lehre, auf die sich heute Frau Merkel beruft, trotzig widerstanden. Tatsächlich fallen Mauern mitunter – aber nur selten fallen sie schnell. Hinter ihrem Schutz können sich oft etliche Generationen überlegen, wie sie am besten mit der Welt da draussen fertig werden.

Jeder Festungsbaumeister wusste, dass es keinen absoluten Schutz vor politischen Grosswetterlagen gibt. Aber Mauern waren der Stolz der Städte in einer Zeit, da das staatliche Gewaltmonopol nur leicht effektiver als vor dem Kölner Hauptbahnhof war. Das wurde allgemein so akzeptiert, niemand lehnte das ab, und deshalb war man auch bereit, die hohen Kosten zu tragen: Das Leben war den Menschen das einfach wert. Und hinter Mauern konnte man Recht und Gesetz vergleichsweise leicht durchsetzen, bis dann im vorletzten Jahrhundert nationalstaatliche Strukturen und neue Waffentechnik Mauern wirklich überflüssig machten.

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Kurz gesagt, unsere Vorfahren hatten damals die Wahl, ob sie uns Ausgräbern später eingeebnete Mauerreste hinterlassen wollten, die bei SPON falsch interpretiert werden – oder sogenannte Zerstörungshorizonte mit Befunden, die klar nachweisen, wie wichtig eine sinnvolle Grenzsicherung ist. Wenn historisch irgendetwas als naiv und gefährlich gelten kann, dann sind es offene Grenzen und wahllos einreisende Menschen, die nicht vorhaben, sich an üblichen Vorstellungen zu halten – besichtigen kann man die Kehrseiten im schönen Regensburg oder in Indianerreservaten.

Langfristig betrachtet ist es so, dass die meisten Menschen lieber in geordneten, zuverlässigen und rechtlich abgesicherten Verhältnissen leben, als sich mit unkontrollierter Zuwanderung zu beschäftigen. Sonst zieht der sich bedroht fühlende Teil los und kaufte früher Schiessprügel und heute Pfefferspray, egal was die Medien davon halten.Mit einer ordentlichen Grenzkontrolle, für die Mauern da sind und an die Menschen glauben, und die von der Verfassung auch vorgesehen ist, wäre das nicht passiert.

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Nun gut. Wenn ich Ihnen als Geschichtsfreund noch eine Kleinigkeit mit auf den Weg geben darf: Die Erfahrung zeigt, dass Gruppierungen, die Geschichte fälschen, um ihre Thesen zu untermauern, auch sonst wenig zimperlich bei der Angleichung der Realität an ihre Ideologie sind. Manchmal wissen sie einfach zu zu wenig, wie Karl Marx mit seinem historischen Materialismus, der später Pol Pot inspirierte. Manchmal, wie Gustaf Kossina , liefern sie mit voller Überzeugung die pseudowissenschaftlichen Grundlagen für die spätere Ausrottungspolitik eines Heinrich Himmler. Zum Glück ist das bedeutungstriefende Anführen von Geschichtsbüchern heute meist schnell wieder vergessen. Aber selten ein Schaden, wo nicht auch ein Nutzen dabei ist, sagte meine Grossmutter, und wenn jemand einmal so etwas mit Geschichte tut, sei man bei allem anderen „Fakten“ auf der Hut.

Wer klug ist, lernt aus der Geschichte, und biegt sie nicht zurecht.